Kapitel 54

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Lia

Ela liegt im Bett, die Decke bis zum Kinn gezogen und ein dünner Schlauch verschwindet ebenfalls unter der Decke. Er steckt in Elas Hand. Ihr geht es schlecht, das sieht jeder Blinde und doch kann man nichts weiter tun, als hier zu sitzen und ihr beizustehen. Ihr Kopf ist mittlerweile ganz kahl. Nicht ein einziges Haar schmückt ihr kleines Köpchen noch. Die Augenbrauen verschwinden auch langsam aus ihrem zarten Gesicht. Auf meinem Schoß liegt eine Zeitung. Reus im Unglück - Tochter hat Leukämie! Diese Überschrift ziert die Titelseite. Darunter ist ein Bild von Marco, wie er das Krankenhaus verlässt und daneben ein Bild des Aufrufs, den er auf Facebook gestartet hat. Es ist mir bewusst, dass es anderen Eltern gegenüber unfair ist, dass Marco diese Möglichkeit hat. Vermutlich ist für ihn möglich eher einen Spender für Ela zu finden, als es andere Eltern für ihre Kinder könnten. Aber was bleibt Marco denn anderes übrig? Ela geht es schlecht und das ist uns allen klar. Umso schlimmer ist es, dass ich ihr meine Stammzellen nicht geben darf. Es wäre so einfach, doch ich habe es versaut.
Marco steht am Fenster, die Arme hat er vor der Brust verschränkt und sein kalter Blick ist starr nach draußen gerichtet. Ich habe keine Ahnung was mit ihm los ist, ich kann nur vermuten, dass er zum Teil wegen Ela, zum Teil wegen Tina so schlecht gelaunt ist und mir die kalte Schulter zeigt. Er hat seit ein paar Tagen schon nicht mehr mit mir geredet, seine Blicke, die er mir dann ab und zu mal zuwirft sind kühlt und distanziert. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich deswegen noch tun soll. Ich habe versucht mit ihm zu reden, habe versucht mit einem schönen Abendessen seine Aufmerksamkeit zu erlangen und ich habe mich mit voller Liebe um Ela gekümmert. Aber nichts. Keine einzige Reaktion kam von ihm, die auch nur ansatzweise Dankbarkeit oder ähnliches zeigt. Langsam ist es mir auch egal, was er tut, solange es nicht zum Nachteil für Ela wird. Da brauche ich mir aber eigentlich keine Sorgen machen, denn Marco würde selbst wenn es ihm noch so schlecht geht nicht seine Tochter vernachlässigen. Er liebt sie mehr als sein Leben und das zeigt er ihr auch sehr oft.
Ela stöhnt leise auf, weshalb Marco sich umdreht und ich schnell weg sehe. Ich möchte nicht, dass er bemerkt, dass ich ihn beobachte. Selbst wenn ich mittlerweile zu der Erkenntnis gekommen bin, dass Marco für mich nicht einfach nur ein bester Freund ist, möchte ich ihm von meinen Gefühlen nichts sagen. Er würde es nicht erwidern und dann würden wir nie wieder so befreundet sein können wie vorher. Obwohl die Stimmung zwischen uns ja mittlerweile auch nicht mehr die beste ist. Ich werde das Gefühl nicht los, dass er mir die Schuld dafür gibt, dass Tina ihn nicht mehr will. Vielleicht weil es so ist? Nein, so darf ich nicht denken. Hm, ich war seit zwei Wochen nicht zur Therapie. Vielleicht sollte ich lieber mal wieder hingehen, bevor es zu spät ist und ich wieder tief sinke. Ich würde nicht wieder auf die Drogen zurückgreifen, allein schon wegen Ela, doch ich will nicht in eine Depression verfallen, weil ich die Therapie schwänze und... Ja, Marco könnte der ein Auslöser sein, weshalb es mir schlecht geht. Nein, nicht könnte. Marco ist der Auslöser. Aber das darf er niemals erfahren.
"Du solltest nach Hause fahren. Ich komme hier allein klar." Ich sehe Marco an, der meinen Blick allerdings nicht erwidert. "Ich bleibe. Ela soll nicht allein sein.", "Ich bin hier, Lia, Ela ist also nicht alleine." Ich schlucke schwer und senke den Blick. "Hör auf mich von dir zu stoßen. Ich kann doch nichts dafür, dass es Ela nicht gut geht. Und ich kann auch nichts dafür, dass Tina die Beziehung beendet hat. Nur solltest du wissen, dass ich Ela sehr liebe und sie deshalb niemals allein lassen würde. Und es ist mir auch egal was du dazu sagst. Ich bleibe und bin für sie da. Und wenn du frustriert bist, weil Tina dich verlassen hat, dann kannst du mit mir darüber reden aber hör auf mir die kalte Schulter zu zeigen!" Er sieht mich ausdruckslos an, wendet sich dann von mir ab und betrachtet Ela. "Genau das meine ich. Es tut mir leid, dass Tina Schluss gemacht hat aber ich kann nichts dafür, okay? Also hast du nicht das Recht mich so zu behandeln, denn dann bist du kaum besser als Quinn!" Marco zuckt zusammen und sieht mich erschrocken an. "Kaum besser als Quinn? Ich würde dich nie zur Prostitution zwingen, würde dich nicht dazu zwingen mit mir zu schlafen oder dich zum Drogennehmen verführen.", "Du müsstest mich auch gar nicht zwingen mit dir zu schlafen.", sage ich leise, während ich bereits heiße Tränen auf meinen Wangen spüre. "Was?", fragt Marco leicht verwirrt. "Nichts. Fakt ist, dass du mich gerade genauso mit Ignoranz für etwas bestrafst, wofür ich nichts kann, wie Quinn es immer getan hat. Und das ist für mich viel schlimmer als Prostitution oder Vergewaltigung." Marco macht den Mund auf, um etwas zu sagen, doch er schließt ihn wieder und sieht weg. "Ich werde mich hier jedenfalls keinen Millimeter wegbewegen. Egal, ob dir das passt oder nicht." Ich greife nach Elas kleinen Hand, als plötzlich eine Schwester den Raum betrifft und alles überprüft. "Wie lange wird es noch dauern?", frage ich leise. "Etwa eine halbe Stunde, dann hat sie es für heute geschafft." Ich nicke und schiebe der kleinen Maus die Mütze etwas aus dem Gesicht. "Es tut mir leid.", murmelt Marco und sieht mich vorsichtig an. "Es ist im Moment nur alles ziemlich hart und dann macht Tina Schluss, weil sie denkt, dass wir was miteinander haben." Ich schüttle den Kopf. "Das denkt sie nicht. Ich war bei ihr und habe das klargestellt. Allerdings hat sie sich etwas in den Kopf gesetzt und ich konnte sie nicht umstimmen.", "Was ist es?", fragt er sofort. Ich seufze, will es eigentlich nicht sagen. "Sie sagt, dass du sie nicht liebst." Marco will mich unterbrechen, doch ich rede weiter. "Sie sagt, dass du sie nicht liebst, sondern mich." Mit offenem Mund starrt er mich an, bis er ihn schließt und wegsieht. "So ist es doch aber gar nicht.", "Habe ich mir schon gedacht.", flüstere ich traurig. Wieder sieht er mich an, diesmal aber alles andere als distanziert und emotionslos. "Es wäre doch nicht richtig.", "Wieso nicht richtig?" Er schüttelt leicht den Kopf und sieht runter auf den Boden. "Wir sind beste Freunde, Lia. Da haben doch Gefühle gar nichts zu suchen." Ich schlucke schwer. "Du bist nicht einfach nur mein bester Freund, Marco. Schon lange nicht mehr."

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