Kapitel 9

1.4K 83 10
                                    

In meinem Zimmer angekommen schloss ich die Tür hinter mir und schlug erst einmal mit der Faust gegen die nächste Wand. Der Schmerz ließ meine Wut verpuffen und ich begann wieder klar zu sehen. Dann atmete ich erst einmal tief durch und ließ mich mit dem Rücken an der Tür auf den Boden gleiten. Was war das gerade gewesen? Was hatte ich getan? Ich hatte Bernd gedroht. Ich hatte ihn geschlagen. Ich war ausgerastet. Ich hatte die Fassung verloren. Mit einem Schlag, der so heftig war wie der, den ich Bernd ausgeteilt hatte, traf mich die Erkenntnis, dass ich richtig großen Mist gebaut hatte. Wegen dieser Drohung und dem Schlag könnte Bernd natürlich jederzeit zu Jogi gehen und der würde mich wahrscheinlich sofort suspendieren. Warum sollte er auch nicht? Ich hatte Mist gebaut und er hätte damit die Möglichkeit Bernd's und meine Streitereien los zu werden. Ich war so ein verdammter Idiot. Ich ließ es tatsächlich zu, dass Bernd Leno es schaffte, mich zu besiegen. Nicht fair auf dem Platz durch Leistungen, sondern Abseits, durch Tricks. Durch miese kleine Aktionen, von denen ich mich provozieren ließ. Warum war ich nur so dumm gewesen und hatte das nicht erkannt? Bernd hatte es ja sogar geschafft, dass sich meine Freunde hier in der Nationalmannschaft gegen mich wandten. Vielleicht meinten sie es gut, ja, aber es war trotzdem nutzlos. Denn es half mir nicht, dass sie mein Verhalten kritisierten. Sollten sie ihre Energie doch viel lieber darin verschwenden mir zu helfen, wenn Bernd mir mal wieder blöd kam. Sollten sie mir doch lieber mal wirklich als Freunde zur Seite stehen. So wie es Karim immer bei Bernd tat. So sollten sich wahre Freunde verhalten. Nicht einem auch noch Vorwürfe machen. Als ich so drüber nachdachte, traf mich der nächste Schlag in den Magen. Hatte ich hier denn überhaupt wirklich Freunde. Die Jungs, bei denen ich es dachte, hatten mir ja irgendwie das Gegenteil bewiesen. Klar, mit den Anderen kam ich auch zurecht, aber es war halt einfach nicht das gleiche, wie z.B. mit Marco. Besonders mit Marco konnte ich einfach über Dinge reden, mit denen ich über andere nicht reden konnte. Er kannte Seiten an mir, die andere nicht kannten und gerade sein Verrat schmerzte besonders. Was hatte ich getan, um das alles zu verdienen? Lag es vielleicht wirklich an mir? Immerhin verhielt sich Bernd nur mir gegenüber so. War also ich Schuld? War ich der störende Faktor und nicht Bernd? Warum war es überhaupt wieder so weit gekommen? Hatten wir uns nicht vor wenigen Stunden noch ganz gut verstanden? Hatten wir nicht einen Weg gefunden auf professioneller Ebene miteinander umzugehen? Solche und noch weitere Fragen und Gedanken schwirrten mir durch den Kopf und mir wurde schlecht davon. Ich musste damit aufhören. Ich durfte den Mist nicht weiter an mich ranlassen. Ich durfte nicht zulassen, dass mich diese Gedanken weiter kaputt machten. Sonst würde Bernd wirklich gewinnen. Nein, ich musste kämpfen. Fair kämpfen. Durfte keine weitere Angriffsfläche bieten und durfte Bernd auch nicht nochmal einen Grund geben, mit dem er mich bei Jogi anschwärzen könnte.
Von diesem Entschluss gestärkt rappelte ich mich langsam auf. Der Boden war schon ziemlich ungemütlich gewesen. Ein Blick auf die Uhr verriet mir dann auch, dass es langsam Zeit wurde zu essen und ich spannte mich wieder an. Gleich würde sich zeigen, ob Bernd mich bei Jogi verpetzt hatte oder nicht. Seufzend machte ich mich also auf, mein Zimmer zu verlassen und in Richtung der Aufzüge zu laufen. Natürlich musste ich mal wieder auf diesen warten, was mir zum Verhängnis wurde. Hätte ich doch lieber die Treppe genommen, denn in dem Moment, als mir die Aufzugtüren Einlass gewährten, tauchte Bernd neben mir auf und stieg ebenfalls in den Aufzug. Es herrschte eisiges Schweigen. Unterbrochen nur von dem Geräusch der sich schließenden Türen. Ich spürte Bernd's stechenden Blick auf mir und trotz meines Vorsatzes konnte ich mir ein zynischen „Erwarte jetzt bloß keine Entschuldigung", nicht verkneifen. Ich hoffte, dass er das einfach so im Raum stehen lassen würde, aber ich musste mich mal wieder täuschen.
„Hätte ich von einem wie dir auch nicht erwartet." Einem wie mir? Einem wie mir?! Hatte der Typ jetzt den Verstand endgültig verloren oder für was hielt der sich.
„Wie bitte?", fragte ich betont ruhig nach.
„Hätte ich auch von einem Schwanzlutscher wie dir nicht erwartet. Aber du wirst schon sehen, was du von der Aktion hast und wenn du nicht aufpasst, kann ich immer noch jederzeit damit zu Jogi gehen. Mal sehen, was der von deiner tollen Aktion hält", antwortete Bernd gehässig und ich war sprachlos. Einmal wegen der Beleidigung und einmal wegen der Drohung. Bernd schien es wohl nicht zu gefallen, dass ich nicht sofort reagiert hatte und legte deswegen nochmal nach.
„Ist doch so. Das Schwanzlutschen macht dir bestimmt Spaß, warum solltest du es also nicht auch während den internationalen Pausen weiter machen können? Sonst hättest du es doch nie so weit geschafft." Ich hätte schon wieder austicken können. Was fiel ihm eigentlich ein, mich so zu nennen? Ich ballte meine Hände zu Fäusten und musste mich mühsam beherrschen. Unkommentiert wollte ich das aber auch nicht stehen lassen und so sagte ich erstaunlicher Weise wirklich ruhig: „Nun, nur weil das so bei dir gelaufen ist, brauchst du nicht gleich von dir auf andere schließen. Ich bin nicht der von uns, der sich hochgeschlafen hat." Ein Blick zur Seite verriet mir, dass Bernd mit dieser Antwort nicht gerechnet hatte, denn ihm waren sichtlich die Gesichtszüge entglitten. Ein mulmiges Gefühl machte sich dann doch in mir breit und ich war sehr froh, als sich die Aufzugtüren mit einem leisen „Pling" öffneten. Schnellen Schrittes verließ ich den Aufzug und eilte in den Speisesaal. Ich bezweifelte, dass Bernd hier noch irgendwie auf meine Aussage im Fahrstuhl reagieren würde. So als wäre nichts gewesen, setzte ich mich neben Marco, welcher mich zwar mit hochgezogener Augenbraue ansah, aber nichts sagte. War auch besser so, denn für einen erneuten Streit, war ich gerade einfach nicht in Form. Nach einiger Zeit kam auch Bernd in den Speisesaal und auch wenn ich mit dem Rücken zu ihm saß, konnte ich das ganze Essen über seinen stechenden Blick auf mir fühlen. Mir war dabei nicht wohl, vor allem nicht, da er ein Druckmittel gegen mich hatte und das wussten sowohl er, als auch ich. Bernd war aktuell der Gewinner.

CollideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt