Ein hinterhältiger Kobold

542 19 3
                                    

Wir befanden uns gemeinsam auf dem Dach eines der vielen Hochhäuser New Yorks. Mittlerweile war es bereits später Nachmittag und während Queenie und Jakob sich im Taubenhaus, das auf dem Dach war, ein wenig näherkamen, besprachen Newt, Porpentina und ich, wie wir weiter vorgehen würden. Natürlich war mir klar, dass wir die Tierwesen allesamt wieder einfangen mussten. Und das nicht nur, damit Porpentina endlich Ruhe gab, sondern auch zu ihrem eigenen Schutz, denn es war - bis jetzt jedenfalls - leider üblich in der Zaubererwelt, magische Tierwesen sofort zu töten. Newt und ich wollten unbedingt, dass sich das bald ändern würde, also studierten wir alle erdenklichen Wesen und führten möglichst genau Buch darüber, weil es schon seit wir Kinder waren unser gemeinsames Ziel war, Zauberer die Tierwesen endlich verstehen zu lassen. Sie sollten keine Angst vor ihnen haben. Denn gerade wegen so einer Angst gab es wohl auch Gesetze, die den Besitz magischer Tierwesen in gewissem Umfang verboten.
"Außerdem müssen wir die Tierwesen einfangen, damit Graves sie nicht als Druckmittel einsetzen kann", fügte Porpentina mal etwas hinzu, was mich erstaunte, da dieser Aspekt mal nicht direkt mit dem Gesetz zu tun hatte.
"Beth, weißt du, welche Tierwesen wir noch unbedingt einfangen müssen?", fragte Newt und ich verstand, dass ihm der Billywig dabei nicht so wichtig war, denn durch die Geschwindigkeit, mit der die in Australien beheimateten insektenartigen Tierwesen durch die Gegend flogen, wurden sie meist ohnehin nicht von Muggeln und Zauberern bemerkt.
"Also da hätten wir ein Occamy und Dougal."
"Dougal?", fragte Porpentina, wobei sie ein Lachen unterdrückte.
"Ja, Dougal. Das ist unser Demiguise, ich habe ihm den Namen gegeben", meinte ich stolz, "aber da gibt es wahrscheinlich ein klitzekleines Problem", fing ich an.
"Genau, denn Dougal ist die meiste Zeit unsichtbar. Aber ich schätze, wir finden ihn in unmittelbarer Nähe zum Occamy. Er hat wohl einen ziemlich ausgeprägten Beschützerinstinkt", erklärte Newt.
"Nur wie finden wir das Occamy?", stellte ich nun die nächste aufgekommene Frage.
"Gnarrlack", sagte Porpentina nach einiger Zeit der Stille, die nur durch die gedämpften Stimmen von Queenie und Jakob gestört worden war.
"Was für ein Ding?", fragte ich verwirrt.
"Gnarrlack. Er war mein Informant, als ich noch Auror war. Er handelt mit magischen Kreaturen", erklärte Porpentina.
"Er interessiert sich nicht zufällig auch für Pfotenabdrücke?"  Ein wenig irritiert schaute ich Newt an.
"Er interessiert sich für alles, was er verkaufen kann", war die Antwort darauf.

Wenige Minuten später fanden wir fünf uns vor einem schmalen, unscheinbaren und etwas schäbig aussehenden Kellereingang wieder, an dessen Tür Porpentina klopfte, während sie und ihre Schwester ihre Kleidung in hübsche Abendkleider verwandelten, woraufhin Newt sich seine Fliege ordentlich zauberte und ich meinen grünen Mantel, den ich über einer weißen Bluse und einem schwarzen Rock trug, in ein schwarzes Kleid mit goldenem Paillettenmuster und schwarzen Fransen am Rockteil verwandelte.
Auf dem Plakat, das an der Eingangstür hing, wurde an der Stelle, an der sich die Augen der in einen Spiegel schauenden, abgebildeten Frau befanden, ein Schlitz geöffnet und ein echtes Augenpaar beobachtete uns skeptisch.
"Wir wollen zu Gnarrlack", sagte Porpentina, bevor die Tür geöffnet und wir hereingelassen wurden. Das, was ich zuvor für einen Keller gehalten hatte, entpuppte sich als Pub, in dem es vor zwielichtigen Gestalten nur so wimmelte: viele Zauberer und Hexen - drunter vermutlich auch einige Dirnen - und sogar ein Riese schienen hier ihren dunklen Geschäften nachzugehen, während im Hintergrund ein Koboldmädchen und eine kleine Band mit Gesang und Jazz-Musik für eine passende Atmosphäre sorgten.
"Ich habe mindestens die Hälfte der Leute hier schon einmal verhaftet", gab Porpentina kleinlaut zu und prompt fühlte ich mich noch unwohler. Wie konnte es dann überhaupt sein, dass noch niemand auf sie oder uns losgegangen war? Anscheinend hätten hier ja viele einen Grund dazu gehabt.
Queenie und Jakob gingen zur Bar, wo ich gerade noch beobachten konnte, wie Jakob seine erste Begegnung mit einem Hauselfen machte und natürlich versuchte, nicht als Muggel aufzufallen, während Newt, Porpentina und ich uns an einen freien Tisch setzten.
"Entschuldigen Sie, falls es mich nichts angeht, aber in diesem Todesbecken habe ich vorhin Sie und diesen Jungen von den zweiten Salemännern gesehen", fing Newt höflich an.
"Sein Name ist Credence. Seine Mutter schlägt ihn. Sie schlägt alle Kinder, die sie adoptiert hat, aber ihn hasst sie am meisten", erzählte Porpentina mit Bedrücktheit in der Stimme.
"War sie es, die von Ihnen angegriffen wurde?"
"Deswegen bin ich versetzt worden. Ich bin während einer ihrer Versammlungen auf sie losgegangen. Es mussten alle obliviiert werden. Das war ein großer Skandal", antwortete sie beschämt.
Dann kam ein Kobold, der besonders wichtig aussah und dieser Gnarrlack zu sein schien, herein und setzte sich zu uns dreien an den Tisch und zündete sich eine Zigarre an, während die Musik und der Gesang des Koboldmädchens verstummten.
"So, Sie sind also der Mann mit dem Koffer voller Monster, hm?"
"Das scheint sich ja schnell herumgesprochen zu haben", meinte Newt und eine Pause entstand. "Ich hatte gehofft, Sie könnten mir sagen, ob irgendetwas gesichtet wurde. Spuren oder dergleichen", setzte er fort.
"Auf Sie ist ein hübsches Kopfgeld ausgesetzt, Mr Scamander", informierte Gnarrlack uns, "warum sollte ich Ihnen helfen? Anstatt Sie einfach auszuliefern?", fügte derjenige mit der gigantischen Nase hinzu.
"Ich muss wohl dafür sorgen, dass es sich für Sie lohnt", folgerte Newt.
"Sehen Sie es einfach als Eintrittsgeld an", meinte der Kobold mit den schwarzen Augen. Nach dieser dreisten Aussage sah er erwartend zu Newt hinüber, der daraufhin ein paar Galleonen auf den Tisch legte und sie zu Gnarrlack hinüberschob.
"Der Macusa bietet weitaus mehr als das", kam es unbeeindruckt von ihm zurück. Anscheinend war er ein recht harter Brocken, denn auch mein Lunaskop lehnte er ab. Allerdings zeigte er Interesse für das gefrorene Aschwinderinnenei, das Newt nach etwas Überwindung anbot. Dummerweise sah der Kobold in genau dem Moment Pickett, der kurz am Revers von Newts Mantel hervorlugte und durch Newts Trinkglas vergrößert wurde:
"Moment, das ist doch ein Bowtruckle, richtig?"
"Nein."
"Ach kommen Sie, diese Dinger können Schlösser knacken, nicht wahr?"
"Den können Sie leider nicht haben", sagte Newt entschlossen.
"Gut. Ich wünsche Ihnen viel Glück, bei Ihrer Heimreise, Mr Scamander, und auch Ihnen, Miss..."
"Gorthon", ergänzte ich missmutig.
"Mit dem gesamten Macusa im Nacken", meinte der Kobold konsequent und stand auf, um zu gehen, als Newt sich einen Ruck gab und Pickett nun doch noch hergeben wollte. Ich konnte in seinen Augen dabei ganz deutlich erkennen, dass ihm das in der Seele wehtat, während er auf den Bowtruckle einredete, damit dieser endlich seine Hand losließ.
"Nun gut", fing er an, während er Pickett mit seinen Fingern festhielt, die so überdehnt schienen, als habe der Kobold dort gar keine Knochen.
"Irgendetwas unsichtbares hat für Aufregung in der 5th Avenue gesorgt. Schauen Sie mal bei Macys Department Store vorbei", rückte der Kobold die Information, die uns hoffentlich weiterhelfen würde, heraus, während Newt versuchte, die Tränen zurückzuhalten.
"Die haben vielleicht, wonach Sie suchen", ergänzte er, als er sich zum Gehen umgedreht hatte.
"Dougal!", stellte Newt fest und man konnte einen Hoffnungsschimmer in seiner Stimme erkennen.
"Nur noch eins: beim Macusa arbeitet ein gewisser Mr Graves. Wissen Sie etwas über seine Vorgeschichte?", wollte ich nun wissen.
"Sie beide stellen ziemlich viele Fragen, Mr Scamander und Ms Gorthon. Die kosten Sie am Ende noch das Leben", meinte Gnarrlack bloß und eine Pause entstand.
"Macusa im Anmarsch!", hörte man aus dem Nichts einen Hauselfen rufen, bevor urplötzlich eine Panik und ein Durcheinander aus disapparierenden Zauberern und Hexen und apparierenden Mitarbeitern des Macusa entstand.
"Sie haben uns verraten?!", stellte Porpentina entsetzt fest. Aber war das nicht zu erwarten gewesen?
Gnarrlack lachte nur höhnisch, bevor Jakob ihn zu Boden schlug und ihn dabei ironischerweise um Verzeihung bat, was mich trotz der Umstände zum Schmunzeln brachte.
Es musste natürlich hierzu kommen, schließlich waren Newt und Porpentina eigentlich zum Tode verurteilt worden und ich hatte ihnen zur Flucht verholfen - das war bestimmt die Rache der bis vor kurzem noch anwesenden Zauberer und Hexen an Porpentina, von der sie früher verhaftet worden waren.
Schnell versuchten wir, uns zu sammeln, damit wir gemeinsam disapparieren konnten, allerdings brauchte Newt noch kurz Zeit, um Pickett vom Boden aufzulesen, da der hinterhältige Kobold ihn glücklicherweise nicht mitgenommen hatte, als er sich aus dem Staub gemacht hatte. Man konnte dem Magizooologen ansehen, dass er so unendlich froh war, seinen Bowtruckle wiederzuhaben, denn wenn er ihn verlieren würde, würde er sich deswegen bis an seinLebensende Vorwürfe machen.
Als Newt wenige Millisekunden später dann bei Jakob und mir war, fassten er und ich eilig Queenie und Tina an der Schulter, damit sie mit uns disapparieren konnten, denn mittlerweile wimmelte es in dem Pub nur so vor Auroren. Das letzte, was ich mit bekam, war Jakobs Lachen, nachdem er ein letztes Glas Giggelwasser getrunken hatte.

Die Unbekannte im Fall Newt Scamander, Artikel 3AWhere stories live. Discover now