Kapitel 5

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Ich rappelte mich auf. Ich befand mich in einem blau-grau gestrichenen Zimmer und lag auf einem Bett- das garantiert nicht meins war. Auch wenn ich lange nicht mehr hier gewesen war, erkannte ich Daemons Zimmer sofort. Ich schaute mich um. Und entdeckte ihn vor seinem Computer etwas eintippen. Er drehte sich zu mir und stand langsam auf. Sein erleichtertes Gesicht sprach Bände.
"Alles okay? Wie gehts dir?", fragte er und setzte sich ruhig an die Bettkante.
Instinktiv griff ich nach meinem Kopf. Er war sorgfältig mit Verband verbunden.
Als er meinen verwirrten Gesichtsausdruck bemerkte, lachte er unsicher.
"Du erinnerst dich doch an den Streit mit deinem Vater oder?"
Bilder schossen in mir hoch und die Szene spielte sich in Zeitlupe vor meinen Augen ab. Ich hatte so viele Fragen, nickte jedoch erst langsam. Mein Kopf dröhnte.
"Du bist einige Stunden weggetreten. Der Arzt meinte es sei soweit alles okay, solange wir sichergehen das du keine Gedächtnislücken hast. Er hat dich hier behandelt, du kannst vorrübergehend auch bleiben.", erklärte er.
Emotionen überkamen mich und Tränen rollten meine Wangen hinunter. Ich wischte sie mit meinem Hemdärmel weg und drehte den Kopf weg. So sollte er mich nicht sehen.
Doch Daemon nahm mich nur in den Arm und strich beruhigend mit der Hand über meinen Rücken.
"Alles ist gut..", murmelte er mir beschwichtigend zu. Ich ließ meine Emotionen zu und vergrub mich tiefer in seinen Armen. Ich fühlte mich verborgen und sicher bei ihm. Als ich mich wieder einigermaßen beruhigt hatte, löste ich mich von ihm und schlang fröstelnd die Arme um mich.
Daemon griff nach einer Decke und warf sie mir zu.
Dankend nickte ich. Ich hatte so viele Fragen. Außerdem musste ich irgendwie mein verheultes Gesicht wieder in Ordnung und mein starkes Herzklopfen unter Kontrolle bekommen.
"Was ist danach passiert..?", begann ich und sah ihn fragend an.
Er holte tief Luft.
"Naja, nachdem dein Vater abgehauen ist, habe ich erstmal meinen Dad angerufen. Er ist vorbeigekommen und hat sich erstmal um deinen Kopf gekümmert und dann Polizei und einen Arzt gerufen. Du musstest zum Glück nicht ins Krankenhaus. Ich hatte eine scheiß Angst als du da gegen die Theke geknallt bist und ich nichts tun konnte. Tut mir leid das ich nichts unternommen habe.."
Sein trauriges Gesicht und die Sorgen waren also nur meinetwegen.. na Toll.
"A- Achso, danke.. alles gut ich bin das ja irgendwie gewöhnt.", erwiederte ich nur.
"Wie? Das passiert öfter?"
Daemon sah mich erschrocken an. Langsam nickte ich. Sein zerknirschtes Gesicht tat weh. Wie einzelne kleine Stiche im Herzen.

Er sprach weiter: "Weißt du.. ich möchte nicht noch jemanden verlieren und es war wirklich das erste mal das ich dein Vater so erlebt habe. Das war zu krass."
"Ja...", mehr bekam ich nicht heraus. Sein erster Satz hatte mich tief getroffen und brachte mich dazu, ein Stück von ihm wegzurücken. Fragend sah er mich an.
"Hä?"
Die ganze Zeit über hat er meine Schwester geliebt. Und das tat er noch immer. Sarah war so eine wundervolle Person gewesen, ich konnte ihn nur zu gut verstehen. Er machte sich nur Sorgen um mich, weil ich ihre Zwillingsschwester war. Ich sah ihr ähnlich. Ich wollte nicht das er sie einfach gegen mich ersetzte. Die ganze Zeit über hatte ich Gefühle für ihn, immernoch. Doch er hatte immer nur Augen für Sarah gehabt. Abneigung und Wut kam in mir hoch.
"Sarahs Tod.. er nimmt dich immernoch mit, was?", ich hasste mich für diese Frage und sofort bereute ich, ihn das gefragt zu haben.
Seine Miene verfinsterte sich.
"Warum musst du sie jetzt erwähnen?"
"Ich sehe jeden Tag wie sehr es dich beschäftigt und gestern oder heute, keine Ahnung welcher Tag heute ist, wie du das Foto von ihr angeschaut hast... Ich bin doch nicht blöd. Aber sie ist nichtmehr da...", meine Worte klangen hart und ich hatte Angst ihn damit zu überfordern.
"Ich weiß ich weiß. Sorry, dass ich dir Sorgen bereitet habe. Ich bin aber darüber hinweg.. glaube ich zumindest. Wir haben immer so viel zu dritt miteinander unternommen, ich vermisse sie und unsere Zeit gemeinsam einfach nur.. ich möchte nicht wissen wie es für dich war, die eigene Schwester zu verlieren. Ich möchte für dich da sein aber kann es nicht. Jeden Tag auf's Neue macht es mich fertig weil ich nicht weiß wie ich damit umgehen kann. Und vorhin, als dein Vater so ausgeflippt ist, habe ich erst gemerkt wie schlecht es ihm und dir die ganze Zeit über ging. Ich hasse mich dafür das ich nichts gemerkt habe und-"
Ich sah Tränen in seinen Augen und das letzte was ich wollte, war ihn weinen zu sehen. Ich nahm ihn einfach in den Arm. Er verstummte und erwiderte die Umarmung.
"Danke. Danke für alles. Lass uns einen Neuanfang wagen. Wir müssen alle damit klarkommen und sie würde sicher nicht wollen das wir uns ihretwegen so fertig machen.", flüsterte ich ihm zu. Er umschlang meine Taille und ließ sich nach hinten fallen.
Eine Weile lagen wir so da und rührten uns nicht. Lagen einfach da und starrten an die Decke. Genossen die Zweisamkeit. Sarah hatte nie etwas für ihn empfunden. Sie schwärmte für einen Klassenkameraden. Das wusste ich definitiv. Es jetzt aber auszusprechen, traute ich mich nicht. Dafür genoss ich den Moment zu sehr.

Sarah war bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Dabei wollte sie nur mit dem Taxi nach Hause fahren. An dem Abend hatten wir sogar noch telefoniert, bei dem Aufprall, als der Fahrer vom Weg abkam und das Taxi sich mehrmals überschlug, wurde der Kontakt abgebrochen. Das letzte was ich von ihr hören konnte, war ein entsetztes Schreien. Als Daemon zur Unfallstelle gekommen war, war es schon zu spät gewesen. Er hatte sie auch nichtmehr sehen können. Nachdem wir beide die Situation realisiert hatten, haben wir an dem Abend nur noch weinend am Straßenrand gesessen und zugesehen wie das demolierte Auto beseitigt wurde. Es hatte ein Trauma bei ihm hinterlassen. Ich hatte mehr oder weniger damit abschließen können. Auch wenn ich sie vermisste und kein Tag verging, ohne das ich nicht an sie dachte, kam ich damit klar. Daemon nicht. Er war eine andere Person geworden. Verschlossener und redete kaum mehr. Genauso wie mein Vater. Nachdem meine Mutter, als ich noch klein war von zuhause abgehauen war, hatte mein Vater angefangen zu trinken. Anfangs war es nur wenig, wurde dann aber immer mehr und die Situation verschlimmerte sich Tag für Tag. Im Endeffekt landete er sogar in der Klinik. Es vergingen Jahre und er war wieder ganz der Alte. Doch seit dem Tod meiner Schwester war er nichtmehr der Mann der mich morgens freudig begrüßte und mir viel Spaß in der Schule wünschte. Nein. Er ließ sich nichtmehr zuhause blicken, und wenn, dann nur um mit mir stundenlang zu streiten und zu diskutieren, mich mit Schimpfwörtern und Beleidigungen zu bombardieren, was dann meistens damit endete, dass ich mich mit blauen Flecken in mein Zimmer flüchtete und mich einschloss bis er weg war. Der Alkohol machte ihm verdammt aggressiv und er wurde immer handgreiflich wenn er sich meinetwegen aufregte.
Die ganzen Gedanken kreisten in meinem Kopf und ich kuschelte mich fester an Daemon. Seine ruhige Atmung verriet das er bereits eingeschlafen war. Mich übermante ebenfalls die Dunkelheit und ich schlief ein...
The good Times and the bad Ones, Kapitel 5- Ende

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