Papa?

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Inzwischen liefen wir mehrere Stunden. Wie viele genau, konnte ich nicht sagen. Nur, dass meine Füße schmerzten und Darians Hand sich immer fester um meine schlang. Ob er damit mir oder sich selber Hoffnung und Kraft geben wollte, konnte ich nicht sagen.
Allerdings vermutete ich, dass er mich mehr brauchte als ich ihn, da seine Schritte immer langsamer und schwerer wurden.
Mit jeder Minute glich sein Atem mehr einem unkontrollierten Keuchen.
Wenn ich ihn nicht mit mir ziehen würde, wäre er vermutlich schon zusammengebrochen. Genau das war nun also meine größte Angst.
Er konnte - nein, er durfte - hier jetzt nicht einfach aufgeben. Wir mussten hier weg. Weit fort aus der Gefahrenzone. Raus aus dem feindlichen Gebiet. Und das schnell!
Schwäche war erst erlaubt, wenn wir in Sicherheit waren.
Das war auch der Grund, warum ich mein Gewissen auf Durchzug gestellt hatte. Keine Ängste, Keine Zweifel. Keine Gefühle.
Ich wollte nicht daran denken, was in der Höhle passiert war. Was aus dem jungen Soldaten geworden war. Ob er einfach leblos im Wald lag. Ob John in verbrannt hatte. In den Fluss geworfen hatte, so dass die Strömung ihn fortspülte?
So viele Fragen auf die ich keine Antworten bekommen würde. Auf die ich wahrscheinlich niemals Antworten erhalten würde. Und in diesem Fall wollte ich das auch gar nicht.
Ich sollte mich dankbar schätzen, dass es so glimpflich verlaufen war. Es hätte nämlich auch anders enden können. Dessen war ich mir bewusst.
Bevor ich weiter in meinen Gedanken versinken konnte, wurde ich heftig am Arm zurückgerissen.
"Darian!", keuchte ich und wandte mich ihm zu. "Das ist ein ganz schlechter Zeitpunkt um tot umzukippen."
Leblos hing er an meiner Seite. Die andere Hälfte seines Körpers schliff achtlos über dem Boden.
Bevor ich um Hilfe bitten konnte, war John bereits an meiner Seite und beugte sich über Darian.
"Ich muss unserer Prinzessin Recht geben, mein Freund.", stimmte er zu und hievte sich den Bewusstlosen über die Schulter. "Ganz ganz schlechter Zeitpunkt zum Aufgeben."
Mit Tränen in den Augen beobachtete ich John. Er drehte sich zu mir und als er meinen Blick bemerkte zwinkerte er mir aufmerksam zu. "Alles wird gut. Er braucht nur ein bisschen Ruhe und Zeit. Es ist nicht mehr weit. Sobald wir die Chance haben, werden wir uns ausruhen und er kann genesen."
Ich nickte tapfer. "Wie lange wird es dauern...?"
"Bis er wieder ganz ist?", beendete der Hüne meine Frage. Dann seufzte er. "Ein paar Tage. Vielleicht auch nur Stunden. Er ist stark. Wir warten ab und sehen."
Hatten wir denn eine Wahl? Es schmerzte mich Darian so zu sehen. Sein Gesicht war bleich und insgesamt glich er mehr einem Toten als Lebenden.
"Wir müssen weiter.", ertönte Adam Stimme von vorne. Also wandte ich mich ab und konzentrierte mich wieder aufs Laufen.
Still summte ich eine Melodie und versuchte mit Adam und Lucas Schritt zu halten.
So gut es ging verbannte ich zum zweiten Mal an diesem Tag alle Sorgen und Ängste aus meinem Kopf und wanderte durch die Dunkelheit.

Einige Stunden später und ich lächelte erschöpft dem Sonnenaufgang entgegen. Noch nie war ich so dankbar gewesen endlich wieder etwas sehen zu können und nicht alle drei Minuten über meine eigenen Füße zu fallen.

Die Dunkelheit war definitiv etwas, an das ich mich nie gewöhnen würde.

Ich war ein Mensch. Ich brauchte die Sonne nun einmal.

„Brauchst du eine Pause?", fragte John mich mit väterlichem Blick von der Seite und reichte mir sein Wasser.

Ich schüttelte den Kopf. „Es geht schon. Ich darf mich einfach nur nicht hinsetzen, sonst steh ich nie wieder auf."

Adam bezog neben mir Stellung. „Du hast meinen größten Respekt. Hätte nicht gedacht, dass du dich so gut machst. Dein Vater wird stolz auf dich sein. Du bist ihm ähnlicher als du dir vorstellen kannst."

Schief nickte ich und atmete tief durch. „Ich wünschte es wäre so..."

Einen weiteren Moment genoss ich den Ausblick auf die aufgehende Sonne, ehe ich hinter den Jungs hereilte.

Als mir keine Melodie mehr einfiel, die ich summen könnte, begann ich also die Bäume zu zählen. Mal alle Nadelbäume in meiner Umgebung. Mal alle Laubbäume.

Irgendwann kapitulierte ich dann doch.

Ich stützte meine Hände in die Seiten und blickte flehend zu Adam.

„Bitte sag mir wir sind bald da. Ich kann nicht mehr.", keuchte ich also.

Er grinste nur. „Du hast es gleich geschafft. Ungefähr noch fünfzehn Minuten."

Warum grinste er so breit?

„Und dann sind wir wo?", fragte ich und sah John verwirrt an.

„Na bei Adam zu Hause.", antwortete dieser nur kurz angebunden und marschierte zielstrebig an mir vorbei.

Hilflos warf ich die Arme in die Luft. „Na klar. Wusste ich!"

Planlos lief ich also weiter hin meinen Begleitern her.

Und es stimmte: Knapp zehn Minuten später tauchte ein Haus getarnt zwischen den Bäumen auf.

Mit jedem Schritt, den wir näher kamen, wurde Adam schneller und sein Lächeln größer.

Ehrlich gesagt wusste ich nicht, was mir mehr Angst machte: Das Adam lachen konnte oder dass er ein zu Hause hatte.

Lucas, der meine Verwirrung wohl erkannte, schloss zu mir auf und blinzelte mir zu.

„Ich weiß, was du gerade denkst. Und in wenigen Minuten wirst du noch überraschter sein."

„Noch überraschter? Was könnte mich denn noch mehr überraschen?" Lachend strich ich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

Doch bevor er antworten konnte, wurden wir unterbrochen und mein Kopf flog nach vorne.

„Papa!!!!"


TeufelsherzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt