Kapitel 3

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Okay.... ganz ruhig... Ich atmete tief in den Bauch und blies die Luft dann langsam wieder aus. Ein paar Mal. Bis ich das Gefühl hatte, ein wenig entspannter geworden zu sein. Mit einem gezwungenen Lächeln erhob ich mich. Als erstes würde ich dieses Zimmer verlassen und herausfinden, wo ich war und in welchem Jahr ich mich befand. Und dann konnte ich mir weitere Schritte überlegen. Ich machte mir vermutlich völlig unnötig einen Kopf. Bestimmt!

Eines war jedenfalls klar: ich war in meiner eigenen Familiengeschichte gelandet. Und würde daher nichts verändern. Denn nicht auszudenken, was das für Folgen das haben konnte! Womöglich würde ich dann nicht einmal geboren werden, wer weiß... Obwohl... ich schüttelte den Kopf. Es ging lediglich um die Halbschwester meines Opas. Die hatte mit meiner direkten Biografie wohl wenig zu tun. Dennoch... sicher war sicher.

Und als nächstes musste ich herausfinden, wie ich wieder zurück die die Gegenwart käme. Ich schluckte. Wo war mein eigener Körper jetzt? Wann würde sich meine Kinder Sorgen machen, wenn sie nichts von ihrer Mutter hörten? Und was würde mein Ex denken, wenn er mich für irgendwelche Rückfragen nicht erreichen konnte? Ich seufzte resigniert. Immerhin waren die beiden bei ihm gut aufgehoben.

Entschlossen drückte ich die Tür auf und blickte in einen schmalen Flur. Auch hier fiel durch ein kleines Fenster Sonnenlicht hinein und malte Kringel auf dem Fußboden. Eine enge Holzstiege führte nach unten und schwarz-weiße Fotografien einer Berglandschaft säumten die Wand. Es roch leicht nach Essig, vermischt mit einer gerade noch wahrnehmbaren Spur von Kaffee. Letzteres gab mir den Anstoß, den ich brauchte, um die Tür hinter mir zuzuziehen und einen Schritt auf die Treppenstufen zu setzen.

In meinem Magen grummelte es. Über die ganze Aufregung hatte ich schlicht vergessen, dass ich noch nicht gefrühstückt hatte. Wie spät war es? Mein Blick flog zu meinem Handgelenk, aber wo vorher eine Uhr gewesen war, war nur blanke Haut zu sehen. Erfreulicherweise weniger blass als sich mein Teint üblicherweise präsentierte. Offenbar hatte sich Magdalena öfters an der frischen Luft aufgehalten als ich es tat. Na ja, wer weiß, wie lange sie schon hier in den Bergen war.

Die Treppe knarzte, als ich mit nachdenklichen Schritten Stufe um Stufe nach unten ging. Der weite Rock des Dirndls umspielte meine Knie, was sich merkwürdig beruhigend anfühlte. Mehr im Vorübergehen registrierte ich eine weitere Etage, von der zwei Holztüren abgingen, während meine Gedanken unablässig durch meinen Kopf ratterten. Wenn ich keine Armbanduhr trug, hieß das dann, dass es noch keine gab? Ich versuchte mich an das Geburtsjahr meines Opas zu erinnern, doch bevor ich diesem Gedankenstrang folgen konnte, wurde ich durch das Erscheinen eines Mannes unterbrochen, der mir entgegenkam.

Die Treppen vibrierten unter seinem energischen Schritt, dennoch war sein Blick nach unten gerichtet und er gewahrte mich daher erst, als ich direkt vor ihm stand.

„Oh, entschuldigen Sie!"

Seine Stimme war tief und volltönend, ohne jeden Dialekt. Anscheinend war er ebenfalls nicht von hier. Sein dunkelbraunes Haar war an den Seiten kurz geschnitten, das mit einem akkuraten Seitenscheitel versehende Deckenhaar war jedoch lang und fiel ihm ein wenig in die Stirn. Höflich drückte er sich an die Wand, um mich durchzulassen, den Blick längst wieder gedankenverloren irgendwo auf die Treppenstufen gerichtet.

Sollte ich ihn nach dem Jahr fragen, in dem wir uns befanden? Aber damit würde ich mich nur der Lächerlichkeit preisgeben. Ich nickte ihm daher nur freundlich zu und setzte meinen Weg nach unten fort, der mich schließlich in einem sonnenüberfluteten Frühstücksraum landen ließ. Die Terrassenfenster reichten bis zum Boden und waren teilweise geöffnet, ein intensiver Duft nach Kiefer zog daher herein und die sich sicher noch im Laufe des Tages entwickelnde Wärme war bereits im Ansatz zu spüren. Es versprach ein schöner Sommertag zu werden.

Die Entscheidung  ( ONC 2024 )Where stories live. Discover now