Kapitel 22 - Schatten in der Nacht

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Noah war Jade noch öfter begegnet. Je mehr Immanuel nach seinem neuen Diener verlangte, desto öfter sah er seine Schwester, die meistens in einer Ecke stand und darauf wartete, dass Amena etwas brauchte. Jedes Mal, wenn er im Gang an ihr vorbeiging, wenn er etwas besorgen musste, dann versuchte er mit ihr zu reden, aber Jade lief so schnell weiter, dass er kaum einen Blick auf ihr Gesicht werfen konnte, ohne dass sie schon hinter der nächsten Ecke verschwunden war. Nur einmal hatte sie mit ihm geredet. Das war jetzt einige Tage her, es war in dem großen Konferenzraum gewesen, in dem die Todesser ein weiteres Treffen abgehalten hatten. Noah musste zwischen Immanuel und Amena auf dem Boden sitzen und warten, bis sein Herr einen Wunsch hatte. Amena hatte ihrer 'Tochter' befohlen, den Wein nachzufüllen und Jade musste Noah dann beten, beiseite zu rücken. Noah war es verboten, während den Besprechungen zu reden oder auch nur ein Laut zu machen, deshalb hatte er, nach einem kurzen Moment, in dem Jade stur geradeaus gestarrt hatte, etwas Platz gemacht.

Von den Gesprächen, denen er beiwohnen musste, erfuhr Noah einiges, über die Taten der Todesser und auch die Dinge, die in dem Anwesen vor sich gingen. Ohne dass er es mitbekommen hatte, war direkt über seinem Kopf die Vorbereitung für einen festlichen Ball gewesen. Die Todesser und auch ihre - Kinder - wurden schick gemacht und waren dann einen ganzen Abend lang verschwunden. Immanuel hatte Noah nicht als vertrauenswürdig genug eingestuft, deswegen wurde er in seinem Raum eingeschlossen und musste alle Trophäen und das Tafelsilber putzen, bis es glänzte, wie ein Abendstern.

Noah hatte keine Möglichkeiten der Flucht. An jeder Ecke standen bullige Wachmänner, vor jeder Tür gleich zwei und die Todesser hatten immer einen Zauberstab griffbereit. Selbst Jade, seine eigene Schwester, hatte einen Stab. Seine Gedanken kreisten nachts, um einen Fluchtplan zu finden, oder wenigstens für eine Möglichkeit, mit Jade zu reden. Wenn sie einen Zauberstab hatte, dann waren ihre Chancen nicht gleich null. Er musste es nur schaffen würde, einen Moment alleine mit Jade reden zu können, dann könnten sie sich etwas ausdenken. Wozu sonst hatten sie die erste Klasse übersprungen, wenn sie nicht überdurchschnittlich intelligent waren? Noahs ganzer Ravenclawstolz lag auf dem Spiel, dass er sich etwas ausdenken musste. Jeder Plan, der ihm in den Sinn kam war waghalsiger als der da vorige.

Es war späte Nacht, als ein lauter Knall Noah aufweckte und die Tür zu seinem Raum geöffnet wurde. Immanuel hatte Noah nach dem ersten Treffen aus seiner muffigen Zelle in einen kleinen Raum bringen lassen, in dem er neue Kleidung bekommen hatte. „Mein Diener soll nicht in Lumpen herum laufen, das wirft nur ein schlechtes Licht auf mich selber. Bringt dem Jungen einen Umhang. Und wascht ihn gefälligst!", hatte der finster dreinblickend Mann gesagt und ein drahtiger Mann, dessen fettiges Haar wie ein Vorhang über seine Augen fielen, hatte Noah am Arm gepackt und in dieses Zimmer geworfen.

Noah blickte von dem knarrenden Bett auf und entdeckte Schatten durch die Tür schleichen und diese dann leise schließen. Sein Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen, als er die falschen aschblonden Haare entdeckte. Zwei Arme schlangen sich um seinen Hals und Jade stieß einen kleinen Schluchzer aus. Ihr ganzer Körper bebte und Noah drückte seine Schwester an sich. Minuten vergingen und Jade löste sich schließlich von ihrem Bruder und wischte sich mit der sauberen Hand über die Augen. Ein ehrliches Lächeln, welches er seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatte, lag auf ihren Lippen und ihr altes Glänzen war in die Augen zurückgekehrt. „Noah! Oh bei Merlin, ich bin so froh! Es tut mir alles so schrecklich leid, aber sollte Amena herausfinden, dass ich auch nur einen Blick mit dir getauscht habe, dann - " Jade schluckte schwer und ihre Hände, die den dunklen Zauberstab umklammert hielten, zitterten. Noah beeilte sich aufzustehen und die Hände seine Schwester in seine zu nehmen.

„Mach dir darüber keine Gedanken mehr, lass uns lieber hier abhauen!", sagte er und wollte schon zur Tür hechten, doch Jade bewegte sich keinen Zentimeter. „Jade?", fragte er besorgt und warf einen Blick zurück. Sie schüttelte den Kopf und ihre aschblonden Haare schwangen dabei wie ein Vorhang mit. „Es gibt keinen Weg hier raus", flüsterte sie und ihre Knie begannen zu zittern. „Außerdem weiß ich nicht mal mehr, ob ich überhaupt fliehen will." Jad vergrub das Gesicht in den Händen und ein Beben durchfuhr ihren kompletten Körper. „Es ist alles kompliziert geworden. Ich weiß nicht mehr, was ich will und was ich nicht will. Ich habe hier Freiheiten, die ich nie hatte, ich kann meine kompletten Fähigkeiten ausleben und - und Amena sorgt gut für mich. Vielleicht -" Sie spreizte die Finger etwas um Noah anzublicken und er entdeckte ein anderes Glitzern in ihren Augen. Eines, das ihm nicht gefiel. „Vielleicht haben sie ja auch Recht, mit allem."

Definitiv nicht Harry Potter! (2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt