Kapitel 18

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Lea's Sicht

Ich liege in meinem Bett und starre aus dem Fenster in die tiefblaue Nacht hinaus. Dichte Wolken verschleiern den Mond, nur vereinzelt sind Sterne zu sehen.

Ich wälze mich auf die andere Seite und stoße mir den Kopf an der Wand. Es ist nur eine kleine Beule, nichts weiter, und trotzdem fange ich an zu weinen. Ich kann einfach nicht mehr. Ich bin 14 Jahre alt, ich packe es nicht, für all meine Mitmenschen den Fels in der Brandung zu spielen. Natürlich wird Mama sich nun einen Job suchen und das freut mich auch, aber wie?! Sie hat nur noch einen Arm, was will sie da schon machen? Ich vergrabe das Gesicht in meinem Kissen und schreie. Tränen über Tränen dzrchnässen mein Bettzeug aber das interessiert mich nicht. Ich will nur eines. Dass alles so wird wie früher. Keine beste Freundin, die sterben muss. Kein abgebranntes Café. Keine fertige Mutter, der der Arm amputiert wurde. Und so weine ich und fluche, bis ich bloß still und starr in meinem Bett liege. Vereinzelt kommt ein kläglicher Laut aus meiner Kehle, doch schließlich siegt Müdigkeit über Trauer und ich falle in einen unruhigen Schlaf.

Als mein Wecker klingelt, bemerke ich, was für ein Wrack ich bin. Jeder Knochen schmerzt, ich hab mich im Schlaf verlegen und als ich in Spiegel sehe, stelle ich erschrocken fest, dass man mir den Schmerz der letzten Monate deutlich vom Gesicht ablesen kann. Meine Augen sind verquollen, die Wangen eingefallen und überall sind rote Flecken. Meine Haare fallen strähnig und fettig in die Stirn, da ich seit Tagen nicht mehr geduscht habe. Ich bin blass. Ich sehe richtig krank aus. Und so fühle ich mich auch.

Da ich sowieso keinen Appetit auf Frühstück habe, entschließe ich mich zu einer Dusche. Seufzend begebe ich mich unter den heißen Strahl und versuche, die schlechte Laune aus mir herauszuschrubben. Nur der Gedanke daran, nach der Schule in Mila's Arme zu flüchten und mit ihr Mama im Krankenhaus zu besuchen, halten mich davon ab, nicht auf direktem Weg zurück ins Bett zu steigen.

Ich trockne mich sorgfältig ab und föhne geduldig meine Haare. Ich schlüpfe in Pulli und Jeans und

mache mir nicht die Mühe, mit meinen Haaren etwas großartiges anzustellen.

Nach einer halben Packung Make-up und einem gefühlten Kilo Wimperntusche sehe ich ganz passabel aus. Jedenfalls kann man mir nicht mehr vorwerfen, krank auszusehen. Das würden nur Menschen erkennen, die mich kennen. Und davon gibt es in der Schule ja eh keine.

Ich gehe in mein Zimmer zurück und werfe ein paar Bücher und Hefter in meine Tasche. Etui. Collegeblock. Runter. Bei einer Tasse Tee fällt mir auf, dass ich die Deutschhausaufgaben vergessen habe. Nun, das würde wohl meinen dritten Strich und eine Mitteilung an meine Mutter bedeuten. Sei's drum. Die hat eh andere Probleme als meine Schulnoten.

Inzwischen ist es Zeit, mich auf den Weg zu machen. Schnell sind Chucks und Lederjacke überzogen und ich befinde mich auf dem Weg zum Bus. Ich friere. Es ist November, ich hätte mich dicker anziehen sollen. Egal. Für mich ist alles, was zählt, den Tag zu überstehen.

Im Bus ist es laut, lauter als sonst. Unerträglich. Bei jedem Geräusch schmerzen meine Ohren. Hinter meiner Schläfe pocht es ununterbrochen. Ich kann die Augen kaum offen halten. Wie viele Stunden habe ich geschlafen? Drei? Vier? Wenn überhaupt. Ich lasse die Qual im Bus über mich ergehen und versuche, mir nichts anmerken zu lassen. Ich weiß, dass der Tag sich in die Länge ziehen wird.

Die ersten beiden Stunden Mathe. Furchtbar. Der Mathelehrer fängt ein neues Thema an und lässt mich so lange an der Tafel stehen, bis ich das Gefühl habe, unter der Last meines Körpers zusammenzubrechen.

Große Pause. Mein Käsebrot landet nach ein paar Bissen im Abfalleimer und ich setze mich auf eine Bank, während ich mich zwinge, die aufkommenden Tränen zurückzuhalten. Übelkeit. Kopfschmerzen.

Eine Stunde Deutsch. Wie erwartet hat die Lehrerin kein Verständnis für meinen Zustand und schreibt eine Mitteilung in mein Heft, die Mama bis zur nächsten Deutschstunde unterschrieben haben soll.

Fünf Minuten Pause. Ich übergebe mich im Mädchenklo und sacke auf dem Klodeckel zusammen. Schüttelfrost. Noch eine Stunde. Denke ich. Sei stark Lea. Gleich ist große Pause.

Eine Stunde Geschichte. Recht angenehm im Vergleich zu den anderen drei Stunden. Die Lehrerin ignoriert mich weitestgehend und ich sitze stumm da und schaue aus dem Fenster. Wieder große Pause. Halb liege, halb sitze ich auf den Stufen des Gebäudes und zähle die Minuten. Bis auf einige Schlucke Wasser lässt mein Magen nicht zu.

Zwei Stunden Musik. Der Rhytmus, den wir auf den Cachons trommeln sollen verursacht starke Ohrenschmerzen aber mein Herz lebt. Es pumpt Blut. Das einzige Zeichen, dass ich wirklich existiere. Jedenfalls, wenn ich in der Schule bin.

Schulschluss. Erlöst von 6 Stunden Leiden schleppe ich mich zum Bus, der mich zu Mila bringen wird. Gleich wird alles gut.

Ich drücke den Klingelknopf und wenig später reißt Mila die Tür auf und zieht mich ins Haus. Ich zittere.

"Mann, siehst du scheiße aus.", murmelt sie. Gott, bin ich dankbar, dass sie so ehrlich ist. "Hast du Hunger? Mama kocht gerade Reis.", erzählt sie weiter und hilft mir aus der Jacke. Ich schüttel den Kopf. Ich will nur schlafen und ihre Nähe spüren. Ich denke, das wird helfen. Ich schwanke und klammer mich hilflos am Türrahmen fest. Mila tatscht meine Stirn. "Hilfe, du hast ja Fieber!", ruft sie und stützt mich. "Soll ich dich hoch bringen?" Ich nicke. Ich will nur schlafen.

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Hii! ;) Ja, hat bissl lange gedauert und so, aber hatte viel Stress. Also, es würde mich wirklich freuen, wenn ihr ein paar Kommentate da lasst! Voten ist ebenfalls erlaubt!

Eure Alitschi

<3

Leukämie-mein Leben danachWhere stories live. Discover now