Aussteigen.

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!! Allgemeine Trigger-Warnung !!

Dies ist ein sehr aufwühlendes Kapitel. Es ist eine Achterbahnfahrt der Gefühle! 

!! Halber Spoiler-Alarm !! (Sicher, dass du dich spoilern lassen willst?!) Es hat ein positives Ende !!

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Da war es. Es war das Wort, das mir am meisten Angst bereitete. Mayday. Ruhe bewahren. Der Fokus durfte nun keinesfalls auf mich fallen. Ich nahm einen tiefen Atemzug. Es hallte noch immer in meinem Kopf. Mayday. Chan löste sich von Minho. "Minho, darf ich dich berühren?", keine Antwort. Er stand dort in Schockstarre. Er zitterte. Es trieb mir die Tränen in die Augen. Ruhig. Ganz ruhig. Chan ist da und kann uns hier rausholen. "Darf Jisung dich berühren?", tastete er sich langsam weiter vor. "Ja.", brachte Minho es zittrig hervor. Ich setzte mich in Bewegung. Chan winkte mit seiner Hand hinter dem Rücken. Langsamer. Ich musste langsamer sein. Die kurze Distanz zu Minho erschien mir so weit. Ich wollte rennen. Bleib ruhig. Reiß dich zusammen. Geh langsamer. Noch langsamer. Atme. Drück deine Tränen weg. Du bist nun für ihn stark. Du fängst ihn auf. Schritt für Schritt. Langsamer und noch langsamer. Atme, Jisung. Atme, verdammt nochmal. Noch zwei Schritte, vielleicht drei. "Darf ich dich berühren?", zitterte auch meine Stimme. Er fiel fast auf mich. Tränen strömten mir entgegen, als hätte man ihm die Augenlider zerschnitten. Ruhig. Sei für ihn da. Vermittel ihm, dass alles in Ordnung ist. Seine Knie gaben nach. Ich konnte ihn nicht halten. Als ob all seine Gefühle schwer auf meinen Schultern wogen, zog es mich ebenfalls in die Knie. Sein zitternder Körper presste sich an Meinen. Zu viel. Zu weit gegangen. Die Grenze war überschritten. Hätten wir es vorher sehen können? Hätten wir ihn hiervor bewahren können?


"Minho, wir atmen gemeinsam. Ich helfe dir.", flüsterte ich, während ich versuchte, die Schmerzen in meinem Knie zu ignorieren. Er lag fast auf mir. Als wolle er in mich hineinkriechen. Sein Schluchzen gegen meine Brust stach in meinem Herzen. Aufgelöst. Hilflos. "Einatmen.", begann ich, es ihm vorzumachen. Während er nach Luft schnappte, bebte sein Körper. "Ausatmen.", machte ich weiter. Denk nach. Welche Berührung beruhigt ihn? Halte ihn. Ich legte meine Arme um ihn. Sanft. Ohne Druck. Sein Gesicht vergrub sich tiefer in meiner Haut. "Einatmen.", wiederholte ich. Sein Atem stockte immer wieder. Chan setzte sich neben uns. Felix blieb an seinem Platz. Chan legte seine Hand an meinen Rücken. Er signalisierte mir, dass ich alles richtig machte. Er half mir. Und ich half Minho. Chan atmete laut hörbar mit uns mit. Wir schaffen das. "Ausatmen.", nicht aufhören. Behalte den Rhythmus. Bleib bei mir, Minho. Atemzug für Atemzug. Mein Herz raste. Blanke Panik. Minho strahlte eine einnehmende Schwärze aus. Sie darf mich nicht mit sich reißen. Sei für ihn da. Gleich wird es besser. Auch wenn es mich innerlich zerreißt. Verzweifelt wünschte ich mir, dass ich die Stärke ausstrahlen konnte, die er gerade so sehr brauchte. "Einatmen.", weiter, mach weiter! Sein Schluchzen wurde weniger. Die Sekunden fühlten sich an, wie Stunden. Mein Herzschlag dröhnte in meinem Kopf. Alles drehte sich. Eine von Minhos Tränen perlte von meinem Schlüsselbein ab und brannte auf meiner Haut. Sei stark. "Ausatmen.".


Seine Hand suchte sich zitternd den Weg nach vorn. Er griff nach Chans Unterarm. "Ich bin da. Ich passe auf dich auf.", sagte er ruhig und seine Worte legte sich wie Balsam auch um meine Seele. Ich lasse dich nicht los. Ich hole dich aus dem Abgrund, in den wir dich gerade getrieben haben. Wo auch immer du hingehst, ich bin da. Egal, wie düster es um dich herum ist. Ich werde für dich leuchten. Folge meiner Stimme. "Einatmen.", füll deine erschöpften Lungen mit Luft. Lass sie all die Dunkelheit aus dir heraustragen. "Ausatmen.", ein kleines Stück. Noch ein kleines Stück. Immer weiter. Trag dich an das rettende Ufer. Bleib stark. Stütz dich auf mich, ich kann all die Last von dir nehmen. Ich trage dich. Auch wenn meine Beine nachgeben. Ich lasse dich nicht los. Der zitternde Körper wurde ruhiger. Er wog so viel und schien mich immer mehr zu erdrücken. Ich halte das aus. Ich bin stark, wenn du es nicht sein kannst. Mein Arm drückte ihn etwas fester an mich heran. "Minho, kannst du reden?", versicherte sich Chan. Ein Nicken. Kurz und schwach. "Wo bist du?", fragte er weiter. "Bei uns zuhause.", kam es noch schwächer. Aber er war gedanklich bei uns. "Du machst das gut. Jisung und ich helfen dir da raus. Ich möchte, dass du weiter atmest.", Sein Körper wurde noch schwerer. Meine Muskeln wollten zerbersten. Halte ihn noch weiter. "Einatmen.", flüsterte ich ganz automatisch erneut.


"Ich möchte dir das Halsband abnehmen. Bist du einverstanden?", sprach er leise. Erneut ein Nicken. Chans Hand wanderte ganz langsam in Minhos Nacken. Der Verschluss war mit nur einer Hand schwer zu öffnen. Aber es war zu riskant, ihn nun zu bedrängen. Chans Blick war konzentriert. Langsamer. Mach langsamer. Dann endlich war es offen und Chan zog seine Hand so langsam wie möglich zurück. Er legte das Halsband neben sich ab. Als hätte er damit einen Schalter umgelegt, wurden Minhos Hände entspannter. Er zitterte nicht mehr. Weiter! Wir schaffen es! "Kannst du atmen?", wollte Chan wissen. "Ja.", sagte Minho und wurde leichter auf mir. Wir waren fast da. Wir überwinden die letzten steinigen Meter zusammen! Du kommst deiner Stärke immer näher. Du bist fast da und ich bin an deiner Seite. Ich hielt ihn fest an mich gedrückt. Sein Atem schlich über meine Brust, trug einige Staubkörner vor sich her und zerstreute sich. Wir fangen dich auf. Wir lassen nicht zu, dass du fällst. "Was brauchst du?", erkundigte Chan sich weiter. "Jisung.", sagte er und trieb mir erneut die Tränen in die Augen, die ich verzweifelt versuchte, zu unterdrücken. "Ich bin da.", versicherte ich ihm. Chan strich erneut über meinen Rücken. Bleib stark für ihn.


Endlich stützte er sich von mir ab. Seine Hand verweilte auf meinem Bein. Noch immer war sie zu einer Faust geballt, jedoch ließ die Spannung in seinen Fingern nach. "Ich bin bei euch.", sagte er und räusperte sich. Endlich, ein kleines Bisschen Erleichterung. "Ich bin stolz auf dich. Du hast das sehr gut gemacht!", baute der Dunkelhaarige ihn weiter auf. Er lenkte die Situation souverän. Wir folgen ihm. Er kennt den Weg heraus. Wir können auf ihn zählen. "Scheiße, das war heftig.", lachte Minho. Ich war noch nicht an dem Punkt angelangt, selbst zu lachen. Aber es beruhigte mich, ihn so zu sehen. Nach und nach kam er zu Sinnen und wurde mehr und mehr er selbst. "Kannst du sagen, was los war?", bat Chan ihn. War es zu früh für eine solche Frage? Oder war sie gerade genau das Richtige? "Als du mich mit dem Arm gegen die Wand gedrückt hast, hat es mich in die Vergangenheit geworfen.", sagte Minho ruhig. Seine Finger streckten sich langsam und er fuhr über meinen Oberschenkel. Der Älteste nickte verstehend. "Mein Kopf ist wieder klar. Es ist alles gut. Ich brauche nur noch einen Moment. Und Wasser. Wasser wäre toll.", säuselte er. Leise Schritte hinter uns tapsten durchs Wohnzimmer. Nur wenig später reichte Felix Minho ein Glas. "Setzt du dich zu uns?", bat Minho den Blondschopf. Er quetschte sich zwischen mich und Chan. "Danke, Felix!", sagte er noch schnell, bevor er das Glas in einem Zug leerte.


"Es tut mir so-" - "Nein! Fang mir gar nicht erst so an! Wir haben vorher darüber gesprochen. Du hast nichts falsch gemacht!", hielt Minho Chan davon ab, sich bei ihm zu entschuldigen. Niemanden traf hier die Schuld. "Ich hätte besser auf dich aufpassen müssen.", fuhr Chan trotzdem weiter fort. "Und ich hätte eher etwas sagen müssen. Aber so ist das eben. Im Nachhinein ist man immer schlauer. Wir haben nun zwei Möglichkeiten: Entweder wir suchen jetzt weiter nach der Schuld bei uns selbst oder wir sehen das alles als etwas, an dem wir wachsen dürfen. Es kann nicht immer alles gut gehen. Das wissen wir zwei wohl am besten. Aber wir nehmen das Risiko in Kauf, denn wir gehen gestärkter aus so etwas heraus. Es schweißt uns zusammen!", nahm Minho ihm den Wind aus den Segeln. Bis eben war er kaum ansprechbar und nun war er schon wieder in der Lage, dafür zu sorgen, dass wir uns alle besser fühlten. "Du bist ein guter Dom.", beendete Minho seine Ausführungen. Und seine Worte waren so wahr.


Die Situation eben war für mich wie ein Besuch in der Hölle. Aber immerhin wusste ich nun, wie es in der Hölle aussah und ich wusste, wo der Ausgang sich versteckte. Auch unser nächster Besuch in der Hölle würde beängstigend werden. Aber vielleicht schafften wir es ja auch noch rechtzeitig auszusteigen. Und wenn wir den Ausstieg wieder verpassten, dann würde ich erneut die Hände der anderen greifen und wir würden gemeinsam einen Weg finden. Niemand blieb zurück. "Danke!", flüsterte Minho mir zu und sah mir mit noch immer geröteten Wangen in die Augen. Er war erschöpft, aber er lächelte: "Du hast mich aus der Dunkelheit in mir herausgeführt.". "Ich würde alles für dich tun.", antwortete ich ziemlich aufgelöst. "Und auch euch beiden danke ich. Ihr wart ruhig, obwohl ich es überhaupt nicht war.", bedankte Minho sich nun auch bei Chan und Felix. "Ich weiß nicht, ob das gerade der beste Moment dafür ist.. aber.. Ich liebe euch alle.", trug Felix' Herz es nervös über seine Lippen. Und nun brachen endlich all die Tränen aus mir heraus, die ich versteckte. "Ich liebe euch auch.", ergänzte Chan. Ich brauchte nichts sagen. Meine Tränen sprachen für mich. Und so wurde aus dieser kurzen Reise in die Hölle etwas, was uns zusammenschweißte. Es gab nichts, was uns voneinander trennen konnte. Mit diesem Gedanken zog ich die drei wichtigsten Menschen in meinem Leben an mich und war einfach nur überglücklich, dass wir nun noch gestärkter aus all dem hervorgingen.  ___________________________________________________________________________

"Be a good boy." - Teil 3 || MinsungWhere stories live. Discover now