Kapitel 17

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Frau Huber war so freundlich gewesen, mir ihre Küche zur Verfügung zu stellen, samt Zutaten wie Mehl, Zucker, Milch, Sahne und natürlich Eiern direkt von den hofeigenen Hühnern. Von einer späteren Bezahlung wollte sie nicht wissen.

„Seien's nicht albern, Fräulein Köhler", hatte sie mir widersprochen. „Wenn Sie doch Geburtstag haben."

Meine Gastgeberin war entzückt darüber, dass ich mich entschlossen hatte, einen Kuchen zu backen, und hatte sichtbar geschmunzelt, als sie mich in die Handhabung des Ofens hatte einweisen müssen.

Nie wieder, schwor ich mir jedoch eine halbe Stunde später, würde ich in diesen Zeiten noch einmal einen Kuchen backen. Meine rechte Hand schmerzte vom dauernden Rühren, obwohl meine linke sie zwischendurch für ein Weilchen abgelöst hatte. Aber die Konzentration auf die simple Tätigkeit hatte immerhin etwas Meditatives gehabt, was mich davon abgehalten hatte, meine Gedanken in unerwünschte Richtungen driften zu lassen.

Nun lag eine Handvoll Brombeeren vor mir, die ich vorsichtig mit dem Teig vermischte, den ich dann in eine Kuchenform gleiten ließ. Und dann... mein Blick glitt zu dem kleinen Stoffbeutel, den ich auf den Tisch gelegt hatte. Unvermittelt fuhr mir die Anspannung in den Nacken und breitete sich von dort den ganzen Rücken hinunter aus. Nicht nachdenken, Lena!

Ich holte tief Luft und entfernte die Kordel, die wegen meiner fahrigen Finger sofort auf den Boden fiel. Dann griff ich nach dem Paar Handschuhe, das ich mir schon heute Morgen von Frau Huber für das Pflücken von Pflanzen ausbedungen hatte und machte Anstalten, sie mir überzustreifen. Meine rechte Hand zitterte dabei so stark, dass es mir kaum gelang, in den Stoff hineinzufahren. Oh Gott, was tue ich hier...

Es ist für einen guten Zweck! Wie ein Mantra intonierte ich die Worte in meinem Kopf und bemühte mich, meinen Atem unter Kontrolle zu bringen. Ich spürte, wie mir die Wärme in die Wangen stieg. Ich hatte keine wirkliche Ahnung, was ich hier tat, handelte allein aus einer Erinnerung und Vermutung heraus. Dennoch war dies die einzige Möglichkeit, die ich für mich als durchführbar erkannt hatte. Geschützt durch die Lederhandschuhe spürte ich nicht mehr den weichen Stoff des Beutels und musste aufpassen, dass er nicht meinen Händen entglitt.

Langsam drehte ich ihn und schüttelte ihn ein wenig, so dass kleine, faserige Samen auf ein Stück Butterbrotpapier fielen. So unscheinbar. So harmlos. Doch mit Sicherheit in ihrer Menge tödlich. Der Name war in meinem Kopf widerhallt, sobald mir klar gewesen war, dass Gift die einzige Möglichkeit zum Erfolg darstellen würde. Denn ich hatte die schöne Blume erkannt gehabt, auch ohne dass Lu mir ihren Namen verraten hatte.

Schließlich waren die Giftpflanzen so ziemlich das Einzige gewesen, das mir von unserem Biounterricht im Gedächtnis geblieben war. Goldregen. Tollkirsche. Aronstab. Und Eisenhut. Von dem alles giftig war, von der Wurzel bis zu den Blütenblättern. Und ausgerechnet der wuchs hier in den Bergen. Wenn das nicht ein Zeichen war....

Aus der Ferne drang das Krächzen eines Raben in die Küche. Das Geräusch hatte etwas Klagendes an sich. Ich spürte, wie mir unwillkürlich der Schweiß ausbrach. Du backst lediglich einen Kuchen, Lena. Das ist alles. Danach sieht man weiter...

Nervös ließ ich schließlich die Samen vom Papier in einen kleinen Teil des Teiges gleiten und setzte oben sichtbar eine Brombeere darauf. Dann schob ich das Ganze in den Ofen. Schaute auf die Uhr. Vierzig Minuten. Zog die Handschuhe aus und legte sie beiseite. Ließ Wasser in die Spüle fließen und begann mit dem Abwasch.

War die Menge der Samen ausreichend gewesen? Würde die Hitze womöglich das Gift zerstören? Niemals hatte mir das Internet mit seinen Recherchemöglichkeiten so gefehlt wie jetzt. Aber ich musste es probieren. Es war die einzige Chance. Lieber Gott, mach, dass alles gut geht!

Die Entscheidung  ( ONC 2024 )Where stories live. Discover now