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Die ganze Nachtschicht über kämpfte ich mit einem unangenehmen Taubheitsgefühl in meiner Hand, das sich schleichend bis zu meinem Ellenbogen ausbreitete. Nun war ich zu Hause, das von der sanften Morgensonne erhellt wurde, die durch die Ritzen meiner Jalousien drang. Vor knapp vierzig Minuten endete meine Schicht und vor etwa zwanzig Minuten fand ich mich müde und erschöpft in meiner eigenen Wohnung wieder.
Etwas umständlich und mit einem Gefühl der Hilflosigkeit versuchte ich mich auszuziehen, da es sich doch als umständlicher herausstellte, mit nur einer Hand. Doch irgendwie schaffte ich es und hatte nun endlich meine Schlafkleidung an. Gestresst und mit einem Anflug von Verzweiflung pustete ich mir meine blonden Haare zur Seite, die mir wild und ungezähmt im Gesicht hingen und meine Sicht versperrten.

Ich schlurfte zurück ins Wohnzimmer, um mein Handy zu holen, das auf dem Couchtisch lag, und blickte dann in Richtung meiner offenen Küche. Sollte ich etwas essen? Mein Magen knurrte nicht wirklich, aber ich hatte seit gestern Nachmittag nichts mehr gegessen, da ich viel zu spät wach wurde und sonst zu spät zur Arbeit gekommen wäre. Aber so wirklich Hunger spürte ich eigentlich auch nicht.
Kurz überlegte ich, bevor ich mich dazu entschied, doch noch eine Kleinigkeit zu essen, um meinen Körper nicht vollständig auf Entzug zu setzen. Doch kaum hatte ich den ersten Schritt in Richtung Küche getan, fühlte es sich an, als wäre kein Boden unter mir. Ich stolperte und konnte mich gerade noch mit meinem linken Arm auffangen, um nicht mit dem Gesicht voran auf den Boden zu krachen. Verwirrt drehte ich mich um, um zu sehen, was mich zu Fall gebracht hatte. Doch es war nichts zu sehen.

Als ich mich wieder aufrichten wollte, bemerkte ich mit einem Schaudern, dass ich mein rechtes Bein nicht mehr spürte und deshalb hingefallen war. Mit einem leisen Fluchen, das in der Stille meiner Wohnung widerhallte, tippte ich mit den Fingern gegen mein Bein, doch es blieb stumm und unempfindlich. Entmutigt und mit einem Gefühl der Hilflosigkeit ließ ich den Kopf hängen und ließ mich nach hinten auf den Boden fallen. "Du hättest wenigstens warten können, bis ich im Bett liege", murmelte ich meinem tauben Bein vorwurfsvoll zu.
Meine linke Hand streckte sich nach meinem Handy aus, das bei meinem Sturz aus meiner Hand gerutscht war, doch es war außerhalb meiner Reichweite. Natürlich könnte ich mich mühsam zur Couch oder sogar in mein Bett schleppen, aber ich hatte absolut keine Lust dazu.

Als ich dort auf dem kalten, harten Boden lag und mein Wohnzimmer aus dieser ungewohnten Perspektive betrachtete, fiel mir auf, wie trostlos und leer es war – so leer und unpersönlich. Mein Blick schweifte über die spärliche Einrichtung: Eine einsame Couch, ein schlichter, kahler Tisch davor und ein Sideboard, auf dem ein Fernseher vergeblich versuchte, etwas Leben in den Raum zu bringen. In einer Ecke stand eine Pflanze, die schon bessere Tage gesehen hatte, und ihre einst grünen Blätter waren nun von einer traurigen Braunfärbung überzogen.
Meine Wände waren in einem eintönigen, sterilen Weiß gestrichen, das jeden Versuch, Gemütlichkeit zu verbreiten, im Keim erstickte. Nicht einmal Bilder hingen an den Wänden, um die kahle Fläche aufzulockern und dem Raum etwas Persönlichkeit zu verleihen.

Während ich so dalag und über meine Wohnung nachgrübelte, wurde mir bewusst, dass meine gesamte Wohnung so wirkte. Im Vergleich zu Jisungs Wohnung, die farbenfroh und voll gestellt war, bis man sich kaum noch frei bewegen konnte und die vor Leben und Wärme nur so strotzte, wirkte meine Wohnung noch deprimierender. Jisungs Wohnung war ein Ort, an dem man sich willkommen und geborgen fühlte, während meine Wohnung so kalt und leblos wirkte wie eine Gruft.
Aber was hätte es gebracht, sie einzurichten und zu personalisieren? Es hätte mich nur noch trauriger gemacht, jeden Tag gemeinsame Bilder zu sehen und zu wissen, dass ich diese Menschen eines Tages verlassen würde und sie traurig und verlassen zurückblieben.
Erneut seufzte ich tief und schloss meine Augen, während ich weiterhin auf dem Boden lag, der so kalt war, dass er mir das Mark in den Knochen gefrieren ließ. Die Müdigkeit kroch langsam in meinen Körper und ich spürte, wie sie mich in den Schlaf zog. Schließlich gab ich mich ihr hin und schlief auf dem kühlen Boden ein.

Irgendwann wurde ich durch das schrille Klingeln meines Handys aus dem Schlaf gerissen. Langsam öffnete ich meine Augen, die noch vom Schlaf benebelt waren. Ich realisierte gar nicht sofort, wo ich war, und sah mich müde um, während ich mich langsam aufrichtete. Sofort verspürte ich Schmerzen in meinem Rücken, die wie Nadelstiche durch meinen Körper schossen und mich wimmern ließen. Ich klopfte mir selbst auf den unteren Rücken, als mir wieder einfiel, dass ich auf dem Boden eingeschlafen war und es sofort bereute, mich nicht wenigstens auf die Couch geschleppt zu haben.
Mit halb offenen Augen sah ich in die Richtung, aus der das Klingeln kam. Ich wollte mein Handy mit meiner rechten Hand greifen und wunderte mich, warum ich sie nicht sah, bis mir wieder einfiel, dass ich sie gerade gar nicht spüren konnte. Ich sah auf meinen Arm und umgriff erneut meine Hand, tastete mich nach oben hinab, um zu testen, bis wohin die Taubheit reichte, um zu wissen, ob es weniger oder sogar mehr wurde wie in diesem Fall. Dieses Mal spürte ich nicht einmal mehr meinen Oberarm und meine rechte Schulter.

In der Zwischenzeit hatte das lästige Klingeln des Handys aufgehört, nur um kurz darauf erneut zu beginnen. Völlig gereizt und mit zerzausten Haaren schleppte ich mich irgendwie auf das nervtötende Gerät zu und empfing den Anrufer mit einem zornigen: "Was?" Es herrschte eine bedrückende Stille am anderen Ende der Leitung, bevor ich ein leises, fast zögerliches "Tut mir leid" hörte. Es war Jisung. "Ich habe dich geweckt, oder?", fragte er vorsichtig, seine Stimme von Entschuldigungen und Besorgnis erfüllt.
Mit einem tiefen Seufzer ließ ich den Kopf sinken und schüttelte ihn, obwohl er es nicht sehen konnte. "Tut mir leid, Ji. Was gibt's?", fragte ich, während ich vergeblich versuchte, meine Müdigkeit zu unterdrücken. "Eigentlich wollte ich dich fragen, ob du mit in die Innenstadt willst, vor unserer Schicht? Ich will zum Friseur und brauche deinen Rat", fragte er, und ich konnte die aufkeimende Freude in seiner Stimme hören, die im Kontrast zu meiner eigenen Stimmung stand.

Ein müdes Lächeln huschte über mein Gesicht, während ich vergeblich versuchte, mein rechtes Bein zu bewegen. Aber es rührte sich nicht. "Tut mir leid, Ji, aber ich fürchte, das wird nichts", murmelte ich leise, während ich mich mit meinem linken Bein von der Stelle schob. Ich zog mein Bein an mich heran, um mich damit wegzudrücken, und ließ meinen Hintern über den kalten Boden gleiten, bis ich die Couch erreichte und mich gegen diese lehnte. "Wieso?", fragte mein bester Freund besorgt. "Hast du etwa Besuch?", fügte er scherzhaft hinzu, und ich wusste, dass er nur versuchte, die Situation aufzulockern.
Mein Blick wanderte wieder durch den Raum, und ich seufzte erneut. "Nein, das nicht", begann ich leise. "Ich spüre meine komplette rechte Seite nicht mehr", gestand ich schließlich kleinlaut. "WAS?", schrie er mir ins Ohr, und ich hielt das Handy instinktiv etwas von meinem Ohr weg. "Ich komme sofort vorbei", rief er laut, und danach folgte ein Tuten.

Mit einem leichten Schmunzeln, das mehr Traurigkeit als Freude ausdrückte, blickte ich auf mein Handy und schüttelte den Kopf über seine Reaktion. Keine halbe Stunde später stand Ji vor mir im Wohnzimmer, das nun von dem Licht der Mittagssonne durch die Schlitze meiner Jalousien erhellt wurde, und half mir, indem er mich stützte und mich auf die Couch setzte.
Er hatte einen Ersatzschlüssel von mir und kam deshalb auch ohne Probleme bei mir rein. "Wie lange merkst du schon nichts mehr? Gestern war doch noch alles in Ordnung, oder?", fragte er mich sofort, während seine Stimme vor Sorge zitterte.
Ich zuckte mit den Schultern, wobei sich nur eine hob, und blickte auf meine Füße, die wie Fremdkörper wirkten. Ich ließ meine Zehen wackeln, aber nur die Linken bewegten sich. "Gestern während der Schicht war es nur meine rechte Hand und sobald ich zu Hause war, auch das Bein. Als ich aufwachte, war es dann schon bis zur Schulter", erklärte ich kurz, während ich besorgte Blicke von Ji erntete, die mich an ein Reh im Scheinwerferlicht erinnerten. "Wissen es deine Eltern schon?", fragte er und holte bereits sein Handy aus der Tasche, bereit sie anzurufen.
Ich schluckte schwer und schüttelte den Kopf. "Noch nicht", murmelte ich kleinlaut.

Jisung strich mir mit einer sanften, fast zärtlichen Geste über den Rücken, doch die Wärme seiner Berührung drang nur teilweise durch, da ich nur auf der einen Hälfte meines Rückens ein Gefühl hatte. Meine Gedanken rasten, während ich auf meine Unterlippe biss, die sich langsam rötete von der Kraft, die ich aufwendete. Unweigerlich kam der Gedanke in mir hoch, dass es bald vorbei sein könnte mit mir. Ich hatte keine Angst vor dem Tod, aber ich hoffte, dass es, wenn es so weit war, schnell gehen würde.
Während ich in meinen Gedanken versunken war, hatte mein bester Freund mit Tränen in den Augen meine Eltern angerufen. Sie kamen in Rekordzeit hierher und ihre Gesichter waren von Angst und Sorge gezeichnet. Sofort kam mir meine Mutter weinend entgegen und umarmte mich fest. Ihre Wärme und ihr vertrauter Duft umhüllten mich. Ich berührte ihre Schulter in einem verzweifelten Versuch, sie zu trösten, und flüsterte: "Es ist alles in Ordnung, Ma." Ein Lächeln, das ich nicht wirklich fühlte, huschte über meine Lippen, als ich ihren besorgten Blick traf. Mein Vater stand daneben, seine Augen voller Sorge und Hilflosigkeit, als er mich ansah.

Der Tag zog sich düster und endlos hin. Meine Eltern brachten mich ins Krankenhaus, wo sie jede erdenkliche Untersuchung anordneten. Neue MRT- und CT-Scans, Blutuntersuchungen und noch viel mehr wurden durchgeführt, nur um am Ende erneut vor dem angeblichen Spezialisten zu sitzen. Seine Stimme klang wie ein Todesurteil, als er uns mitteilte, dass sich mein Zustand verschlechtert hatte – wieder einmal.
Meine Mutter brach in Tränen aus wie jedes Mal, und seit diesem Tag verschlechterte sich mein Zustand zunehmend. Es waren erst drei Tage vergangen, und ich konnte auch mein zweites Bein nicht mehr spüren. Ich hatte nur noch meine linke Oberkörperhälfte und meinen linken Arm, den ich bewegen konnte. Mein Vater legte mir einen Katheter, da ich nicht einmal mehr meine eigene Blase kontrollieren konnte.

Als ob es nicht schon schlimm genug wäre, dass ich in meiner winzigen Zweizimmerwohnung mit einem Rollstuhl herumfahren musste – nein, es kamen auch noch unerträgliche Schmerzen hinzu. Schmerzen, die ich eigentlich gar nicht spüren dürfte, da 80 % meines Körpers gelähmt waren. Und doch durchzuckte mich ein unglaublicher Schmerz, gerade von diesen gelähmten Stellen aus, der mich jedes Mal zusammenzucken ließ, als würde ein Blitz durch meinen Körper fahren.
Mein Verstand wusste, dass es nur Phantomschmerzen waren, aber mein Körper schien diese Tatsache hartnäckig ignorieren zu wollen. Täglich liefen mir unzählige Tränen in die Augen, da die Schmerzen unerträglich wurden. Dazu kam eine unerträgliche Übelkeit, die mich mehrmals am Tag dazu zwang, mich über die eiskalte Keramik des Toilettenbeckens zu beugen und mich zu übergeben, bis mein Magen nur noch ein hohles Echo von sich gab.

Wenn ich nicht gerade damit beschäftigt war, meine kalte, schweißbedeckte Stirn an die Keramik der Toilette zu pressen, krampfte ich mich schweißgebadet in meinem Bett zusammen und versuchte, den Schmerz zu ertragen, da jede Art von Schmerzmitteln so wirkungslos war wie ein Tropfen Wasser auf einem lodernden Feuer.
Es fühlte sich an, als würde jemand mit roher Gewalt meine Eingeweide herausreißen, nur um sie danach wieder hineinzustopfen und erneut herauszureißen in einem endlosen, grausamen Zyklus. Mein Körper brannte wie Feuer, als das Fieber immer weiter stieg, und doch schüttelte mich ein unkontrollierbares Zittern.

Tagtäglich war meine Mutter an meiner Seite, ihre Augenringe zeugten von schlaflosen Nächten, ihre Hände, die meine hielten, waren kalt und zitterten leicht. Sie versuchte, stark zu sein, aber ich sah die Angst in ihren Augen. Wenn mein Vater und Jisung nicht gerade auf der Arbeit waren, verbrachten sie jede freie Minute bei mir zu Hause und übernachteten sogar an meinem Bett, um mir beizustehen. Alle dachten, dass es bald vorbei sein würde mit mir. Keiner sprach es aus, doch man sah es ihnen deutlich ins Gesicht geschrieben.
Sie wollten unbedingt, dass ich ins Krankenhaus ging und dortblieb, aber ich weigerte mich hartnäckig. Wenn ich wirklich jetzt sterben sollte, dann wollte ich es wenigstens in meinem eigenen Zuhause tun, denn die Behandlungen gegen eine unbekannte Krankheit brachten sowieso nichts.

Erneut hing ich über der Toilette und übergab mich vor Schmerzen. Doch mein Magen war bereits mehr als nur leer. Jisung stand neben mir, seine Augen voller Sorge und Angst. Er hielt mir meine Haare zurück, während er mir beruhigend über die Schulter strich – eine Geste, die so vertraut und doch so hilflos war. Als ich mich endlich beruhigt hatte und aufsetzte, wischte ich mir über den Mund und schmeckte etwas Metallisches. Als ich in die Toilette sah, wusste ich, was es war. Ich hatte Blut erbrochen, ein dunkler, beängstigender Beweis meiner sich verschlechternden Gesundheit.
"Okay, das reicht Felix, du musst sofort ins Krankenhaus", sagte mein bester Freund, seine Stimme brach, als er die Kontrolle verlor. Er kramte bereits sein Handy aus der Tasche, welches ich ihm aber wegnahm. "Nein", sagte ich mit gebrochener Stimme, die kaum mehr als ein Flüstern war. "Du darfst es ihnen nicht sagen, Ji." Er sah mich schockiert an, seine Augen glänzten feucht im schwachen Licht.
Er nahm mein Gesicht in seine Hände, seine Berührung war warm und tröstend, und er drehte es sanft in seine Richtung. "Du spinnst doch! Dir geht es rapide, schlechter. Dagegen muss etwas unternommen werden. Ich kann doch nicht einfach nur zuschauen", sagte er, und die Tränen begannen über seine Wangen zu laufen, wie ein verzweifelter Fluss der Hilflosigkeit.

Ein müdes, von Schmerz gezeichnetes Lächeln huschte über meine bleichen Lippen, während ich den Kopf leicht schüttelte. "Bitte, ja? Jeder Besuch im Krankenhaus weckt nur unerfüllte Hoffnungen in ihnen. Ich ertrage es nicht, sie noch mehr leiden zu sehen durch diese falschen Hoffnungen", erklärte ich mit letzter Kraft und meine Stimme nur ein flüsterndes Echo in dem kalten, sterilen Badezimmer.
Jisung ließ mein Gesicht los und weinte weiter, seine Tränen tropften auf meine zerbrechliche Hand. "Das ist so verdammt unfair", murmelte er, seine Stimme brach, während er mich fest umarmte. "Wieso muss es immer die Guten treffen?", fragte er mich weinerlich und ich spürte, wie seine Schultern zitterten.
Ich wusste, dass er Recht hatte und ich ins Krankenhaus musste, aber ich konnte mich einfach nicht dazu durchringen. Ich wollte nicht in einem Krankenhauszimmer enden, umgeben von Maschinen, die meinen Körper am Laufen hielten, während mein Geist langsam aufgab.
Leicht schubste ich ihn von mir weg, als mir wieder unglaublich schlecht wurde. Mit letzter Kraft schaffte ich es, das nächste Blut aus meinem Inneren in die Kloschüssel zu befördern, während mein Körper sich vor Schmerzen krümmte.

Diese ganze Prozedur zog sich über zwei qualvolle Wochen hin. Zwei Wochen, in denen ich unter höllischen Schmerzen litt, die mich jede Sekunde meines Daseins spüren ließen. Die Übelkeit peitschte durch meinen Körper und ließ mich nicht einmal mehr Wasser behalten. Mein Körper wurde immer schwächer, als würde er sich langsam von der Welt verabschieden. Ich litt rapide unter den Schmerzen, ich verlor mindestens zehn Kilo an Gewicht und meine Haut war so blass, dass man mich bereits für tot erklären könnte, nur aufgrund dieser Farblosigkeit.

Die einzige Zeit, in der ich nicht von meinen besorgten Eltern oder meinem besten Freund umsorgt wurde, waren die Momente, wenn ich in einen unruhigen Schlaf fiel oder sie dachten, dass ich schlafe. In diesen Momenten dachte ich an all die verpassten Möglichkeiten und all die Dinge, die ich hätte tun können, wenn ich nur den Mut gehabt hätte. An all die Sachen, die ich mich nicht traute, aus Angst, sie seien zu gefährlich für mich oder einfach nur, weil sie von der Seite meiner Eltern verboten wurden, da sie dachten, es wäre zu riskant.
Ich bereute plötzlich, die unzähligen Angebote meines besten Freunds abgelehnt zu haben, wenn er mich wieder einmal zu irgendeinem Ausflug überreden wollte, aber ich wollte nicht, da sie zu weit von Seoul entfernt lagen. So viele verpasste Möglichkeiten, mein restliches Leben in vollen Zügen zu genießen. Stattdessen arbeitete ich unermüdlich, um die Unsummen an Schulden zu begleichen, die meine Familie meinetwegen hatte. Ich bereute nicht hart gearbeitet zu haben, um meine Familie zu entlasten, und trotzdem kam der Wunsch in mir auf, dass ich mein Leben vielleicht doch ein wenig mehr genossen hätte.
Jisung hatte recht: Ich war zu verkrampft. Falls ich dies überleben sollte, sollte ich wohl wirklich meinen Kopf ausschalten und anfangen, Spaß zu haben. Das Risiko zu sterben stieg nicht nur, weil ich mit ihm auf eine Party ging oder ein Wochenende die Stadt verließ. Das war einzig und alleine meine eigene Angst und die Angst meiner Familie.

Meine Gedanken wurden unterbrochen, als meine Mutter leise das Zimmer betrat, ihre Augen gerötet von stundenlangem Weinen. Ich schloss schnell meine Augen, damit sie dachte, ich würde noch schlafen. Ich spürte, wie sie sich an mein Bett setzte und mir sanft über die Haare strich. Ihre Berührung war zart und liebevoll, aber sie konnte die Kälte nicht vertreiben, die sich auf meiner Haut ausbreitete.
"Mein Schatz, du musst kämpfen. Du musst stark sein", flüsterte sie mir zu, und ihre Stimme brach bei jedem Wort. Ich konnte hören, wie sehr sie litt, wie sehr sie sich wünschte, dass ich kämpfte, aber ich hatte einfach nicht mehr die Kraft, ihr zu antworten. Ich wollte nicht mehr kämpfen, ich wollte einfach nur noch meine Ruhe.

Umso länger sich dieser Zustand hinzog, umso mehr dachte ich selbst, dass ich bald sterben würde, denn es fühlte sich definitiv danach an. Ich war zwar schon einmal in solchen Zuständen und hatte diese Phantomschmerzen und tauben Glieder, aber niemals war es so schlimm wie in diesem Moment. Zwar verschwand es irgendwann wieder und ich konnte normal weiterleben, aber darauf konnte ich auch sehr gut verzichten. Wenn ich also dieses Mal nicht draufging, musste ich mitrechnen, dass dieser Zustand zurückkommt.
Immer und immer wieder.

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Fractured Fates ʰʸᵘⁿˡᶦˣOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz