39. Kapitel

10.9K 697 47
                                    

Luke's P.o.V.

Ein Zimmer bestand bloß aus einem Boden, einer Decke, meist vier Wänden und ausgewählten Möbelstücken. Alles Dinge materieller Art. Wieso gelang es mir also nicht, das Schlafzimmer meiner Mutter zu betreten? Wahrscheinlich aus Angst ich würde zusammen brechen. Bis jetzt hatte ich mich gut gehalten, ich bemühte mich stark zu sein und die Seifenblase intakt zu halten. Trotz allem fühlte es sich komisch an, dass ich noch nicht geweint hatte, ich fühlte mich als würde ich sie verraten indem ich nicht richtig um sie trauerte. Dabei hatte ich doch einfach nur Angst, dass ich nicht mehr aufhören könnte, wenn ich erst einmal damit angefangen hätte. Ich hatte Angst, dass ich zusammen brechen und nicht mehr aufstehen würde.

Es war Mittwoch. Ich hatte nichts mehr von Zack oder meinen Freunden gehört. Ob sie mich wohl hassten? Ich wusste nicht einmal, ob sie wussten dass meine Mutter gestorben war. Ich vermutete jedoch schon. Was Neuigkeiten anging war Neuendorf ein absolutes Kaff. Ich hatte Angst was passieren würde, wenn ich sie alle morgen wiedersehen würde. Ich hatte beschlossen morgen wieder in die Schule zu gehen, ich durfte mir nicht meine Noten versauen, außerdem brachte es nichts zuhause herum zu sitzen und Löcher in die Luft zu starren. Auch Mia und Caro hatten zugestimmt morgen wieder den Alltag in Angriff zu nehmen. Es fiel uns allen schwer und es war ein komisches Gefühl einfach ohne sie weiter zumachen, als hätte sie nie existiert, aber wir wussten auch, dass sie gewollte hätte, das wir weiter machten.

Heute würde ein Angestellter des Bestattungsunternehmens kommen um alles für die bevorstehende Beerdigung zu regeln. Ich hatte keine Ahnung wie man eine Beerdigung plante, geschweige denn wie ich sie bezahlen sollte. Meine Mutter hatte kein Erspartes oder irgendwelche Notgroschen. Das Einzige das sie in ihrem Testament erwähnte war, dass sowohl unser kleines Häuschen als auch das Sorgerecht meiner Geschwister an mich übergehen sollte. Ihre Lebensversicherung hatte gerade gereicht um die ausstehende Hypothek die auf unser Haus liefen, zu bezahlen. Meine Mutter hatte die Hypothek damals aufgenommen, da sie dringend das Geld für die Behandlung des Krebses benötigt hatte. Die Krankenkasse hatte sich geweigert zu bezahlen, plädierten das es sich um eine neuere und kostspieligere Methode handelte deren Wirksamkeit noch nicht eindeutig bewiesen wäre. Die Dreistigkeit die diese Menschen teilweise an den Tag legten war nicht mehr zu toppen.

Doch was brachte es mich darüber jetzt noch aufzuregen? Jetzt wo doch alles zu spät war.

Ich wusste nicht viel mit mir anzufangen, so schlenderte ich durch unsere Wohnung, mied dabei diesen einen Raum, dessen Tür seit knapp einer Woche nicht mehr geöffnet wurde. Eigentlich war ich auf der Suche nach Caro, ich wollte sie frage, ob sie später bei dem Gespräch mit dem Bestatter mit dabei sein wollte, jedoch fand ich sie nirgendwo. Lediglich Mia fand ich. Sie saß im Wohnzimmer, kniete vor dem Couchtisch und malte. Dutzende Buntstifte und Blätter hatte sie auf dem kleinen Tisch verteilt. Sie war vertieft in ihr Kunstwerk.

„Was hast du denn da Süße?" fragte ich sie mit rauer belegter Stimme. Sie drehte sich zu mir um, lächelte und hielt mir ihr selbstgemaltes Bild hin. Darauf konnte ich vier gleich große Strichmännchen erkennen. Zwei davon trugen ein Kleid, die anderen Hose und Shirt. Auf der linken Seite war noch ein kleineres Strichmännchen gemalt, auch dieses trug ein Kleid. Doch anders als die Anderen, stand es nicht auf der grünen Fläche am Boden, sondern schwebte in der Luft. In den Händen hielt es einen überdimensional großen Schmetterling, der es anscheinen in die Lüfte trug. In der rechten oberen Ecke hatte sie eine lachende Sonne gezeichnet.

„Das hab ich für Mama gemalt. Guck mal, das bist Du, Caro, Mama und Marco." Sie deutete auf die vier Männchen die nebeneinander in der Mitte des Bildes standen. „Und das hier, das bin ich." Wie vermutete zeigt die auf das kleine fliegende Strichmännchen. „Das ist auf der hübschen Blumenwiese am See. Da wo wir mit Mama waren und ich hingefallen bin, weil der Schmetterling zu schnell war."

Liebe stirbt nicht! Where stories live. Discover now