Kapitel 20

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Madelyn

Caden reagiert nicht auf mein Klopfen, also öffne ich mit meinem Ellenbogen die Tür und trete vorsichtig in sein Schlafzimmer. Er liegt mit dem Rücken zu mir gedreht im Bett und atmet ruhig, schläft also noch. Ich stelle den Kaffee und den Teller auf das Schränkchen neben seinem Bett und schleiche mich wieder raus, nur um zwei Minuten später mit einem Eimer wiederzukommen, den ich neben seinem Bett auf den Boden stelle. Ich streiche ihm eine seiner blonden Strähnen aus dem Gesicht, fahre vorsichtig mit dem Finger über seine verschwitzte Stirn. Seine Haut ist blasser als sonst, dunkle Augenringe verunstalten sein sonst so makellos schönes Gesicht. Dieser Anblick versetzt mich sofort mit einem Stich in mein Herz zurück in meine Vergangenheit. Ich bin wieder neun Jahre alt, sitze neben dem Sofa meines Vaters, warte bis er endlich aufwacht um mit mir zu spielen. Ich weiß, dass er gestern lange wach war, ich habe ihn und Mommy streiten gehört, bin aber im Bett geblieben. Sie sollten denken, dass ich schlafe. Ich wollte nicht schon wieder ärger bekommen, weil ich zu lange wach war, dabei sind sie es doch, weshalb ich kein Auge zu kriege. Es riecht schon wieder nach diesem extremen Desinfektionsmittel, so wie immer wenn Mommy und Daddy streiten. Diesmal stinkt es aber noch schlimmer, irgendwie intensiver. Daddy macht keine Anzeichen dafür, bald aufzuwachen also braucht er den Schlaf. Er soll nicht wütend werden, wenn ich ihn versehentlich wecke, ich will nicht dass er sauer auf mich ist, ich habe ihn doch lieb. Auf Zehenspitzen schleiche ich an ihm vorbei und schaue in das Schlafzimmer meiner Eltern, doch Mommy ist nicht da. Mommy ist nie da. Außer Nachts, wenn ich schon tief und fest schlafen sollte. Genau so wie Tanya, meine große Schwester. Sie ist jetzt sechzehn und hat keine Zeit mehr für mich. Nie. Dabei waren wir früher so oft zusammen und haben gespielt. Alles mögliche. Ob es Teeparty mit meinen Puppen oder Verstecken-Fangen im Garten war, sie hat immer alles mit mir gemacht. Daddy könnte später eine Teeparty mit mir machen, wenn er aufwacht. Damit er genug Zeit dafür hat, räume ich mit einem Grinsen im Gesicht alles weg, was auf dem Boden liegt. Ich freue mich schon auf die Teeparty. Das wird toll. Das ist es jedes Mal, auch wenn ich keinen echten Kuchen und Tee servieren darf. Die leeren Flaschen stelle ich in den Abstellraum, in dem mittlerweile schon kaum mehr Platz ist, weil so viele dort stehen und keiner sie weg bringt. Ich würde es tun aber das letzte Mal als ich das machen wollte hat mich ein Nachbar gesehen und das Jugendamt angerufen. Sie kamen zu uns nachhause und als sie weg waren hat Mommy mich so lange mit Schlägen dafür bestraft, bis meine Oberschenkel so aufgequollen waren, dass jeder Schritt, den ich tat, unheimlich schmerzte. Daddy hat nichts dagegen unternommen. Er hat mich mit ihr alleine gelassen und kam irgendwann am nächsten Morgen wieder. Das Wohnzimmer ist wieder ordentlich, auf dem Tisch steht ein großes Glas Wasser und eine Tablette, die Mommy immer nimmt, wenn sie Kopfschmerzen hat. Ich glaube, die sollte Daddy auch helfen. Ich sitze nun schon ganz lange hier, die Uhr lesen kann ich nicht, deswegen weiß ich nicht, wie lange genau aber es muss eine Ewigkeit sein, denn die Sonne geht schon wieder unter. Ungeduldig hocke ich auf dem Boden vor dem Sofa und warte bis Daddy aufwacht. Doch er wacht nicht mehr auf. Nie wieder.
„Maddie?" Eine bekannte Stimme reißt mich aus meinen Erinnerungen, zurück in die Gegenwart. Caden mustert mich mit besorgter Miene, seine Hand wischt mir heiße Tränen von meiner Wange. Wann habe ich angefangen zu weinen? Wieso habe ich das nicht gemerkt. „Was ist los?", fragt er. Ich schüttele schnell den Kopf, wische mir mit meinem Ärmel hastig übers Gesicht. „Nichts, alles bestens. Wie geht es dir? Hast du Hunger? Ich habe dir Frühstück mitgebracht aber wenn du lieber was anderes essen möchtest kann ich..." Er unterbricht mich, bevor ich mich noch mehr um Kopf und Kragen reden kann, indem er mir seinen Zeigefinger leicht gegen die Lippen drückt. „Es ist perfekt. Ich danke dir." Sein Lächeln, als er nach dem Teller greift, ist echt und schickt mir genau so viel Wärme in den Bauch, wie Dylans Wangenkuss vorhin. „Okay.", wispere ich und sehe einfach nur ruhig dabei zu, wie er die Toasts und einen Pancake isst. Sein Gesicht nimmt wieder etwas an Farbe an, was die Augenringe augenblicklich blasser aussehen lässt. „Ich trinke nie wieder, das kann ich dir sagen.", brummt Caden, als er sich die Aspirin einwirft, die ich ihm aus der Schublade seines Nachtschränkchens geholt habe. „Genau, das sagen sie alle.", murmle ich. „Hast du noch Schmerzen? Ist dir schlecht?" Seine Mundwinkel verziehen sich zu einem Lächeln. „Mir geht es gut, ist nicht mein erster Kater Frau Krankenschwester, aber vielen Dank für die Mühe." Ich erröte, schon wieder, bei seinen Worten. Wieso muss ich immer rot werden? „Zerbrich dir nicht dein süßes Köpfchen um mich, ich bin schneller wieder auf den Beinen als du gucken kannst." „Bloß nicht zu schnell, sonst kommt dein Frühstück dir wieder hoch und so gern ich dich habe, das mache ich nicht weg.", sage ich grinsend. „Wenn ich nicht die ganze Nacht gekotzt hätte, würde ich dich jetzt küssen. Du bist viel zu süß, um so freche Sachen zu sagen Madame." Ich lache auf. Es ist ein echtes Lachen, was mich wieder ganz weit von den schrecklichen Erinnerungen weg trägt. „Ich muss echt duschen, kommst du mit?", fragt Caden grinsend. „Das ist viel zu anstrengend für deinen Körper, du musst dich ausruhen.", antworte ich, ebenfalls grinsend. Er hebt eine Augenbraue, schüttelt jedoch nur lachend den Kopf. „Du bist unglaublich."
„Ich weiß. Ich lasse dich dann mal in Ruhe, damit du duschen kannst. Wenn du was brauchst rufst du mich, okay?"
„Und was ist, wenn ich dich brauche?"
Ich verdrehe lachend die Augen. „Geh jetzt duschen, das wird dir gut tun." Ich nehme den Teller und die Tasse, bin schon fast aus der Tür raus, als Caden noch mal meinen Namen ruft. Ich drehe mich um, sehe in seine schönen blauen Augen und höre mein Herz flattern. „Wenn irgendwas ist, dich irgendwas bedrückt oder du einfach reden willst, kannst du immer zu mir kommen, okay?"
Sofort schießen mir wieder Tränen in die Augen, die ich jedoch zurückhalte. „Okay.", flüstere ich und schließe die Tür hinter mir.
Am Nachmittag sitze ich im Wohnzimmer und schaue mir irgendeinen Film an. Dukes großer Kopf liegt auf meinem Schoß. Er lässt sich den Kopf von mir kraulen und genießt es wahrscheinlich gerade sehr, ein Hund zu sein. Caden ist vor einer halben Stunde rausgegangen. Nachdem Trevor sich über ihn lustig gemacht und gesagt hat, er solle Luna mitnehmen, weil sie mit ihrer Pfote genau so langsam läuft, wie er in seinem Zustand, ist er mit ihr abgehauen. Cody, Dylan und Trevor halten irgendeine geheime Besprechung im Büro ab. Allein sein tut mir überhaupt nicht gut. Meine Gedanken schweifen vom Film ab, zu dem Tag, als ich mit Trevor geschlafen habe. Es war doch so schön und er war so anders zu mir als sonst. So nett. Wieso ist er plötzlich wieder so eiskalt? Als ich dran denke, dass ich knappe 40 Stunden später zwei seiner besten Freunde geküsst habe und Sex mit einem von ihnen hatte, erfasst mich eine Gänsehaut. Was ist bloß los mit mir? Sie lassen mich hier wohnen und sind total lieb zu mir, die meisten zumindest, und ich benehme mich wie eine verdammte Hure und werfe mich jedem von ihnen an den Hals. „Fuck!", stoße ich vor Schreck aus, als sich jemand neben mich auf die Couch fallen lässt. Duke knurrt, was ich als Zeichen dafür deute, dass ich nicht aufhören soll sein Köpfchen zu kraulen.
„Hast dich schonmal mehr gefreut mich zu sehen, Prinzessin." Trevor.
„Sorry.", murmle ich, beschämt darüber, ihn gerade angeschrien zu haben.
„Hier." Er hält mir eine weiße Verpackung mit blauer Schrift vor die Nase. Anstatt zu lesen, was drauf steht, starre ich ihn fragend an. „Was ist das?"
„Die Pille danach.", antwortet er trocken, als würde er das Wetter verkünden und nicht, als hätte er gerade vor versammelter Mannschaft erwähnt, dass wir Sex hatten.
„Aber wir haben doch verhütet.", mischt Cody sich nun auch ein. Ich weiß nicht wieso ich davon ausgegangen bin, dass Trevor es ihm erzählt hat. Vielleicht, weil Caden auch direkt zu Trevor gerannt ist nach der Sache im Pool, du Dummtorte.
„Ja, ihr vielleicht. Wir aber nicht. Ich ficke nicht mit Kondom, das weißt du doch.", antwortet Trevor und wendet sich danach mir zu. „Und jetzt runter damit. Die normale Pille habe ich dir auch besorgt, wenn du anfangen möchtest sie zu nehmen. Sie liegt in deinem Badezimmerschrank."
Beschämt nehme ich ihm die Packung aus der Hand, hole die Pille raus und schlucke sie mit einem Schluck Wasser zusammen runter. Mein Blick klebt am Boden. Ich traue mich nicht mehr, auch nur einen von ihnen anzusehen, doch Dylan macht mir einen Strich durch die Rechnung. Er kniet sich vor mich auf den Boden, nimmt mein Gesicht in seine Hände und sieht mich an. „Hör endlich auf, dich schuldig zu fühlen oder dich für irgendwas zu schämen. Tu was du willst. Wenn du mit Trevor schlafen willst schlaf mit Trevor. Wenn du mit einem anderen von uns schlafen willst, dann schlaf mit ihm. Wenn du zwei von uns willst, dann nimm dir zwei. Wenn du alle willst, nimm dir alle, okay? Zerdenk nicht immer alles. Du bist viel schöner ohne diese Falten auf der Stirn, die du hast, wenn du nachdenkst." Er drückt mir einen Kuss auf die besagte Falte und lächelt. „Wir wussten es übrigens schon, er hat es uns gestern Abend direkt erzählt aber so ist er eben. Nimm es ihm nicht übel."

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