Eine fatale Verwechslung

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Da stand ich also nun. Wie bestellt und nicht abgeholt in der Seitengasse, aus der gerade eine Frau mit Newt disappariert war.
Na toll, was jetzt? Sie könnte überall mit ihm sein. Und außerdem hatte ich ein ungutes Gefühl, welches mir sagte, dass der Muggel vorhin nach Newts Koffer gegriffen haben könnte statt nach seinem eigenen. Doch wie immer war alles viel zu schnell gegangen, als dass ich hätte eingreifen können, da der Mann sich ziemlich hastig aus dem Staub gemacht hatte.
Sollte ich also erstmal nach diesem Muggel suchen?
Aber was war mit Newt? Was, wenn ihm irgendetwas passieren würde oder schon passiert wäre? So etwas würde ich mir wohl kaum verzeihen können. Schließlich kannten wir uns bereits seit über fünfzehn Jahren und ich wagte es gar nicht, mir ein Leben ohne ihn auszumalen.

Doch da kam mein Verstand wieder zurück und sagte mir, dass Newt sich, auch wenn er sehr schüchtern war, durchaus zu verteidigen wusste, und ich mich jetzt lieber um das Wohl der Zauberergemeinschaft kümmern sollte. Der Muggel musste ohnehin so schnell wie möglich obliviiert werden und ich wollte nicht nach gerade mal wenigen Stunden schon eine Auseinandersetzung mit dem Macusa bezüglich der Geheimhaltung der Zauberergemeinschaft provozieren.

Und da war ich schon bei der nächsten Frage angelangt. Wie sollte ich diesen Muggel denn bitte finden? Er konnte doch in jede Richtung gelaufen sein und mitten am Tag als Eule herumzufliegen, um nach ihm zu suchen, würde zu viel Aufsehen erregen. Dann musste ich ihn wohl oder übel zu Fuß suchen.
Doch vorher benutzte ich noch einen Aufspührungszauber für ein Foto von Newt, Jo, Leta und mir, damit ich immerhin sicher zu Newts Koffer finden würde. Das Foto wurde aufgenommen, kurz bevor wir unser fünftes - beziehungsweise die drei ihr sechstes - Schuljahr abgeschlossen hatten. Ich hatte es für den Fall verzaubert, dass ich mich einmal verlaufen oder - wie jetzt - Newt aus den Augen verlieren sollte. So konnte ich nämlich immerhin sicher zum Koffer zurückfinden, in dem Newt sich für gewöhnlich früher oder später wieder einfinden würde.

Offensichtlich war der Koffer noch in der Nähe, also hatte sich meine Vorahnung entweder bestätigt, oder, was ich hoffte, die Frau war nicht allzu weit weg mit Newt appariert.
Ich folgte wie ein gehetzter Muggel der für sie unsichtbaren Spur, die von meinem Zauberstab ausging.
Schließlich kam ich an einem Haus an, in dem einige Leute zu wohnen schienen. Ich hoffte inständig, dass Newt hier war, doch bevor ich das Gebäude auch nur betreten konnte, brach die Hauswand auf und einige magische Tierwesen stürmten aus dem Loch, darunter ein Billywig, ein Erumpent und ein Occamy. Das waren Tierwesen, die in Newts Koffer waren.
Bei Merlins Unterhose! Das hieß also, dass der Muggel den Koffer nicht wieder verschlossen hatte, als irgendein Tierwesen wieder mal heraus wollte. Auch wenn vielleicht nicht alle entkommen waren, musste der Koffer nun schleunigst verschlossen werden, bevor noch weitere Wesen ausbrachen.
Ich hastete also an den aus dem Haus strömenden Muggeln vorbei und musste nicht lange nach dem Appartement suchen, aus dem die Tierwesen ihrem Koffer entflohen waren.
Dieser stand sperrangelweit offen auf einem Bett und als ich ihn gerade schließen wollte, sah ich den Murtlap, der sich über den Muggel hermachen wollte.
So schnell es ging riss ich ihn von der bewusstlosen Person weg und dabei erkannte ich, dass es tatsächlich der Muggel von vorhin war.
Ich verschloss den Koffer und sah mir den Mann genauer an.
Er hatte einen Biss des Murtlaps am Hals und dieser schien ihn, besonders zusammen mit den harten Aufprall auf dem Boden, sehr mitgenommen zu haben.
Eigentlich ungewöhnlich, normalerweise waren Murtlapbisse recht harmlos, doch es könnte sein, dass seine Anatomie etwas anders als die von Zauberern war. Wie genau anders, wusste ich zwar nicht, doch mich beschäftigte nun eher die Frage, ob ich ihn in diesem Zustand obliviieren konnte oder nicht. Wenn ich mich nicht um ihn kümmerte, könnte sonst was passieren.
Aber zum Glück kam Newt in diesem Moment herein und erleichtert fiel ich ihm in die Arme:
"Oh Gott, Newt, ich bin so froh, dass du wieder da bist."
"Ich auch", sagte er und erwiderte die Umarmung.
"Ich erklär' dir später alles, was passiert ist. Zuerst sollten wir das Chaos wieder in Ordnung bringen", befand Newt und deutete dabei auf das riesige Loch in der Hauswand.
"Reparo", riefen wir beide gleichzeitig und die Mauersteine begannen damit, sich wieder an ihren ursprünglichen Platz zu begeben.

Nun kam auch die Frau, die mit Newt disappariert war, hinzu und bevor sie anfangen konnte, zu reden, meinte ich angesäuert: "Wer sind Sie eigentlich? Und was wollen Sie von uns?!"
"Das erkläre ich Ihnen später", speiste sie mich ab, was mich empört ausatmen ließ, doch die Frau sprach direkt weiter: "War der Koffer etwa offen?!"
"Nur einen Spalt", beschönigte Newt die Situation, doch das half nichts.
"Ist Ihr Nifflerding wieder entkommen?"
"Möglich", meinte Newt kurz angebunden.
"Dann suchen sie es! Was haben sie sonst noch in Ihrem Koffer?"
Nun fiel ihr Blick auf den am Boden liegenden Muggel:
"Was ist mit ihm?"
"Das ist nur ein Murtlapbiss, so etwas ist für gewöhnlich nicht weiter schlimm", erklärte ich und Newt wollte gerade seinen Zauberstab zücken, um den Mann zu obliviieren, doch die Frau stoppte ihn:
"Sie können ihn doch jetzt nicht obliviieren! Wir brauchen ihn als Zeugen. Und außerdem sieht er ziemlich schlimm aus, dafür, dass so ein Biss so harmlos sein soll. Was passiert denn jetzt überhaupt mit ihm?"
"Also wenn es wirklich schlimm wäre, würden zuerst Flammen aus seinem Anus austreten und danach...", setzte Newt an, doch wieder einmal wurde er von der Frau unterbrochen:
"Wie lange soll das bitte dauern?!"
"Allerhöchstens 48 Stunden. Aber wir könnten ihn solange bei uns behalten, um ihn zu beobachten", ergriff ich wieder das Wort.
"Sie wollen ihn bei sich lassen? Wir vermeiden jeglichen Kontakt zu ihnen!", meinte die Frau etwas hysterisch und nach einer kurzen Pause, in der sie sich wieder zu fassen schien, meinte sie weiter: "Wissen Sie beide überhaupt irgendetwas über die Zauberergemeinschaft in Amerika?"
"Ein paar Dinge sind uns tatsächlich bekannt", fing Newt an.
"Zum Beispiel haben Sie ziemlich rückschrittliche Regeln bezüglich des Kontaktes zu Nichtmagiern, denn es ist jeglicher Kontakt zu nichtmagischen Menschen verboten. Man darf nicht mit ihnen befreundet sein, man darf sie nicht heiraten..."
"Wer würde ihn heiraten wollen?!", schnitt die Fremde mir das Wort ab. Dies zeigte mir nicht nur, dass sie oberflächlich zu sein schien, sondern sie wurde mir gleich noch ein Stück unsympathischer.
"Sie drei werden jetzt mit mir mitkommen", fing die Frau an und machte sich daran, dem Muggel aufzuhelfen.
"Ich sehe keinen Grund, weshalb wir mit Ihnen mitkommen sollten", meinten Newt und ich im Chor.
"Jetzt helfen Sie mir erstmal", kam es wieder von der Frau und Newt und ich fassten uns ein Herz und gemeinsam halfen wir dem Muggel auf.
"Das ist alles ein schlimmer Albtraum, nicht wahr?", meinte der Muggel resigniert.
"Ich wünschte auch, es wäre so, Mister...?"
"Kowalski, Jakob Kowalski."
"Na dann", sagte die Frau noch, bevor sie disapparierte und uns entgegen unseres Willens mitnahm. Doch ein ungutes Gefühl sagte mir, dass wir irgendetwas in dem Appartement vergessen hatten...

Die Unbekannte im Fall Newt Scamander, Artikel 3AWo Geschichten leben. Entdecke jetzt