Kapitel 10

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Die nächsten beiden Stunden vergingen, in dem wir angeregt über vielfältige Themen philosophierten, wobei wir beide tunlichst darauf achteten, die Politik außen vor zu lassen. Was mir aus verschiedenen Gründen nur recht war. Nicht nur dass ich mich mit meinen Äußerungen gehörig aufs Glatteis begeben konnte, denn ich hatte natürlich keine Ahnung, ob ich dem Schriftsteller trauen konnte - ich hatte auch schlichtweg zu wenig Ahnung von dem Jahr, in das es mich verschlagen hatte.

Insofern fand ich keine Zeit, auch nur an einen Gedanken an die prekäre Lage, in der ich mich befand, zu verschwenden. Ich genoss den gegenseitigen Gedankenaustausch, den ich mit Nils nie in dieser Gänze gehabt hatte, und ging auf in dem Gefühl, einen Gesprächspartner zu haben, der eine gute Unterhaltung ebenso zu schätzen wusste wie ich.

Nach einer Weile nagte jedoch das schlechte Gewissen an mir.

„Ich glaube, ich sollte Sie jetzt mal wieder Ihrem Buch überlassen", murmelte ich und fragte mich gleichzeitig, wie ich die restliche Zeit des Tages verbringen sollte. An großartige Bewegung war wegen meines Fußes ohnehin nicht zu denken. „Ich habe Sie bereits viel zu lange vom Schreiben abgehalten."

„Ehrlich gesagt schlägt Ihre Gesellschaft mein Manuskript gerade um Längen", gab Herr Manshagen unumwunden zu. Aufmerksam ruhten seine Augen auf mir und entfachten ein leichtes Kribbeln in meiner Magengegend.

„Wenn das so ist – ich bin übrigens Lena."

Ich streckte ihm nervös die Hand entgegen, ohne die geringste Vorstellung davon zu haben, ob mein Verhalten angemessen oder dreist war. Doch ich konnte das Fräulein Köhler langsam nicht mehr hören, genauso wenig wie das sperrige Herr Manshagen.

Mein Gegenüber stutzte nur kurz, dann breitete sich wieder dieses ansprechende Lächeln auf seinem Gesicht aus und er ergriff meine Hand: „Ludwig."

Was für ein absolut alter Name. Er erinnerte mich an Erich Kästners Doppeltes Lottchen. Aber dieses Mal verkniff ich mir das Lachen. Ich hatte Glück, dass man aus Magdalena Lena machen konnte.

„Wie wäre es mit einem Spaziergang? Solange der angekündigte Regen noch nicht Einzug gehalten hat? Wobei ich nicht weiß, ob Schwalben da so vertrauenswürdig sind." Er zwinkerte mir zu.

„Wenn mein Fuß das mitmacht, gerne."

Ich erhob mich und erzählte auf Ludwigs fragenden Blick hin von meinem gestrigen Missgeschick, ohne zunächst den Grund für die Verletzung näher auszuführen. „Zum Glück...", ergänzte ich lediglich, während wir den Gastraum verließen und in den Flur traten, „... war Fräulein Braun in der Nähe und hat mir ihre Hilfe angeboten."

Ich warf Ludwig einen vorsichtigen Blick von der Seite zu, doch offenbar sagte ihm der Name Braun genauso wenig wie mir am Anfang, denn er fragte nur neugierig:

„Fräulein Braun?"

„Die....", ich zögerte eine Sekunde – wollte ich wirklich von den Details berichten? – „...Privatsekretärin von Hitler."

Ludwig blieb stehen, hob die Augenbrauen und starrte mich mit einem seltsamen Blick an. Schließlich öffnete er mit einem Knarzen die Eingangstür und hielt sie mir auf.

„Das erklärt den Wagen gestern Abend und Ihre Begegnung", kommentierte er, um Leichtigkeit bemüht. Dennoch schien sich eine leichte Anspannung in seine Stimme geschlichen zu haben, die ich nicht recht einordnen konnte. Hatte ich etwas Falsches gesagt?

„Frau Huber hatte mich gestern noch darauf angesprochen. Als Sie..."

„Du", korrigierte ich mit einem nervösen Lächeln und trat hinaus ins Freie, wo mich auch ohne Sonnenschein die angenehme Wärme eines Sommertages umfing.

Die Entscheidung  ( ONC 2024 )Where stories live. Discover now