Kapitel 114

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Lia

Liebe Lia,

tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, aber ich habe mich ziemlich schwer getan, einen vernünftigen Brief zu Stande zu kriegen. Du müsstest mal den riesigen Berg aus zerknüllten Blättern sehen, der sich in meinem Papierkorb türmt.
Mein Prozess ist ziemlich mies gelaufen. Niemand hat mir geglaubt, als ich von all den Qualen erzählte. Mein Anwalt konnte mir auch nicht groß helfen. Der Staatsanwalt hat mich natürlich als Monster hingestellt. Als einen blutrünstiger Mörder, der ich doch eigentlich gar nicht bin. Es tat weh, das der Richter ihm geglaubt hat und nicht mir. Ja, ich habe Quinn getötet, doch nicht ohne Grund und das hat in diesem Prozess niemanden gejuckt. Durch meine Haft mache ich natürlich einen Eiskalten Entzug durch, doch mittlerweile haben die Schmerzen und das Leiden nachgelassen. Stattdessen kämpfe ich jetzt jeden Tag damit, nicht vollkommen zu zerbrechen. Ich bin mir sicher, dass ich depressiv werde, aber wer soll mir hier schon groß helfen? Wer hilft denn gerne einem Mörder? Niemand, schätze ich. Außer dir. Ich bin mir sicher, dass du mich sofort aufgenommen hättest, wenn du dich damit nicht strafbar gemacht hättest und das schätze ich sehr an dir. Ich bin dir so unglaublich dankbar für diese eine Schüssel Kornflakes, das kannst du dir überhaupt nicht vorstellen.
Naja, Themenwechsel: wie geht es dir denn? Wie geht es deiner kleinen neugewonnenen Tochter, deinem Freund und deinem Baby? Weißt du schon, was es wird? Tausend Dinge fallen mir ein, die ich dich gern fragen würde, doch ich fürchte, dass ich dafür nicht mehr genug Papier habe, denn das hier ist das letzte Blatt, das ich noch habe. Auf Nachschub muss ich noch ein paar Tage warten. Deshalb muss ich mich auf dieses eine Blatt beschränken, wenn ich nicht noch länger warten will, diesen Brief hier endlich abzuschicken.
Bist du glücklich, Lia? Wenn ja, dann bin ich es auch. Ich würde mich freuen, wenn du mir antwortest und wir weiter in Kontakt bleiben können.
Jedenfalls habe ich eine Haftstrafe von sechs Jahren bekommen und sechs Jahre können verdammt lange sein, wenn man niemanden hat. Ich habe nur noch dich, weißt du? Deshalb hoffe ich, dass ich eine Antwort von dir bekomme.
Grüß deine kleine Familie von mir und schicke mir ein schönes Bild von euch allen, ich würde mich wirklich sehr darüber freuen. Auch wenn dein Freund darüber wahrscheinlich nicht erfreut sein würde. Also schicke mir das Bild auch nur, wenn es für ihn in Ordnung geht. Ich möchte schließlich nicht, dass ihr beide wegen mir Ärger habt.
Ich habe dich sehr lieb, Lia.
Liebe Grüße
Jackson

Zum siebten mal lese ich nun seinen Brief und jedes mal rührt er mich erneut zu Tränen. Ich kann seinen Schmerz fühlen. Die Art wie der Brief geschrieben ist, versetzt mir einen Stich. Gern würde ich ihn besuchen und ihm sagen, dass alles wieder gut wird, doch leider bin ich vorerst an dieses Bett hier im Krankenhaus gefesselt.
Natürlich werde ich Jackson antworten und natürlich wird er ein Foto bekommen, das steht außer Frage. Er ist so ein lieber Kerl, der einfach nur sehr leiden musste wegen Quinn. Und im nachhinein betrachtet muss er noch immer wegen ihm leiden, denn sechs Jahre Gefängnis sind mit Sicherheit kein Zuckeschlecken. Ich weiß nicht genau, was Marco vom Kontakt zwischen Jackson und mir hält, doch ich bin mir sicher, dass er mir den Brief nicht mitgebracht hätte, hätte er den Kontakt zwischen uns verhindern wollen. Er würde es mir sagen, wenn es ihn stören würde. Es stimmt mich traurig, zu wissen, dass es ihm so schlecht geht und ich rein gar nichts ausrichten kann. Doch werde ich seine Fragen beantworten und ihm einen Brief schreiben, in welchem ich ihn auf den neusten Stand bringe, was mein Leben betrifft. Es scheint ihn wirklich zu interessieren, deshalb ist es mir eine Freude ihm seinen Wunsch zu erfüllen. Entschlossen nehme ich meinen Block und meinen Kulli, um den Brief an ihn sofort zu verfassen.

Lieber Jackson,

ich freue mich sehr, dass du an mich denkst und mir geschrieben hast. Es tut mir sehr leid für dich, dass du für eine so lange Zeit im Gefängnis bleiben musst. Gern würde ich dich auch besuchen kommen, doch leider geht es nicht, da ich im Krankenhaus bin und sich das so schnell auch nicht ändern wird. Mir geht es gut, da brauchst du dir keine Sorgen zu machen, es gab nur ein paar Komplikationen mit meiner Schwangerschaft, sodass ich nun bis zur Geburt meines Babys an dieses Krankenhausbett gefesselt sein werde. Was es wird weiß ich nicht, da ich es nicht wissen wollte. Allerdings wollte Marco es unbedingt wissen und hat es sich deswegen vom Arzt sagen lassen.

Auch Ela und Marco geht es gut, leider mussten wir ein Kindermädchen einstellen, da ich ja nicht auf Ela aufpassen kann. Und "leider" weil sie sehr hübsch und auch jung ist. Sie scheint nahezu perfekt zu sein und ich bin ziemlich eifersüchtig, dass diese Frau auf mein kleines Mädchen aufpasst und täglich in Marcos Nähe sein wird. Natürlich vertraue ich ihm, aber dennoch wütet die Eifersucht in mir, verstehst du?
Außerdem wurde auch noch festgestellt, dass ich wohl eine Überfunktion der Schilddrüse habe, was an sich nichts schlimmes ist, da ich aber schwanger bin, ist das für mein Kind sehr gefährlich. Wegen dieser Überfunktion ging es mir auch so schlecht und konnte nicht wirklich erfolgreich zunehmen. Jetzt nehme ich aber täglich Medikamente und es geht bergauf. Außerdem könnte ich von morgens bis abends sämtliche Süßigkeiten in mich hineinstopfen, was meiner Figur aber wahrscheinlich auch nicht sehr gut tun wird. Marco bringt mir täglich irgendwelches Obst und Gemüse mit ins Krankenhaus, was ich dann auch in null Komma nichts aufgegessen habe. Dass ich aber auch noch einen Süßigkeitenvorrat in meinem Schrank hier habe, werde ich Marco nicht erzählen, denn dann ist das schneller alle als ich gucken kann.
Ein Bild von uns habe ich dir auch beigelegt, dann kannst du immer an uns denken und uns ansehen. Vielleicht ist dir nicht sehr wichtig, dass Ela und Marco mit auf dem Bild sind, da du sie ja gar nicht kennst, aber ich bin auch drauf und ich werde dir immer eine gute Freundin sein, das darfst du niemals vergessen.
Auch wenn du aus dem Gefängnis heraus kommst, werde ich für dich da sein und dir in ein neues Leben helfen, denn du wolltest mir auch schon oft helfen, nur war ich zu dumm, um deine Hilfe anzunehmen. Das tut mir sehr leid, ich bereue es auch, aber dennoch habe ich dich sehr gern, was hoffentlich auf Gegenseitigkeit beruht.
Lass nicht den Kopf hängen, du bist eine starke Persönlichkeit und wirst das alles überstehen, da glaube ich fest dran, du darfst nur nicht aufgeben.

Ich habe dich auch sehr lieb, Jackson.

Lia

Take My HandWhere stories live. Discover now