Kapitel 13 - Maurices Zeichnungen 2/5

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Irgendwie war es cute, dass Taddl sich Sorgen um mich machte, obwohl er mich kaum kannte. Trotzdem war ich etwas verunsichert. Bei ihm mitzufahren war eine Sache, aber zu ihm nachhause? Er war quasi fast ein Fremder. Genau wie Palle. Ich hatte Beide erst einmal getroffen. Die anderen aus der Clique sogar noch nie. Würde ich mich da geborgen fühlen können? Gerade nachdem Palle mich unterbewusst beleidigt hatte?

Seufzend rappelte ich mich auf und ging duschen.

Nachdem ich fertig war, briet ich mir ein Spiegelei und aß es zusammen mit Brot vor dem Fernseher. Aber wirklich konzentrieren konnte ich mich nicht auf die Serie, die gerade lief. Ständig drifteten meine Gedanken zurück zu Palle. Zu Taddl. Zu dem Treffen, das mir bevorstand. Sollte ich da wirklich hingehen? Das wäre... Irgendwie komisch. Aber irgendwie reizte mich die Vorstellung, den Jungen kennenzulernen, über den Palle im Auto so hergezogen war. Wie war dieses 'blonde Engelchen'? Konnte ich mich mit jemand Anderem identifizieren, der auch auf das gleiche Geschlecht stand? Vielleicht konnten wir uns über unsere Probleme austauschen... Obwohl... Doch keine so gute Idee. Wenn dieser Typ mit Palle in Kontakt stand, könnte er ihm meine Geheimnisse weitererzählen und dieses Risiko wollte ich unter keinen Umständen eingehen. Unter KEINEN Umständen.

Letztendlich machte ich die Serie aus, da ich nur die Hälfte des Inhalts mitbekommen hatte und widmete mich meinem Handy. Plötzlich fiel mir die Sache mit Dado wieder ein.

Langsam, aber sicher, tippte ich es, Buchstabe für Buchstabe in die Suchleiste ein: 'Essener Gesamtschule'. Kaum war ich auf der Schulwebsite angekommen, klickte ich auf den Link 'Junge Künstler und Künstlerinnen unserer Schule'.

Und schon war ich in der Galerie angelangt und scrollte mit großen Augen die vielen verschiedenen Bilder runter. Viele zeigten glückliche Kinder, manche auch Tiere oder Landschaften. Ich war echt baff... Wie konnten so junge Leute so viel Talent haben?

Allerdings waren auch ein paar Bilder dabei, die mich ein bisschen verwirrten. Sie waren in dunklen Farben gehalten. Manche eher schwarz, manche dunkelbraun oder gräulich. Aber keins sah wirklich farbenfroh aus. Eines zeigte zwei Hände, die sich vor einem schwarzen Hintergrund berührten. Beide waren dunkel vor Staub und Ruß gezeichnet und die linke Hand zierten feine, rote Striche. Es war so realistisch gezeichnet, dass man das Bild auch für ein gut bearbeitetes Foto halten könnte. Jede einzelnde Hautfalte, jede Staubflocke konnte man detailliert erkennen. Beeindruckt klickte ich das Bild an und fand eine kurze Bildbeschreibung des Künstlers.

'~Händedruck~ von Maudado, 15'

Maudado... Keinen Zweifel, dass es sich dabei um Maurice handelte. Er war 15, wurde von Micha und mir immer Dado genannt. Anscheinend hat er einfach die ersten drei Buchstaben seines Namens und unseren Spitznamen zusammengefügt. Mau - dado. Es machte Sinn. Aber irgendwie erschreckte mich dieses Bild...

Es wirkte so traurig. So dunkel, so leer. So depressiv, wie man Maurice nicht kannte... Was war los mit ihm? Wie lange liebte er Micha schon? Hatten seine unerwiderten Gefühle ihn so zerstört, dass er sein Talent fürs Zeichnen entdeckte und nun anfing, seine verzweifelten, dunklen Gedanken und Gefühle so niederschrieb?

Unter dem Künstlernamen 'Maudado' fand ich noch andere Bilder. Alle so perfekt gezeichnet, alle von diesem dunklen Thema. '~Der Baum~ von Maudado, 15' zeigte eine tief verschlungene, märchenhafte, aber auch düstere Trauerweide, die sich schwarz vor dem grauen Hintergrund abhob. Es schien zu regnen und unter den tief hängenden Ästen der Weide sah man den Umriss einer schwarzen Gestalt, dessen leuchtende Augen verzweifelt und verängstigt unter der dunklen Kapuze hervorblitzten. Die Äste schienen die winzige Gestalt beinahe mit einem schattenhaften Schlund zu verschlingen.

Ein anderes Bild, das 'Das schwarze Schaf' hieß und auch von Maudado war zeigte eine Herde von Schafen, die alle im Regen auf einer düsteren Wiese standen und der aufgehenden, Licht bringenden Sonne auf der linken Seite des Bildes hoffnungsvoll entgegenblicken. Nur ein Schaf, das schwarze Wolle hatte und echt hässlich gezeichnet war, im Gegensatz zu den anderen Schafen, blickte auf die dunkle, rechte Schattenseite des Bildes.

Ich verstand die Message meines besten Freundes. Er sah sich, als anders an. Als das schwarze Schaf. Alle 'normalen' Schafe, also die normalen Menschen behielten die Hoffnung auf einen Lichtblick selbst in finsteren Zeiten, doch das 'besondere' Schaf, das anders war, hatte die Hoffnung aufgegeben. Hatte Dado auch die Hoffnung aufgegeben? Wollte er das mit dieser Zeichnung ausdrücken?

Ein bisschen eingeschüchtert war ich schon. Allmählich hatte ich ein ungutes Gefühl bekommen. Konnte es sein, dass Dado echt am Ende seiner Kräfte war.?

Auch das nächste Bild war so ähnlich. Es hieß: 'Ich'

Es zeigte diesmal ein weißes Bild, auf dem ein großer schwarzer Umriss eines Jungen mit Locken zu sehen war. Er hatte den Kopf gesenkt und schien traurig. An der Stelle, wo das Herz des Jungen sein sollte, befand sich der weiße Umriss eines anderen Jungen, der sich vorbeugte, um den weißen Umriss eines Mädchens zu küssen, das sich lächelnd zu ihm gebeugt hatte. Gemeinsam bildeten die Umrisse der beiden, weißen Personen den Umriss eines gebrochenen Herzens in der Brust des schwarzen Umrisses des traurigen Jungen.

Ein tiefes Seufzen entfuhr mir. Tatsächlich brachte Dado alle seine Gefühle in Form eines Bildes zum Ausdruck. Und ich hatte es nie mitbekommen.... Erbärmlich.

Aber weiter konnte ich mir die Bilder nicht anschauen. Vermutlich wäre ich dann in Tränen ausgebrochen. Außerdem riss mich das Klingeln der Haustür aus meinem Dado-Wahn und ich stolperte zur Tür. Dass ich nach Dados Bildern aussah, als wäre ich gerade nach einem sehr traurigen Traum aufgeschreckt worden, war mir relativ egal.

Draußen vor meinem Haus stand niemand Geringeres, als der Junge, den ich für die letzten Stunden tatsächlich vergessen hatte.

Klaus.

Er grinste mich breit an. "Hallo Manu!", begrüßte er mich und streckte die Hände nach mir aus, wo er mir stolz einen Haufen Zettel präsentierte.

"Was ist das?"

"Deine Hausaufgaben.", lächelte Klaus. "Ich habe sie extra für dich mitgenommen.

Besonders begeistert war ich nicht wirklich davon. Die Hausaufgaben hätte er mir jetzt nicht unbedingt geben müssen..

"Ist die Schule denn schon vorbei?"

"Natürlich.", antwortete Klaus mit einem leicht vorwurfsvollen Ton, als hätte ich ihn mit meiner Frage persönlich gekränkt. "Es ist schon Viertel nach Sechs."

Ich schnappte erschrocken nach Luft. Schon Viertel nach Sechs? Wie schnell war die Zeit denn bitte vergangen? Mit einem kurzen "Danke und bis Montag, Klaus", nahm ich ihm die Zettel ab und knallte ihm die Tür vor der Nase zu. Rasch brachte ich meine Last zum Tisch und hastete die Treppe hinauf.

Ich musste mich schließlich hübsch machen... Für Palle. Für T. Die Hausaufgaben würde ich einfach mitnehmen.

Aber, auch wenn ich mich fertig machte, der Anblick von Dados Zeichnungen ließ sich nicht aus meinem Gedächtnis vertreiben.

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Yeah. Das erste Kapitel, das ohne Schlusswort über 1000 Wörter hat, in dieser Story. I am so proud of me.

Und da es das zweite Kapitel der Lesenacht ist, dürft ihr mir wieder Fragen stellen, die ich in meinem 'Me, You and the Community'-Book beantworten muss. Seid kreativ!

Aber bevor ihr das tut! Bitte Kapitel bewerten! <3

~Zucchini

Palle, seine Freunde und ich / #kürbistumor #glpalleWhere stories live. Discover now