Schattenkinder

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„Bist du völlig verrückt geworden?!", schrie ich und versuchte so gut es ging mit meinen Händen meine Brüste zu verdecken.
Während mein Schreien in eine wilde Schimpfattacke überging, begann er nur zu lachen.
Sein Kopf wurde mit jeder Sekunde roter.
„RAUS!!!", brüllte ich, bevor er sich beruhigt hatte und starrte ihn böse an.
Keuchend fasste er sich auf die Brust und blinzelte sich die Tränen aus den Augen.
Dann verschränkte er die Arme und blickte mich mit einem selbstgefälligen Grinsen an.
„Nein.", sagte er nur und mir fiel ungläubig alles aus dem Gesicht.
„Nein?", wiederholte ich gefährlich leise.
„Ich werde nicht gehen.", bestätigte er.
Ich stieß einen verächtlichen Laut aus und kontrollierte, ob man an irgendeiner Stelle zu viel nackte Haut sehen konnte.
„Dann dreh dich wenigstens um!", versuchte ich einen Kompromiss zu bilden.
Falls er dieses Wort überhaupt kannte, denn offenbar war er es ja gewöhnt, dass zu bekommen, was er wollte.
„Warum sollte ich? Ich habe schon einige Brüste gesehen, da kommt es auf dieses eine Paar mehr nicht wirklich drauf an.", entgegnete er nur und am liebsten hätte ihm die Augen ausgestochen, um seinem gierigen Blick zu entkommen.
„Du bist so ein Arsch!", meinte ich einfach und schüttelte den Kopf.
Langsam ließ er seinen Blick über meinen Körper wandern und ich erschauderte.
Das war der Moment in dem ich realisierte, dass es mir keine Angst machte, wenn er mich so ansah. Nein, ganz im Gegenteil:
Etwas Warmes kribbelte in meinem Bauch. Doch das würde ich mir niemals eingestehen.
„Kann ich mit leben.", tat er meine Worte ab und befeuchtete seine Lippen.
Kopfschüttelnd drehte ich mich um und ließ meine Arme sinken.
Nun stand ich also mit dem nackten Rücken zu ihm.
Schnell nahm ich ein dunkles Oberteil und schlüpfte hinein.
Als ich mich wieder aufrichtete, spürte ich plötzlich einen Körper hinter mir.
Warmer Atem streifte meinen Nacken und die kleinen Härchen auf meinen Armen stellen sich auf.
„Liz.", flüsterte Darian heiser und ich erstarrte.
Mein Herz begann unregelmäßig zu schlagen und ich war mir sicher, dass er es hören konnte.
„Was hast du v..."
„Nicht!", hauchte er und strich meine Haare zur Seite, so dass mein Nacken nun entblößt vor ihm lag.
Seine Brust drückte sanft an meinen Rücken und ich schloss die Augen um nicht die Beherrschung zu verlieren.
Langsam strichen seine Finger über meine Haut und der Pullover rutschte mir über die Schulter.
Ich schluckte.
Gerade als ich ihn fragen wollte, was er da machte, spürte ich seine rauen Lippen in meinem Nacken.
Sofort hielt ich die Luft an.
Er verteilte viele kleine Küsse über meine Halsbeuge bis hin zu meinem Schlüsselbein.
„Du bist so wunderschön.", wisperte er.
Das war ein Traum. Das musste ein Traum sein!
„Darian...", begann ich stimmlos und drehte mich zu ihm.
Er war mir so nah. Viel zu nah.
Seine blauen Augen blickten mir tief in die Seele.
Mit geröteten Wangen sah ich zu ihm hinauf.
„Wir dürfen das nicht.", flüsterte ich, blickte auf den Boden und wünschte mir, ich wäre ein kleines bisschen stärker. Stark genug um ihn wegzustoßen. Um ihm zu sagen, dass ich das nicht wollte. Dass ich IHN nicht wollte. Aber ich schaffte es nicht. Ich war nicht stark. Und ich wollte ihn.
Mehr als alles andere.
„Ich weiß.", stimmte er mir genauso leise zu. Trotzdem bewegte er sich keinen Millimeter von der Stelle.
Unsicher hob ich meine Hände und legte sie auf seine Brust. Den Blick noch immer gesenkt.
Seine Brust war warm, doch da war kein Herzschlag.
Aber zu sagen, ich wäre überrascht, wäre gelogen.
Es war mir einfach egal. Es war mir egal, dass er der Feind war. Dass ich ihn hassen müsste.
Meine Hände sahen so unglaublich klein aus, auf seinem Oberkörper.
Um uns herum war alles ruhig.
Nur durch das Fenster drang ein wenig Lärm der Stadt.
Doch das bemerkten wir nicht.
Für uns zählten nur wir.
Unsere Gefühle.
Und das wir wussten, dass der andere genauso fühlte.
„Sieh mich an!", forderte er sanft.
Zittrig atmete ich aus, schloss die Augen und drehte den Kopf ein wenig.
Seine Nähe war betörend. Sein Duft. Seine Wärme. Alles.
Es war als wäre ich gefangen – und ich wollte mich nicht befreien.
„Elizabell.", sagte er wieder leise. „Sieh mich an."
Ich öffnete die Augen wieder, als eine Hand sich um mein Kinn legte und sanft nach oben zog.
Da waren sie wieder: Diese strahlend blauen Augen.
Seine Hände ließen mein Kinn los und legten sich auf meine. Ein schönes Bild.
„Ich... Ich kann das nicht.", flüsterte ich und merkte wie meine Augen feucht wurden.
Das war doch nicht zu fassen! Ich würde jetzt nicht anfangen zu weinen! Nicht jetzt! Verdammt!
Mein Kopf war wie benebelt. Alles war weg. Alles was sinnvoll war.
Da war nur noch er.
„Du musst nichts. Ich erwarte nichts von dir." Seine Stimme war so wunderschön rau und dunkel.
„Ich möchte es aber, ich habe nur..." Zittrig holte ich tief Luft und blickte ihn hilfesuchend an.
„Ich habe...", versuchte ich es erneut, aber ich brachte es einfach nicht über die Lippen. Ich schaffte es einfach nicht.
„Verdammt!", schluchzte ich und wollte meine Hände aus seinem Griff befreien, aber er ließ es nicht zu.
„Es ist alles okay. Ich bin hier.", beruhigte er mich und zog mich in seine starken Arme.
„Aber genau das ist es ja!", nuschelte ich an seiner Brust und inhalierte seinen Duft nach Wald.
Beruhigend strichen seine Hände über meinen Rücken, während mir stumm die Tränen über die Wangen liefen.
„Wir wissen beide, dass das zwischen uns nicht sein darf. Dass du nicht mehr lange da sein wirst. Hier an meiner Seite.", erklärte ich und schluckte meine Angst.
Er blieb still. Wir wussten beide, dass ich Recht hatte.
„Darian sag etwas. Irgendetwas!", flehte ich leise. „Bitte."
„Ich werde einen Weg finden." Seine Stimme klang sicher.
„Und was wenn nicht?", fragte ich, löste mich und blickte zu ihm hinauf.
Einige Zeit erwiderte er meinen Blick nur. „Ich werde einen Weg finden! Versprochen!"
Tapfer nickte ich. „Ich vertraue dir."
„Du weißt, dass das gefährlich ist.", gab er zu bedenken, doch ich wusste dass es zu spät war. Ich vertraute ihm. Schon lange.
„Das Risiko gehe ich ein.", erklärte ich und strafte meine Schultern.
Er lächelte. „Ich wusste, du würdest das sagen."
Ich lächelte ebenfalls. „Dann wusstest du das doch mit Sicherheit auch, oder?"
Verwirrt zog er die Augenbrauen zusammen. „Was weiß ich..."
Bevor er den Satz beendet hatte, stellte ich mich auf die Zehenspitzen und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.
Verwundert sah er mich an. Dann bildete sich ein Grinsen auf seinen Lippen.
„Du überrascht mich jedes Mal aufs Neue, Bell.", meinte er und ich hätte wetten können, dass ich genauso dämlich grinste wie er.
„Bell?", fragte ich und flüchtete mich in seine auffordernd ausgestreckten Arme.
Er grummelte zustimmend. „Elizabell. Mein Glöckchen."
Unwillkürlich lächelte ich und schlang meine Arme um seinen Hals.
Sein Kinn ruhte auf meinem Kopf und am liebsten würde ich ihn nie wieder loslassen.
„Das klingt schön.", sagte ich leise und vergrub meine Nase in seinem Pulli.
Danach genossen wir einfach nur die Nähe der anderen.
Ich schloss die Augen und hielt ihn einfach nur fest.
„Bist du damit einverstanden, wenn wir trotzdem so tun, als würden wir uns hassen?", fragte er irgendwann und hob meinen Kopf an.
„Ja. Ich denke es wird das Beste sein.", gab ich mein Einverständnis legte meine Wange wieder an seinen Kopf.
„Dann entschuldige ich mich besser jetzt schon für alles was ich in der Zukunft machen werde." Er küsste mich auf die Stirn und mein Herz begann Purzelbäume zu schlagen.
„Ich denke, dass geht in Ordnung", gähnte ich nur.
„Ist da noch jemand müde? Du hast jetzt fast drei Tage geschlafen!", erzählte er.
Ungläubig schaute ich ihn an. „Niemals!"
„Doch, glaubs mir ruhig.", beharrte er und fuhr mit dem Zeigefinger mein Tattoo nach.
„Wie findest du es?", fragte ich und blickte selber skeptisch auf den Wolf in meiner Hand.
Darian nahm meine Hand und begutachtete das Bild einige Zeit.
„Es ist sehr schön und es passt zu dir.", fällte er dann sein Urteil.
„Ich weiß nicht.", drugste ich herum. „Mir ist es zu eigensinnig."
Darian lachte und mein Herz blühte auf. Wenn er so war wie jetzt gerade, konnte man fast vergessen wie wir zu einander standen und wie schwer sein Leben eigentlich war.
„Wofür steht es? Ich meine, es muss ja irgendeine Bedeutung haben." Der Wolf nickte mir aufmunternd zu. Ich schnaubte nur, löste mich von ihm, fuhr mir durch die strubbeligen Haare und setzte mich auf das Fensterbrett.
„Meine Mutter hat mir immer erzählt, dass die Person die sich den Respekt eines Schattenwolfes verdient auf ewig mit ihm und seinem Rudel verbunden sein wird. Ich habe es selber nie geglaubt, bis du nach unserem Streit auf einmal angefangen hast zu schreien und diese schwarzen Linien begannen sich über deinen Arm zu ziehen.", erzählte er und ich hörte ihm aufmerksam zu. „Tja und jetzt stehst du hier vor mir. Ein Schattenmädchen."
„Ein was?", fragte ich nicht wirklich überzeugt.
„Ein Schattenmädchen. Die Personen, die ein solches Tattoo tragen wie du nennt man laut Schattenkinder. Es gab Zeiten, in denen wurde Jagd auf euch gemacht, weil dein Großvater Angst vor der, die in euch wohnen könnte, hatte. Das Ganze glich einer Hexenjagd. Viele Unschuldige haben ihr Leben gelassen.", fuhr er fort.
„Ahhh ja.", machte ich und brauchte erstmal ein paar Minuten um das alles zu verstehen und das Ausmaß seiner Worte zu begreifen.
„Gibt es da sonst noch etwas, was ich wissen sollte?", wollte ich wissen und fuhr mir müde über die Augen.
„Nun ja... Ich weiß nicht ob es wirklich stimmt, aber es heißt, dass deine Seele nach deinem Tod nicht in den Himmel auffahren wird, sondern in den Körper eines Schattenwolfes wandert. Vorausgesetzt man glaubt an Seelenwanderung und diesen ganzen Kram. Außerdem bin ich wirklich kein Experte, was dieses Thema angeht. Du solltest lieber nochmal Adam fragen, der kennt sich mit so etwas besser aus als ich.", riet er mir.
Ich nickte nur und zog eine Grimasse. „Das heißt wohl, dass ich eine Mischung aus Mensch, Vampir und Schattenwolf bin."
Ein Lächeln huschte über Darians Gesicht. „Ja so in etwa."
„Na klasse.", seufzte ich nur.
Plötzlich klopfte es wild und keine Sekunde später wurde die Tür aufgerissen.
Lucas stürmte ins Zimmer.
Es schien ihm soweit gut zu gehen.
Sein Blick lag erst auf mir und er lächelte mich grüßend an.
Dann wandte er sich an Darian.
„Wir haben da ein Problem."

TeufelsherzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt