IX

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Die Wellen brausten kraftvoll gegen die Klippen und der Wind pfiff laut durch das satte Gras, das weich unter ihren Händen ruhte.
Der Himmel war bedeckt mit trägen, dunklen Wolken, die müde dahintrieben und deren Regentropfen jeden Moment aus der sanften Watte zu brechen schienen.
Ein Blitz erhellte die von der Dämmerung erbleichte Umgebung und schlug den Himmel in zwei Hälften, während nicht weit von ihr ein Ast auf die Erde krachte und entzweibrach.
Die ersten Tropfen landeten auf ihren Schultern, durchnässten die dünne Baumwolle ihres T-Shirts und perlte ihre Arme hinab, anfangs noch sanft, doch als die Wolken schließlich vollkommen aufbrechen, war sie binnen weniger Sekunden von Kopf bis Fuß durchnässt.
Das Wasser lief ihr kalt den Nacken hinunter, ihre Haare klebten an ihrem Gesicht und der Wind ließ sie frösteln, aber dennoch blieb sie stumm auf dem Gras sitzen, den Blick starr auf die schwarzen Wellen unter ihr gerichtet.
Lange saß sie da, lauschte dem Sturm und der Zerstörung, den tosenden Wellen und dem jaulenden Wind, bis sie aufstand, um zu tun, wozu sie hergekommen war.
Sie trat langsam an die Klippe, ihre nackten Zehen gruben sich in die Erde, und blickte hinab auf die spitzen Felsen, die sich ihr tötlich entgegenreckten.
Sie wusste, dass ihr Vorhaben auf eine Art und Weise falsch war, der sie nicht widersprechen konnte, doch sie konnte sich ebenso wenig davon abhalten.
Heute nicht.
Alles war irgendwie perfekt, alles war richtig. 
Sie wollte es.

Das etwas in ihr, dass sie noch immer zurückgehalten hatte, schrumpfte in sich zusammen und ließ nur noch eine kalte Hülle zurück.

Noch ein Schritt und ihre Zehen hingen über die Klippe, ihr Fuß schwang frei in der Luft.
Sie schloss die Augen, breitete die Arme aus und stellte sich mit dem auf der Erde verbliebenen Fuß auf die Zehenspitzen.
Der Wind umschloss sie sanft und langsam ließ sie sich nach vorne fallen, das Adrenalin nahm Besitz vom ihr, ihr Herz raste und plötzlich wurde ihr etwas klar;
Sie wollte doch überhaupt nicht sterben.
Nicht heute.
Und doch war es zu spät.

RegenstürmeWhere stories live. Discover now