Alles eine Frage des Blutes...

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Der lieben Dahlien gewidmet.

Als ich wieder wach wurde, lag ich in einem Bett. Über mir war Holz. Neben wir ebenfalls. Ich setzte mich auf, als die Erinnerung zurückkam. Mein Kopf fühlte sich an, als hätte man ihn zwischen eine Schraubzwinge geklemmt. Als ich mit meinen Fingerspitzen über meine Stirn strich, stöhnte ich auf.
An meinen Fingern klebte getrocknetes Blut. Blut! Erschreckt fasste ich an meinen Hals und suchte nach zwei kleinen Einstichlöchern oder Ähnlichem. Aber es schien alles in Ordnung zu sein. Gott sei Dank.
Ich meine verdammt! Sie waren Vampire. Mein bis eben noch totgeglaubter Vater auch. David hatte davon gewusst, dessen war ich mir inzwischen sicher.
Und meine Mutter? Wusste sie, dass sie sich auf einen Blutsauger einließ?
Bedächtig sah ich mich um. Ich saß in einem Ding, das wohl mal als Kutsche gedient haben musste. Jetzt gab es jedenfalls keine Sitzbänke oder Fenster mehr. Es war alles eine durchgehende Liegefläche.
Ein Knacken von draußen, riss mich aus meinen Gedanken.
Wenige Sekunden später, öffnete sich die Tür und Licht fiel herein.
Ich hielt mir die Hand vor die Augen und als ich sah wer mich besuchte, kroch ich ängstlich keuchend soweit von ihm weg, wie das Holz es zuließ.
Er stellte eine kleine Schale mit Wasser vor mich. Ich presste mich noch weiter zurück, als er gänzlich eintrat. Hinter sich zog er die Tür zu und ließ sich mir gegenüber nieder.
Kurz dachte ich so etwas wie Mitleid und Schmerz in seinen Augen zu sehen, aber er war ein eiskalter Killer. Er hatte keine Gefühle.
Seine ozeanblauen Augen musterten mich. „Trink das. Es ist gegen die Kopfschmerzen.", meinte er. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, nahm ich die Schale und trank. Das kalte Wasser lief meinen Hals hinab und tat so unendlich gut.
„Ich werde dir nichts tun.", versicherte er und kam näher.
„Stimmt.", fauchte ich. „Weil ich dir nämlich keine Chance dazu geben werde."
Ein kleines Lächeln tauchte auf seinem Gesicht auf. Ein echtes Lächeln. Ein wunderschönes Lächeln.
„Und ich habe mir bereits Sorgen um dich gemacht.", grinste er. Wenn er so lachte, wie jetzt gerade, war er sogar noch schöner, als sonst.
„Du schuldest mir ein paar Antworten.", rief ich, als er bereits wieder aus meinem Gefängnis geklettert war.
Aber ich erhielt keine Antwort.
Wackelig stand ich auf und tapste hinterher. Darian marschierte Richtung Wald.
Okay Stopp! Wald? Ich drehte mich um die eigene Achse. Ich war nicht mehr in meiner Heimat. Kilometerweit nur Wald. Das... Das... Wo war ich?
„Wo hast du mich hingebracht?", schrie ich und rannte hinter ihm her. Die anderen drei saßen mit dem Rücken an einen Baumstamm gelehnt im Schatten und beobachteten uns. Ich holte ihn ein und stieß ihm gegen die trainierten Schultern.
„Verdammt ich rede mit dir! Wo bin ich? Was ist mit David? Was habt ihr mit mir vor?"
Doch er ging unbeirrt weiter und beachtete mich nicht weiter. Ich überholte ihn und stellte mich in seinen Weg.
„Ich will Antworten.", keuchte ich. In meinem Kopf drehte sich alles. Mir war schwindelig, aber das war mir egal.
„Geh mir aus dem Weg, Weib.", knurrte er. Aber ich würde mich freiwillig nicht einen Meter bewegen.
„Den Teufel werd ich tun.", lachte ich bitter. Ich konnte nicht wissen, dass meine Hartnäckigkeit ihm gefiel.
Kurz zuckte ein kleines Lächeln über seine Züge. „Ich werde mich nicht wiederholen.", flüsterte er gefährlich leise.
Meine Angst schnürte mir den Hals zu. Doch irgendwie schaffte ich es, das „Ich mich auch nicht." Zwischen meinen Zähnen hervor zu bringen.
Er drängte mich an den Baum hinter mir und keilte mich zwischen ihm und seinem Körper ein.
„Ich habe keine Angst vor dir.", wisperte ich, auch wenn es nicht stimmte. Seine Lippen kräuselten sich belustigt. Wir wussten beide, dass ich log.
„Du bist eine ganz miserable Schauspielerin, Prinzessin.", hauchte er und ich konnte seine etwas gespitzten Eckzähne sehen. Unwillkürlich kroch die Panik von letzter Nacht wieder in mir hoch.
Oder war es die vorletzte? Was mir allerdings noch viel mehr Angst machte, waren die Gefühle die er in mir aufweckte. Diese Gefühle glichen einem überkochenden Topf in meinem Magen. Aber sie waren nicht unangenehm. Im Gegenteil.
Ich drückte mich weiter an den Baum in meinem Rücken. Seine Augen bohrten sich in meine und das ozeanblau seiner Iris wechselte zu einem dunklen Rot. In Filmen oder Büchern hieß das nie etwas Gutes.
„Von mir wirst du nichts erfahren. Frag Lucas oder einen der anderen, wenn's unbedingt sein muss.", grollte er und strich mir behutsam eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht. Seine Knie berührten meine Oberschenkel. Dann, als hätte er sich verbrannt, stieß er mich weg, sah mich kurz ungläubig an und verschwand wenige Sekunden später im Dickicht des Waldes.
Erschreckt verharrte ich regungslos in meiner Position und versuchte mein wild klopfendes Herz unter Kontrolle zu bringen. Meine Hand schlich sich auf meinen Hals und fühlte meinen Puls.
Ich atmete tief ein, blickte nochmal zu der Stelle an der Darian verschwunden war und machte mich danach auf in die Richtung der anderen.
Vor ihnen blieb ich schließlich unschlüssig stehen und fragte, ob ich mich setzten dürfte. In dem Moment in dem mein Hintern das Gras berührte, rappelte der Grauhaarige sich auf.
„Ich werde mal nach Darian sehen.", murmelte er und ging.
Seltsam berührt blickte ich ihm hinterher.
„Ach mach dir nichts aus ihm.", meinte der jüngste der Gruppe und stupste mich spielerisch in die Seite. „Adam hält nichts von Menschen und jetzt ist er einfach sauer, weil unser neuer Auftrag sich um einen Menschen dreht."
„Da muss ich Lucas zustimmen.", grummelte der Riese.
„Danke John.", grinste Lucas und trank einen Schluck aus einer Art Flachmann.
Okay kurze Unterbrechung: Das waren zu viele Informationen und Namen auf einmal!
Also der junge blonde hieß Lucas. Der große mit den orangenen Haaren und dem kleinen Zopf im Nacken war John. Der alte Grauhaarige, der vor mir geflüchtet war, hieß Adam.
Und dann war da noch Darian.
Darian, der in mir Emotionen auslöste, von denen ich noch nicht einmal wusste, dass ich sie hatte.
Darian, der so unglaublich schöne Augen hatte.
Darian, vor dem ich Angst haben sollte.
Darian, der ein Vampir war.
Darian, der in mir höchstwahrscheinlich nur eine Mission oder eine appetitliche Mahlzeit sah.
Darian, für den ich jetzt Schon mehr empfand als ich sollte.
„Willst du was essen?", fragte John und riss mich damit aus meinen Gedanken.
„Nein. Eigentlich nicht. Mir ist das alles hier wohl auf den Magen geschlagen.", beichtete ich und knackte mit den Fingerknöcheln. So wie immer wenn ich verunsichert oder nervös war.
„Ich glaube dafür hat jeder Verständnis.", meinte Lucas. „Wenn es etwas anderes gibt, was wir für dich tun können, um dir die Situation zu erleichtern, lass es mich einfach wissen."
„Es gäbe da vielleicht doch etwas.", preschte ich sofort los.
Lucas und John wechselten einen wissenden Blick.
„Ja?", forderte John mich auf meine Bitte zu äußern.
„Ich will Antworten.", brachte ich es auf den Punkt.
Die beiden Männer lächelten. Offenbar war es ein leichtes für sie mich einzuschätzen.
„Drei Fragen von dir. Drei Antworten von uns. Aber ich sage es gleich: Ich werde nicht jede Frage beantworten. Weil ich es entweder nicht kann, es nicht darf oder es nicht will. Verstanden?"
Ich nickte. Mir war alles egal. Hauptsache ich bekam langsam mal Klarheit in Form von Informationen um meine Gedanken zu ordnen. Außerdem könnte ich mir so ein Bild über meine Lage machen und versuchen einen guten Fluchtplan auszuarbeiten.
Müde fuhr ich mir über das Gesicht, nur um es gleich wieder zu bereuen. Mein Kopf schmerzte höllisch.
„Wer seid ihr?", fragte ich also ohne große Umschweife. Das war Frage Nummer Eins. Zwei blieben noch.
„Unseren Namen sollten nicht so interessant für dich sein, aber ich werde sie dir trotzdem nochmal verraten. Der komische Vogel, der Menschen nicht ausstehen kann heißt Adam DuMont. Der komische Schwachkopf neben mir ist Lucas Warns, ich bin John Rimely und dann wäre da noch der Teufel mit den blauen Augen: Prinz Darian Michael Antonius des ursprünglichen Landes."
Mir rutschte sämtliche Farbe aus dem Gesicht und mein Magen drehte sich um. Er war ein Prinz? Ein Vampirprinz? Na ganz klasse: Ich hatte mir einen augenscheinlich ziemlich einflussreichen, mächtigen Vampirprinz zum Feind gemacht. Das glich dann wohl einem Todesurteil.
„Und was wir sind? Wir stellen die beste Einheit deines Vaters dar. Ohne uns sähe die Geschichte unseres Reiches anders aus. Ganz anders.", fuhr er fort. „Wir vier erledigen die wichtigsten Aufgaben. Sei es, dass wir wichtige politische Gegner ausschalten, unsere Leute retten, den König beschützen und seit neuestem holen wir auch verschwundene – menschliche – Prinzessinnen."
Um es also kurz zu machen: Sie waren Auftragskiller. Nur dass sie es anders umschrieben.
„Und das ist wie gesagt auch der Grund, warum Adam momentan ein wenig angepisst wirkt. Aber tief im Inneren ist der alte Mann gar nicht so übel. Wir waren nur alle etwas geschockt, als man uns auf diese neue Mission schickte. Gib ihm Zeit.", versuchte John Adams Verhalten zu entschuldigen.
Einige Minuten dachte ich über seine Worte nach. Meine Chancen zu fliehen waren also gleich null.
Wow. Das nannte ich mal rosige Aussichten...
„Was ist mit meinem Vater?", stellte ich Frage 2. Bei dem Wort „Vater" stoppte ich. Es war so ein fremdes Wort und es schmerzte, als ich es aussprach.
Vor wenigen Stunden hatte ich geglaubt, dass mein Vater tot sei. Und jetzt saß ich hier und erfuhr, dass mein Vater noch lebte. Wobei es fragwürdig war, ob „lebendig" die richtige Bezeichnung für einen Untoten war.
Bei dem Gedanken daran schnaubte ich leise.
„Dein Vater ist eine sehr mächtige Persönlichkeit, Elizabell.", erklärte John mit Ehrfurcht in der Stimme. „Wer ihm den Krieg erklärt hat schon vor Beginn verloren. Tja zumindest bis deine Mutter ihm über den Weg gelaufen ist. Er war völlig vernarrt in sie. Du musst wissen, dass wir Vampire in unserem ganzen verdammten Leben nur ein einziges Mal die wahre Liebe finden. Es macht uns rasend, wenn wir ein- oder zweihundert Jahre darauf warten müssen unseren Seelengefährten zu finden. Manche finden ihn nie. Außerdem sind wir nur mit unserem passenden Gegenstück in der Lage Kinder zu zeugen."
Vampirkinder? Ich dachte man wurde durch einen Biss zum Vampir.
„Dein Vater hatte dieses Gegenstück in deiner Mutter gefunden. Obwohl sie ein Mensch war. Doch die Liebe der beiden stand unter einem schlechten Stern. Der Nachbarclan hatte mitbekommen, mit wem dein Vater sein Glück gefunden hatte und war gegen diese Beziehung. Sie stellten deinem Vater ein Ultimatum: Entweder trennte er sich von der menschlichen Frau an seiner Seite oder sie würden unseren Clan angreifen und vernichten. König Gabriel musste sich zwischen der Liebe seines Lebens und seinem Volk entscheiden. Aber er war nun mal ein König und so entschied er sich schlussendlich für sein Reich. Und damit gegen deine Mutter, die zu diesem Zeitpunkt bereits mit dir schwanger war. Deine Mutter ging. Doch als sie wieder in ihrer Welt war, wurde sie von der gegnerischen Seite in Empfang genommen. Unter deren Aufsicht brachte sie dich zur Welt, ehe man sie beseitigte. Du kannst ja mal deine Tante Roseann oder deinen David fragen, wie genau das damals abgelaufen ist. Sie waren schließlich beide dabei."
Bis jetzt hatte ich ungläubig zugehört, doch das war zu viel!
„Nein.", flüsterte ich und spürte wie Tränen mir in den Augen brannten. „Das glaube ich nicht!"
Mein ganzes Leben war eine Lüge. Eine einzige Lüge.
Ich sprang auf und wich langsam zurück. „Du lügst! Meine Mutter ist ein Jahr nach meiner Geburt gestorben. Ein Jahr. DANACH!!! Bei einem Flugzeugabsturz!" Das konnte nicht wahr sein. In mir zerbarst etwas in abertausend Teile.
„Ich fürchte es stimmt. Einem Baby wie dir werden unsagbar besondere Fähigkeiten nachgesagt. Es tut mir leid." Er senkte den Kopf. Jetzt rannten mir die Tränen das Gesicht hinab.
„Das will ich nicht glauben.", schrie ich aufgebracht.
„Frag Darian. Ich wette er könnte deine Gedanken lesen." Er und Lucas tauschten wieder diesen komischen Blick aus.
„Aber es wäre leichter für ihn, wenn deine „Tante" nicht so gute Arbeit geleistet hätte. Du, meine Liebe, bist nämlich komplett abgeschirmt.", pflichtete Lucas ihm bei.
„Na und? Was heißt das schon? Außer, dass sie mich vor Psychopathen wie euch beschützen wollte?", schleuderte ich ihnen entgegen.
John seufzte, als wäre ich ein unwissendes Kind. „Es geht nicht um uns Psychopathen. Es geht nur um deinen Seelengefährten. Nur er kann deine Gedanken lesen. Aber wenn nicht einmal er es schafft bis in deinen Kopf durchzudringen, hat jemand ziemlich gut gearbeitet."
Schlagartig kam mir die Nacht an der U-Bahn wieder in den Sinn. Entsetzten und Unglauben hatte sich in Darians Augen abgezeichnet und ich hatte mich gefühlt, als würde ich ihn kennen. Aber das, was John hier andeutete, war skandalös! Darian und ich? Seelengefährten? Im Leben nicht!
Allerdings gab es doch einige Dinge die vielleicht dafür sprachen. Zumindest von meiner Seite aus. Sein komischer Blick, wenn er mich ansah.
Mein Herzschlag, der jedes Mal in die Höhe schoss, wenn ich ihn sah.
Ich konnte seine Anwesenheit spüren, ohne ihn zu sehen.
Aber das hatte ich alles auf meine Angst vor ihm geschoben. Er und ich... Das war absurd! Warum sollte ich nach so kurzer Zeit, mein Herz an ihn hängen?
„Ihr seid alle krank! Euch glaube ich kein Wort! David sucht bestimmt schon nach mir." An diesen Gedanken klammerte ich mich, während ich mir die Tränen aus dem Gesicht wischte.
„Elizabell. Mach die Augen auf. Natürlich sucht er nach dir. Aber nicht weil er dich liebt. Sondern weil du Macht bedeutest.", versuchte er mich zu überzeugen.
Aber auch das war wieder eine Lüge. Er log, so wie die anderen drei auch. Ich schlang mir die Arme um den Oberkörper um mein Zittern zu besänftigen.
„Und wer sagt mir, dass ihr das nicht auch wollt. Ich meine die Macht.", fragte ich anklagend.
„Das ist wohl eine berechtigte Frage. Aber ich schätze du wirst dich erstmal beruhigen müssen. Du kannst nicht klar urteilen momentan." John stand auf und kam langsam auf mich zu.
„Ich soll mich beruhigen?" Ich glaubte ich hatte mich verhört.
„Ihr entführt mich mal eben, erzählt mir der Tod meiner Mutter war Mord! An dem ich Schuld bin!!! Erzählt mir, dass mein toter Vater noch lebt und ein mächtiger Vampirkönig ist, was so viel bedeutet, wie..." Am Anfang hatte ich noch geschrien, aber jetzt wurde ich mit jeder Silbe leiser.
Meine Mutter war ein Mensch. Mein Vater Vampir. Dass hieß, dass in mir auch Vampirblut floss.
„Dass du ein Halbblut bist.", beendete eine Stimme hinter mir.

TeufelsherzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt