Kapitel 26 - Der Raabenangriff

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„Ich bewege mich nicht vom Fleck!", stelle ich klar, obwohl mein Herz mit jedem Meter, den er mir näher kommt, schneller pocht. „Diesmal gewinnst du nicht!"

Doch Harry kommt mir immer näher. Mittlerweile ist es nur noch etwas mehr als ein Meter. „Das ist deine letzte Chance!"

„Ich bleibe stehen!"

„Wie du meinst!" Wieder schlägt er einen Gang ein und dann gibt er Gas.

Und vor lauter Schock reagiere ich nicht schnell genug.

Kreischend lasse ich mich auf seine Motorhaube fallen, greife mich an den Seiten fest und das nächste, das ich sehe, sind Harrys aufgerissene Augen, die mir direkt ins Gesicht starren, weil er wohl selbst nicht dachte, dass ich auf seiner Motorhaube lande.

„Halt an!", schreie ich ihm verzweifelt zu, weil ich spüre, wie meine Finger von den Seiten wegrutschen. „Halt an, halt an, halt an!"

Er schreit irgendwas, doch ich verstehe es nicht. Ich kneife die Augen vor Angst zu. Ich werde sterben, ich werde so was von sterben!

Doch dann spüre ich, wie er sein Auto nach links lenkt, direkt in die Wiese der Nachbarn. Er macht eine Vollbremsung, was mir absolut nicht zu Gute kommt.

Denn nun rutsche ich mit voller Wucht von der Motorhaube und rolle in den Rasen, wodurch ich heftig auf dem Gesicht lande und schon das Gras in meinem Mund schmecken kann.

Heilige Mutter Maria. Wie trostlos mein Leben manchmal ist, denke ich mir, während ich wie eine flache Flunder auf dem Rasen liege und für drei Sekunden über mein Leben nachdenke.

„Verdammt!", höre ich Harry mit einem lauten Piepen in meinem Ohr schreien und wie er seine Autotür zuknallt. „Ich dachte, du gehst zur Seite!"

Ich rolle mich mit Schmerzen in meinem rechten Arm auf den Rücken und halte mir die Hand über den Ellenbogen. Das fühlt sich absolut nicht gesund an.

„Man, Violet", sagt Harry, der sich hektisch neben mich kniet und mich aufrichtet. „Wieso musst du nur jedes Mal so stur sein?"

Ich ziehe scharf die Luft ein, als ich versuche meinen Arm zu bewegen, es allerdings einen höllischen Schmerz auslöst. „Mecker mich nicht an, du hast mich gerade umgefahren."

Harry seufzt und hält sich unruhig die Stirn, als er auf meinen Arm sieht. „Ich kann immer noch nicht fassen, dass du dich einfach auf meine Motorhaube geschmissen hast."

Böse sehe ich ihn an. „Und ich kann nicht fassen, dass du mich umgefahren hast. Hoffentlich ist mein Arm gebrochen, damit du ein richtig schlechtes Gewissen hast."

„Glaub mir, das ist nicht mal nötig", sagt Harry und hilft mir auf die Beine. Vorsichtig nimmt er meinen Arm in die Hand und sieht darauf. „Oh Gott." Er reißt die Augen auf und sieht schlagartig weg. „Du blutest."

Als er sich auch noch die Faust über den Mund hält und beginnt zu schlucken, grinse ich. Harry hasst Blut. Ich weiß noch, wie er meiner Mutter mal in die Blumen gebrochen hat, weil meine Schwester einen Fahrradunfall auf der Straße hatte. „Das tut mir aber leid", sage ich gehässig und halte ihm noch mehr meinen Arm entgegen, worauf er sofort mehrere Schritte zurückgeht. „Du hättest mich nun mal nicht umfahren sollen."

„Violet, lass das", sagt Harry, doch er klingt, als müsste er sich jeden Moment wieder in den Blumen übergeben. „Ich bring dich zum Arzt, aber halt mir dieses Zeug vom Leib. Du weißt, dass-''

„Ja ja, schon klar." Ich folge ihm zu seinem Auto und sehe auf meine Wunde am Ellenbogen. Die Wunde an sich ist nicht sonderlich schlimm, es ist nur das viele Blut, das es heftig aussehen lässt. Viel übler dagegen ist der Schmerz am Knochen. Ich kann meinen Arm kaum bewegen.

Violet Socks I HSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt