13. Kapitel

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Luke's P.o.V.

Als ich das Krankenhaus verließ ging bereits die Sonne auf. Ich nahm die kühle Morgenluft tief in meine Lungen auf, in der Hoffnung, ein wenig wacher zu werden. Die ganze Nacht hatte ich an der Seite meiner Mutter verbracht, bis sie mich vor zehn Minuten rausgeworfen hatte, sie meinte ich solle nach Hause und mit Caro und Mia reden. Schweren Herzens machte ich mich auf den Weg, das Krankenhaus lag ungefähr fünfzehn Minuten Fußmarsch von unserer kleinen Wohnung entfernt. Ich nutze die Zeit um einen klaren Kopf zu bekommen und in Ruhe über alles nachzudenken,?dass in den letzten Stunden geschehen war. Es war endgültig, meine Mutter würde sterben. Natürlich hatten uns die Ärzte damals, nach der Diagnose, darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Heilungschance nur bei zwanzig Prozent lag, und da meine Mutter auch nicht mehr die Jüngste war, standen die Chancen noch ungünstiger. Trotzdem hatte ich gehofft, dass sie es
überstehen würde. Es hört sich vielleicht dämlich an, aber ich hatte noch Hoffnung schließlich hatte immer noch eine Chance auf Heilung bestanden. Solange auch nur die kleinste Chance bestand, hatte ich mich geweigert meine Hoffnung aufzugeben, doch es hatte alles nichts geholfen. Wie sollte ich das nur Caro beibringen? Und Mia? Sie war noch zu klein um das alles zu verstehen. Ich musste jetzt stark sein, mehr denn je. Bald würde ich ganz alleine für sie sorgen müssen, obwohl ich das eigentlich schon das ganze letzte Jahr getan hatte, bekam ich plötzlich Angst. Ich würde für sie Verantwortung tragen, ich müsste den beiden Mutter und Vater ersetzten. Was ist, wenn mir das nicht gelingt? Wenn ich ihnen nicht genug bin?
Übernächste Woche Donnerstag hatte ich Geburtstag, dann war ich endlich volljährig. Ein Glück, denn mit achtzehn Jahren durfte ich ganz legal der Vormund meiner beiden Geschwister werden. Wenigstens etwas Gutes, ich hätte es nicht ertragen, wenn wir auseinander gerissen würden. Bald wären meine Geschwister alles an Familie, das ich noch hätte. Es gab da natürlich noch meine Tante, doch die lebte am anderen Ende der Welt, vor ihrem Besuch am letzten Wochenende hatte ich sie drei Jahre nicht mehr gesehen. Von meinen Großeltern lebte nur noch die Mutter meiner Mutter, aber ich hatte sie nicht mehr gesehen seid ich mich geoutet hatte. Sie meinte ich wäre nicht länger ihr Enkelkind, wenn ich weiter diesen unnatürlichen und abartigen Lebensstil praktizieren würde. Es hatte mich damals unendlich verletzt so etwas von meiner eigenen Oma zu hören, doch ich hatte gelernt damit umzugehen, dass sie mich nicht so akzeptieren konnte wie ich bin, trotzdem würde ich sie immer lieben. Naja, dann wäre da noch mein Vater, aber dieses Arschloch würde ich nicht mal um Hilfe bitten, wenn er der einzige Mensch auf dieser Erde wäre. Dafür hatte er viel zu viel verbockt.

Als ich vor unserer Wohnungstür angekommen war schlug mein Herz schneller als normal, ein eindeutiges Zeichen meiner Angst. Die Angst vor der Reaktion meiner Schwestern. Ich holte einmal tief Luft bevor ich die Tür aufschloss und eintrat.
„Luke? Bist du's?" rief Caro aus der Küche.
Ich antwortete ihr nicht sondern ging einfach in die Küche, in welcher auch Mia war, sie saß am Tisch und schaufelte sich Müsli in den Mund.

„Hey, ihr Zwei." begrüßte ich sie, ein trauriges Lächeln lag auf meinen Lippen.
„Luki!" schrie Mia, sprang von ihrem Platz auf und rannte auf mich zu. Ich ging in die Knie damit sie ihre dünnen Ärmchen um mich schlingen konnte.
„Wo warst du?" fragte sie mich.
„Ich war bei Mama, meine Süße. Ihr ging es gestern Abend nicht so gut, deshalb musste sie ins Krankenhaus aber jetzt geht es ihr wieder besser." ich lächelte erst Mia an und hob dann meinen Blick um Caro anzusehen. Ihr Gesicht spiegelte Erleichterung wieder.
„Was ist ein Krankenhaus?" fragte Mia, neigte dabei ihren Kopf ein Wenige zur Seite und sah mich fragend an.
„Das ist ein Haus in dem kranke Menschen wieder gesund gemacht werden." antwortete Caro für mich.
„Also ist Mami wieder gesund?" ihre braunen Kulleraugen waren voller Hoffnung, es versetzte mir einen Stich in der Brust, da ich die Antwort auf ihr Frage kannte, Mama würde nie wieder gesund werden.
„Ähm Mia, ich muss kurz etwas mit Caro bereden. Willst du nicht schon mal deine Tasche für den Kindergarten holen?" bat ich die Fünfjährige.
„Aber Luke, der Kindergarten beginnt doch erst in einer Stunde." erklärte mir Mia, als wäre ich von uns beiden das Kind und schüttelte nur ihren Kopf über mich.
Ich musste schmunzeln, sie war einfach zu niedlich.
„Na gut. Dann iss du dein Müsli fertig und Caro kommt mit mir in den Flur." beim letzten Teil des Satzes sah ich die Angesprochene an, welche mir mit einem Nicken signalisierte, dass sie verstanden hatte. Mia hopste bereits wieder zu ihrem Platz und tat wie ich ihr gesagt hatte, Caro folgte mir in den Flur.
„Was ist denn? Wie geht's Mama?" fragte sie auch prompt los.
„Ihr Zustand ist stabil und sie ist bei Bewusstsein..." setzte ich an.
„Aber?" sie hatte bemerkt, dass irgendwas nicht stimmte.
„Die Tests haben ergeben, dass sich der Krebs trotz Chemotherapie weiter ausgebreitet hat. Die Ärzte sagen, dass bereits zu viele Metastasen in Hirn, Leber und Lunge gewachsen sind, weshalb sie die Therapie abbrechen." Meine Worte hinterließen pure Verwirrung in Caros Augen, ich sah den Schock in ihnen, den Unglauben und die Angst.
„Aber... ich versteh das nicht... Sie können doch nicht einfach... wie... was machen wir den jetzt?" Tränen bildeten sich in ihren Augen.
„Es gibt keine Chance auf Heilung. Sie wird sterben. Die Ärzte geben ihr noch zwei Monate." sprach ich das aus was ich selber noch nicht recht verstehen wollte.
„Nein... Nein, nein, nein. Das geht nicht! Sie.. aber..." ungläubig warf sie ihren Kopf hin und her. Ich nahm meine Schwester in den Arm und drückte sie fest an mich. Sie schluchzte und weinte ganz bitterlich und ich konnte nichts tun um ihren Schmerz zu lindern, denn mir ging es genauso. Beruhigend strich ich ihr über den Rücken und murmelte ihr zu das alles wieder gut würde, auch wenn wir beide wussten, dass es gelogen war. Es fühlte sich an als wäre eine Ewigkeit vergangen, doch irgendwann hatte sie mit weinen aufgehört und nur noch leise Schluchzer verließen ihre Lippen.
Ich fühlte mich so machtlos und das machte mich wütend. Ich musste irgendetwas tun, sonst würde ich noch platzen. Ich drückte Caro ein Stück von mir weg um ihr in die Augen sehen zu können. „Wir schaffen das! Ich bin immer für euch da und nichts kann uns trennen!" versprach ich ihr mit fester Stimme. Sie nickte nur leicht als Antwort.

Ein leichtes Vibrieren in meiner Hosentasche riss uns auf dem Moment. Ich nahm mein Handy heraus und sah darauf.
Neue Nachricht von Max: „Hey Luke, wo steckst du? Hast du verschlafen? Ich gehe schon mal, treffen wir uns dann in der Schule?"

Die Uhr meines Weckers zeigte mir an das ich vor zehn Minuten an unserm Treffpunkt hätte sein sollen. Max und ich treffen uns jeden Tag an derselben Kreuzung und liefen das letzte Stück zusammen zur Schule.

„Wer schreibt dir den?" Caros Stimme war vom Weinen ganz heiser.
„Nur Max, nichts Wichtiges." und plötzlich viel mir wieder ein was Caro gestern gesagt hatte.
„Wer hat dir das Handy von Mam geklaut?" Sie war sichtlich irritiert von meinem plötzlichen Themenwechsel trotzdem antwortete sie: „Dieser Lars Häuser aus der Zehnten. Er hat mir gestern auf dem Weg zu Mias Kindergarten aufgelauert." Dieser Mistkerl, das würde er büßen. Niemand vergriff sich an meiner Familie!
„Hat er dir weh getan?" ich kämpfte sichtlich damit meine Wut unter Kontrolle zu halten, doch wenn dieses Arschloch es gewagt hatte meiner Schwester etwas anzutun, dann würde ich ihn umbringen und damit war es mir tot ernst.
„Nein, alles gut. Aber wieso frag..." ehe sie ihren Satz beenden konnte war ich auch schon auf den Weg zur Tür.
„Luke? Wo willst du hin?" rief sie mir hinterher.
Ich drehte mich kurz um und antwortete ihr: „ Pass auf Mia auf, ihr könnt heute mal Zuhause bleiben. Keine Sorge ich bleib nicht lange weg. Ich hol nur zurück was uns gehört!" mit diesen Worten machte ich mich auf den Weg zur Schule.

Vielleicht war es nicht fair von mir meine ganzen Wut an diesem Typen raus zulassen, aber er hatte es schließlich verdient. Ich brauchte das einfach, ich musste etwas tun damit ich nicht dieses Gefühl von Machtlosigkeit weiter ertragen musste. Ich konnte meine Mutter nicht vor dem Krebs beschützen, aber ich konnte meine Schwester vor diesem Idioten aus der Schule beschützen.
Und das würde ich auch tun!

Liebe stirbt nicht! حيث تعيش القصص. اكتشف الآن