Kapitel 5

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"Bitte was?" Ich musste einen einigermaßen verdutzen Gesichtsausdruck gemacht haben, denn sie brach in ein vergnügtes, aber nicht unfreundliches Lachen aus und streckte mir einen kleinen Kasten entgegen.

"Hier! Ich habe die Belichtung schon eingestellt. Sie müssen nur den Apparat auf mich richten und vor jedem Bild diesen Hebel hier herunterdrücken." Hilfreich deutete sie auf eine kleine metallene Vorrichtung. "Vor dieser Kulisse muss man sich doch einfach ablichten lassen, finden Sie nicht auch?"

Sie wartete meine Antwort nicht ab, sondern stellte sich ein paar Meter entfernt an einem Felsen in Positur, ein Bein dabei gelenkig nach hinten ausgestreckt und den linken Arm elegant erhoben. Etwas überrumpelt musste ich zugeben, dass sie eine natürliche Anmut besaß, die den Wunsch nach Fotoaufnahmen verständlich machte. Vorsichtig drückte ich den Hebel herunter, worauf ein leichtes Sirren entstand.

"Wunderbar!", erwiderte die Blondine mit überraschend wenig Dialekt. "Und jetzt noch hier drüben am Wasser, ja?"

Flink wie eine Katze kletterte sie über einen großen Felsen, bis sie direkt vor dem herabplätschernden Wasser stand. Ich hatte keine Ahnung, wie man bei diesem altmodischen Geräte den Zoom einstellen konnte und sah mich daher bemüßigt, dem Energiebündel zu folgen. Trotz des ungewohnten Gerätes in der Hand fühlte ich mich weniger ungeschickt als sonst, was eindeutig an Magdalenas sportlicher Statur liegen musste. Dennoch konnte ich nicht verhindern, dass mein Fuß plötzlich auf einem der glitschigen Steine abrutschte und dann schmerzhaft zur Seite umknickte.

Hastig stützte ich mich mit der freien Hand zur Seite ab und konnte gerade noch verhindern, dass ich mitsamt der Kamera ins Wasser glitt. Doch in meinem Fuß pochte es längst verräterisch und mit einem kleinen Schmerzensschrei entlastete ich rasch den verletzten Knöchel.

"Um Himmels Willen!" Der Lockenkopf tauchte einen Augenblick später direkt vor mir auf und musterte mich besorgt. "Haben Sie sich verletzt?" Ihre vorige Fröhlichkeit war wie fortgewischt.

"Ich weiß nicht. Mein Fuß..." Ich versuchte ihn zu bewegen, zuckte aber sofort zusammen.

"Herrje, das tut mir leid!", gab die Frau vor mir betroffen von sich, nahm mir die Kamera ab und stellte sie auf einen flachen Felsen. "Hoffentlich haben Sie sich Ihren Fuß nur geprellt. Am besten, Sie lagern ihn mal hoch und ich hole etwas zum Kühlen."

Mit einer Effizienz, die ihrer vorherigen Energie entsprach, half sie mir auf eine kleine Grassode, auf der ich meinen Fuß ausstrecken konnte und entfernte vorsichtig den Wanderstiefel. Ich biss die Zähne fest zusammen, obwohl ich am liebsten geflucht hätte. Nichts, aber auch gar nichts ging so vonstatten, wie ich es wollte. Meine Begleiterin tunkte ihre Schürze in den Bach und wickelte den nassen Stoff dann um meinen Fuß, was tatsächlich ein wenig Linderung brachte.

Sie ließ sich neben mich ins Gras fallen und für ein Weilchen schwiegen wir. Das aus einem Spalt im Felsen hervorspritzende Wasser brach das Sonnenlicht in die Farben des Regenbogens und der sich dann bildende kleine Bach suchte sich seinen Weg hinunter ins Tal. Er funkelte wie eine Handvoll Diamanten und ich verfolgte seinen Lauf, bis er aus meinem Blick verschwand.

Die Stimme meiner Begleiterin riss mich aus meinen Betrachtungen. "Ich bin übrigens die Eva", sagte sie und streckte mir freundlich die Hand entgegen.

"Lena", stellte ich mich zögernd vor und erwiderte ihren Händedruck verlegen.

"Es tut mir wirklich leid, was passiert ist, Lena", versicherte Eva erneut und machte einen überaus zerknirschten Eindruck. "Ich liebe es, Fotos aufzunehmen. Normalerweise ist meine Schwester Gretl mit von der Partie. Sie fotografiert genauso gern und wir lichten uns dann oft gegenseitig ab." Eva seufzte und strich sich die in die Wange gefallenen Locken hinters Ohr. "Leider ist sie diese Woche nicht da." Sie schwieg einen Moment und fragte dann:

"Fotografieren Sie auch?"

"Gelegentlich", erwiderte ich vage und fragte mich, wie ich das Gespräch unverfänglich auf das Jahr bringen konnte, in dem wir uns befanden. Genau wie ich trug Eva ein Dirndl, was jedoch mehr den hiesigen Gepflogenheiten Rechnung zu tragen schien als der Zeit, in der sie lebte und mir daher keinen Anhaltspunkt gab.

"Mit dem neuen Farbfilm werden die Fotografien sogar noch echter... Ich entwickle auch selbst." Mit dem Finger malte sie Kreise auf dem dunkelgrünen Stoff ihres Dirndls.

"Wow", entfuhr es mir. "Wo haben Sie das gelernt?" Es fühlte sich komisch an, jemanden zu siezen, der einem den Vornamen verraten hatte, aber selbstverständlich passte ich mein Verhalten der Frau neben mir an. 

"Ich habe früher bei einem Fotografen gearbeitet", verkündete Eva mit hörbarem Stolz in der Stimme.

"Und jetzt nicht mehr?"

Täuschte ich mich oder war da ein leicht bedrückter Schimmer in ihren Augen? Doch einen Augenblick später war dieser schon wieder verschwunden.

"Ach", sagte sie mit einem Lächeln im Gesicht und einer wegwerfenden Handbewegung. "Hin und wieder verkaufe ich ein paar meiner Bilder an ihn, die er dann weiterverkauft." Ein Leuchten war in ihre Augen getreten und ließ sie nun mit ihrer Situation im Reinen wirken.

"Und Sie sind verheiratet?" Evas aufmerksamer Blick glitt hinunter zu meinen Fingern, die ich im Schoß verschränkt hielt. Mein wortkarges Nicken hielt sie jedoch nicht davon ab weiterzufragen: "Kinder haben Sie aber noch keine, oder?"

Ein Stich durchfuhr mich. Wie mochte es Noah und Emily gehen? Doch Magdalena hatte noch keine Kinder... ich verneinte daher.

"Ich hätte gerne Kinder", schwärmte Eva und blickte verträumt in den blauen Himmel empor. "Mindestens drei... Aber bis es soweit ist, kümmere ich mich um die goldigen Kleinen unserer Nachbarn oder Freunde."

Die Sehnsucht nach Nachwuchs war ihrer Stimme deutlich zu entnehmen. Warum sie wohl in ihrem Alter keine hatte? Unauffällig sah ich auf Evas rechte Hand, doch kein Ehering zierte ihren Finger, was in diesen Zeiten wohl Antwort genug war.

Vorsichtig bewegte ich meinen Fuß, ohne dass dieser protestierte. "Ich glaube, ich müsste dann mal zurück", besann ich mich auf mein Ziel. "Wissen Sie, wie ich zum Hof der Frau Huber gelange?"

Kritisch blickte Eva auf meinen Fuß. "Der Weg wird mit Sicherheit zu lang sein", meinte sie zweifelnd. "Geht's denn überhaupt schon?"

Versuchsweise erhob ich mich und erfreulicherweise hielt mein Fuß einer vorsichtigen Belastung stand. Allerdings hatte meine neue Bekannte Recht, an eine lange Strecke war mit Sicherheit noch nicht zu denken. Eva sah nachdenklich auf ihre Armbanduhr und dann trat ein entschlossener Ausdruck in ihr Gesicht.

"Ich werde sie dorthin fahren lassen", verkündete sie mit Nachdruck und stand mit einem Ruck auf.. "Der Wagen dürfte ohnehin bald hier sein."

Verblüfft starrte ich die Frau vor mir an. Gefahren werden - das klang irgendwie nach Chauffeur und Prominenz und dennoch wirkte Eva in ihrer Natürlichkeit kein bisschen wie eine Berühmtheit. Musste ich sie kennen?


Die Entscheidung  ( ONC 2024 )Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt