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Mit einem unglaublichen Magengrummeln betrat ich widerwillig die Arbeit. Meine Füße zogen sich schwer über den kalten Boden, während ich innerlich den Wunsch verspürte, mich in Luft aufzulösen und Hyunjin nicht unter die Augen treten zu müssen.
Ich musste ihm dieses dämliche Sextreffen absagen, das ich in einem Anflug von Euphorie zugesagt hatte. Doch diese Euphorie war wie eine Seifenblase zerplatzt: Hinterließ nicht einmal ein Staubkorn. Stattdessen breitete sich eine kalte Welle von Unsicherheit und Angst in mir aus.

Als ich das Stationszimmer betrat, fand ich Jisung und Kazuha in einer erdrückenden Stimmung vor. Jisungs Wut auf Kazuha war beinahe greifbar, da sie sich auf einen Patienten eingelassen hatte – etwas, das uns strengstens untersagt war. Wenn er nur wüsste, dass ich dasselbe getan hatte... Ich konnte mir schon seine enttäuschten Blicke und seine wütenden Worte vorstellen. Seufzend griff ich nach den Patientenakten, als würden sie mich retten können, und verließ den Raum wieder.
Ich begann meine erste Runde und ließ mir dabei bewusst viel Zeit, um den Moment hinauszuzögern, den ich am liebsten vermeiden würde. Doch unweigerlich kam ich irgendwann am letzten Raum des Flures an, vor dem ich stehen blieb und tief durchatmete. Mein Herz pochte in meiner Brust, als ich zögerte, die Türklinke zu greifen. Immer wieder ließ ich sie los und wollte kehrtmachen.
Eigentlich müsste ich bei ihm nichts mehr aufzeichnen, schließlich würde er bald entlassen werden. Das bedeutete, dass bei ihm alles in Ordnung war. Es würde also nicht auffallen, wenn ich mich einfach umdrehte und wegging. Aber mein schlechtes Gewissen würde mich dann langsam auffressen, bis ich sowieso nachgeben würde.
Also könnte ich mir diese Folter auch direkt antun.

Ich holte noch einmal tief Luft, bevor ich endlich das Zimmer betrat. Ich versuchte, so gelassen und normal zu wirken, wie ich konnte, doch meine Hände zitterten leicht und meine Stimme klang heiser, als ich ein flüchtiges "Hallo" murmelte.
Aber das Bett war dieses Mal leer. Die weiße Decke war unordentlich zurückgeschlagen und das Kissen lag noch immer in der Mitte, als wäre es nie benutzt worden. Ein seltsamer Anblick, der mich irritierte. Erst als ich weiter in den Raum vordrang, sah ich, dass er am offenen Fenster stand und telefonierte. Die Vorhänge wehten sanft im Wind und ließen das Mondlicht herein, das sein Gesicht in ein unheimliches, weißes Licht tauchte. "Ich bin in zwei Tagen hier draußen, also gib mir gefälligst die andere Hälfte von Minhos Aufträgen. Er macht diese Scheiße nur meinetwegen", hörte ich ihn sagen. Seine Stimme klang rau und angespannt.
Ich wollte wirklich absolut nicht lauschen, weshalb ich mich auf die Mappe konzentrierte, und wie jeden Tag begann ich die Vitalzeichen aufzuschreiben. Da er noch immer an den Kabeln angeschlossen war, die er quer durch den Raum zog, damit er am Fenster stehen konnte, beobachtete ich ihn aus den Augenwinkeln.

Seine Finger krampften sich um das Telefon, als würde er es zerbrechen wollen, und seine Augenbrauen zogen sich zusammen in einer Grimasse aus Wut und Frustration. "Ist mir egal. Gib mir diese beschissene Arbeit von ihm", sagte er erneut und dieses Mal etwas lauter. Seine Herzfrequenz war erhöht, wahrscheinlich weil er am Telefonieren war und sich absolut nicht glücklich anhörte. Im Gegenteil, er hörte sich an, als wäre er kurz davor, zu explodieren. Ein starker Kontrast zu seiner sonst so ruhigen und gleichgültigen Fassade. "Fick dich, Bastard", sagte er irgendwann und legte auf.
Mit einer Hand fuhr er sich durch sein zerzaustes rotes Haar und seufzte gestressten. Er drehte sich vom Fenster weg, und erst dann schien er mich wahrzunehmen. Als sich unsere Blicke trafen, schluckte ich schwer und senkte meinen Blick auf den Stift in meiner Hand – tat so, als würde ich etwas aufschreiben, um meine Nervosität zu verbergen.

Nach einer Weile der Stille, die nur von der entfernten Geräuschkulisse der Stadt unterbrochen wurde, hob ich meinen Blick wieder und schielte zu ihm hinüber. Er hatte sich erneut dem Fenster zugewandt und lehnte mit geschlossenen Augen an der Fensterbank, seine Hand, stützte seinen Kopf. "Du gehst wieder arbeiten?", fragte ich vorsichtig in der Hoffnung, diese bedrückende Atmosphäre durchbrechen zu können. Dabei war ich mir bewusst, dass vermutlich nur ich diese Stimmung ausstrahlte, denn er wirkte plötzlich wieder tiefen entspannt. "Mh?", murmelte er und drehte seinen Kopf langsam wieder in meine Richtung, seine Augen immer noch halb geschlossen. "Ja, sobald ich hier raus bin", antwortete er mir abwesend. "Was arbeitest du eigentlich?", fragte ich und versuchte irgendwie Small Talk zu halten.

Er drehte seinen Kopf wieder weg und sah hinaus auf die Straße. "Hat dich nicht zu interessieren", antwortete er mir, ohne mich anzusehen. Ein bitteres Lächeln bildete sich auf meinen Lippen. Da hatte er recht. Es sollte mir egal sein. Und doch brannte diese Frage in mir, denn man wusste so gut wie nichts über ihn. Man kannte nur seinen Vornamen und genau genommen kannte ich auch seinen Wohnort wegen des Vorfalls, aber das war es schon. Ich wusste weder seinen vollständigen Namen noch sein Alter. Er und sein Mitbewohner, der hier immer wieder auftauchte, waren ein pures Geheimnis.
"Stimmt", antwortete ich, während ich versuchte, meine Enttäuschung zu verbergen. "Also... wenn du arbeiten musst... dann können wir das auch absagen...", stammelte ich und hoffte inständig, dass es irgendwie ein guter Übergang sein würde für den Rückzieher. "Das wäre für mich völlig in Ordnung...", fügte ich leiser hinzu, während ich meinen Blick wieder auf den Stift in meiner Hand senkte.

Meine Augen wanderten über sein Gesicht, das plötzlich von einem leichten, spöttischen Schmunzeln erhellt wurde. "Mir war klar, dass du einen Rückzieher machen würdest. Mir ist es also egal. Wenn ich Sex will, bekomme ich ihn, dafür brauche ich deinen Arsch nicht", sagte er mit einer gelangweilten Stimme, die jedoch einen scharfen Unterton hatte. Aber seine Worte trafen mich wie ein Dolchstich ins Herz. Ich war mir unsicher, welcher der beiden Aspekte mich mehr störte: Die Tatsache, dass er davon ausging, ich würde sowieso einen Rückzieher machen und es nicht ernst meinen, oder die Tatsache, dass er mir noch einmal deutlich machte, dass er jeden haben könnte und ich nur eine weitere Person von vielen wäre.
Etwas in meinem Stolz gekränkt, antwortete ich leicht schnippisch: "Ich hätte keinen Rückzieher gemacht, ich meinte es nur gut, damit du nicht müde auf der Arbeit auftauchst oder so."

Das Schmunzeln auf seinen Lippen wurde breiter, als er auf mich zukam und direkt vor mir stehen blieb. Je näher er kam, desto schneller schlug mein Herz, bis ich dachte, er könnte es hören. Ich gab mir Mühe, nicht zurückzuweichen, doch trotzdem tat ich es, als er direkt vor mir stand. Nach zwei weiteren Schritten schnitt der Tisch hinter mir den Weg ab und ich konnte nicht weiter zurückweichen. Ich spürte die Kälte des Tisches an meinem Rücken, während seine Wärme vor mir stand.
Er hob seine Hand und legte seinen Finger unter mein Kinn. "Falls es dir noch nicht aufgefallen ist: Ich bin nur nachts wach, weil ich nachts arbeite und es gewohnt bin. Das heißt, ich habe den ganzen Tag Zeit", sagte er mit einer Stimme, die so kalt und berechnend klang wie seine Berührung. Er ließ seine Hand von meinem Kinn in meinen Nacken wandern, wo er leicht zurückdrückte und ich einen leichten Druck verspürte. "Also komm mir nicht mit irgendwelchen Ausreden, weil du Schiss hast. Ich habe keine Lust und definitiv Besseres zu tun, als mich um ein unsicheres Kind zu kümmern", fügte er nun schroffer hinzu und wandte sich wieder ab von mir.

Seine Worte hallten in meinem Kopf wider, während ich dastand mit dem Gefühl, als wäre ich gerade von einer Welle erfasst und gegen die Felsen geschleudert worden. Nachdem er mir den Rücken zugewandt hatte, atmete ich zittrig aus, ohne mir selbst bewusst gewesen zu sein, dass ich den Atem angehalten hatte. Seine Worte trafen mich wie ein Schlag ins Gesicht, und ich konnte spüren, wie meine Wangen vor Scham erröteten. Er hatte recht. Ich war ein unsicheres Kind, das sich von seinen Gefühlen überrollen ließ.
Aber wieso nervte es mich dann so sehr?
Warum fühlte ich mich so gekränkt und verletzt, obwohl er doch nur die Wahrheit aussprach?

Ich biss mir auf die Unterlippe und griff nach seinem Oberteil, um ihn wieder in meine Richtung zu ziehen. "Ich werde keinen Rückzieher machen", sagte ich mit etwas festerer Stimme, obwohl ich selbst nicht wusste, woher ich diesen plötzlichen Mut nahm.
Warum sagte ich das überhaupt?
Ich wollte doch eigentlich gar nicht, oder?
Ich wollte diesen Rückzieher doch, aber wieso reagierten mein Körper und vor allem meine Stimme anders?

Er drehte sich wieder zu mir um und lehnte sich links und rechts neben mir mit seinen Armen an dem Tisch ab, sodass ich mich wie eingekesselt fühlte. "Ach ja?", fragte er ungläubig und ein wenig belustigt, während er eine Augenbraue hochzog.
Ich schluckte schwer, als würde ich einen Kloß im Hals haben und nickte dann langsam."Ja. Ich will, dass du mit mir schläfst", antwortete ich und merkte selbst, wie meine Stimme langsam brach und zu einem kaum hörbaren Flüstern wurde. Er machte mich so unglaublich nervös und sein Blick war so einschüchternd, dass ich am liebsten im Erdboden versunken wäre. Doch gleichzeitig fühlte ich eine seltsame Anziehungskraft, die mich zu ihm hinzog wie eine Motte zum Licht.

Er betrachtete mich einen Moment lang schweigend. Seine dunklen Augen durchbohrten meine Seele, als wollte er meine tiefsten Gedanken und Ängste herauslesen. Langsam, mit einer fast unmerklichen Eleganz und einem Hauch von Bedrohlichkeit, beugte er sich zu mir herunter.
Seine Nähe ließ mein Herz rasen und meine Kehle wurde trocken. Ich konnte den warmen Hauch seines Atems auf meiner Haut spüren, der einen Schauer in mir auslöste. Seine Lippen berührten meine Wange, eine flüchtige Berührung, die dennoch eine Welle von Emotionen in mir auslöste.

Mit einer Stimme, die so rau und zugleich so verführerisch klang, als wäre sie eigens dazu geschaffen worden, um mich zu bezirzen und zu manipulieren, flüsterte er mir ins Ohr: "Du lügst." Es war ein Vorwurf und eine Feststellung zugleich, die mich erschaudern und meinen Magen sich zusammenziehen ließ. Mein Atem ging flacher vor Nervosität und mein Herzschlag übertönte fast seine Worte.
Doch dann packte mich mein letzter Funken Stolz und Wut, den ich noch besaß, und ließ mich mutig werden. Ich hob meine zitternden Hände und griff nach Wangen, um ihn anzusehen und zu zwingen, mir zuzuhören. "Ich lüge nicht", sagte ich mit bebender Stimme, die vor Angst und Entschlossenheit zitterte. Und um ihm und vor allem mir selbst zu beweisen, dass ich nicht log, stellte ich mich auf meine Zehenspitzen und küsste ihn.


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Fractured Fates ʰʸᵘⁿˡᶦˣWhere stories live. Discover now