Kapitel 15

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Lea's Sicht

Der erste November. Ein regnerischer, kalter grauer Tag. Noch dazu ein Montag. Ich hocke in einer Mathestunde und starre gedankenverloren auf das Fenster, auf dem die Regentropfen ein wildes Muster bilden. Nur mit halbem Ohr höre ich der Lehrerin zu, die angestrengt Allgebra-Formeln an die Tafel kritzelt. Mit der restlichen Hälfte meines Ohres bin ich noch am Samstagabend, unserem Auftritt. Wie schön er doch war. Verträumt summe ich die Melodie von 'Orinoco Flow' vor mich hin, bis die Tür aufgerissen wird und die stellvertrende Direktorin mich aus meinen Gedanken reißt. Auf ihrem Gesicht liegt ein mitleidiger Ausdruck. "Lea, ich möchte mit dir reden. Nimm am besten deine Sachen mit, du wirst den Rest des Tages nicht mehr am Unterricht teilnehmen." Ich spüre,  wie sich 22 Augenpaare auf mich richten und ich rot anlaufe. "Okay...", erwider ich zaghaft und packe meine Hefte zusammen.

2 Minuten später sitze ich im Sekretariat und höre wie gebannt der Stellvertreterin zu. Irgendwann hab ich nur noch ein Rauschen im Ohr. Das Zimmer verwackelt, vermischt sich zu einem unerkennbaren Bild. Meine Knie zittern. Kälte überströmt meinen Rücken,  meinen Kopf, meine Hände. Tränen tropfen von meinem Kinn.

Dann, endlich, reißt die Realität mich zurück in die Wirklichkeit und ich fange zu schreien an. Immer mehr, immer lauter, ohne Luft zu holen. Bis ich nicht mehr kann und auf dem Boden lande.

Mein letzter Gedanke, bevor ich in dieses schwarzes Etwas gerissen werde, ist ein Hilferuf an Gott.

"Mila's Sicht"

Mit Christoph, meiner Mutter, Magda und diesem kleinen Mann vom Konzert (der übrigens Herr Volk heißt)  in einem edlen kleinen  Tonstudio bespreche etwas äußerst Wichtiges. Eingerahmte Urkunden, Musikpreise und sämtliche Zertifikate für Top-10 Hits zieren die cremefarbene Wand.

"Ich bin ja ständig auf der Suche nach außergewöhnlichen Künstlern. Katy Perry, Die Toten Hosen, das sind ja alles tolle Sänger, aber mich interessieren mehr die 'Außenseiter' der Musikwelt. Ich habe schon einige Hobbymusiker ganz groß rausgebracht. Nur bin ich nie, wirklich nie, in Verbindung mit einem Mädchenchor getreten, erst Recht nicht in der Hoffnung, mit ihm die Charts zu erreichen!" Er lächelt mir freundlich zu und ich zerknete aufgeregt den Reißverschluss meiner Sweatshirtjacke. "Sie wollen uns in die Radios bringen?", frage ich atemlos. "Jaja, ganz genau. Ihr seid genau das, was der Menschheit fehlt." Christoph mischt sich ein. "Das klingt ganz prima! Mila, ich bin so stolz auf euch! Ich wusste schon immer, dass ihr was habt, das andere nicht haben! Lass uns das machen!"

Ich lege den Kopf schief. "Du Christoph, eigentlich würde ich das ganz gerne vorher mit der alten Dame besprechen. Bevor wir uns kopfüber in die Öffentlichkeit stürzen..."  "Gott, gut, hier haste mein Handy, kannste se anrufen!" Christoph ist nicht zu bremsen. "Mensch jetzt komm mal runter! Die Frau hat doch kein Handy!" "Ich finde auch, dass ihr das Ganze erst einmal sacken lassen solltet.", sagt Mama. "Ihr würdet da eine riesengroße Sache unterschreiben!"

Christoph seufzt. "Womöglich habt ihr Recht..." Er streckt Herrn Volk die Hand entgegen. "Wäre es in Ordnung, wenn wir morgen noch einmal wiederkommen würden?" "Natürlich, natürlich!"

Nachdem wir uns verabschiedet hatten und aus der Tür getreten waren, mache ich einen Luftsprung. "Ich könnte die ganze Welt umarmen!", schreie ich und greife nach Mamas Hand. Sie blinzelt

eine Träne weg. Und ich wusste, was sie dachte: dass mir nicht mehr viel Zeit blieb, die ganze Welt zu umarmen.

Leas Sicht

"Mama?", raune ich, nachdem mich eine Krankenschwester in den abgedunkelten Raum geführt und mich alleine gelassen hatte. Ich starre auf meine Mutter, die nur einen Schatten ihrer Selbst zeigt und leblos daliegt. Geräte, die wie kleine Fernseher aussehen, geben piepsende Geräusche von sich. Kabel zieren Mama's Gesicht. Verdammt, wie hatte es nur so kommen können?

Welches Arschloch hat sie angefahren?!

Tut mir Leid, dass es länger gedauert hat als erwartet, aber zwischendurch hat mein Wattpad seinen Geist aufgegeben.

Nun, hier ist ja Kapitel Nr. 15! :)

Kommentare und Votes werden sehr geschätzt! ;)

Leukämie-mein Leben danachWhere stories live. Discover now