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Schuldgefühle

Manu PoV

Tagelang habe ich keine Nachricht von Jenny erhalten. Sie hat mich bei Whatsapp und in ihren Kontakten geblockt. Kein Anruf, keine Nachricht von mir geht durch. Ich will es ihr doch erklären. Ich will ihr die Wahrheit sagen, auch wenn sie mich dann hasst. Denn wer kann schon einen halben Vampir lieben. Aber sie hasst mich ja eh schon, also würde ich es wagen. Wenn sie mir nur eine Chance dazu geben würde. Ich war sogar vor ein paar Tagen in San Myshuno bei ihr zuhause und habe stundenlang gewartet, aber sie war nicht da. Ich war sogar kurz davor einfach bei ihr zuschellen, aber dann hatte mich doch der Mut verlassen.

Langsam nimmt mich der Alltag wieder in Beschlag. Aufnehmen, Schneiden, Hochladen, soziale Netzwerke durchsehen... Es ist fast so, als hätte es die letzten Wochen überhaupt nicht gegeben. Als hätte es Jenny nicht gegeben. Aber das Stechen in meinem Herzen erinnert mich jeden Tag, jede Stunde, jede fucking Minute daran, dass sie da war... Dass sie mein war...

Die Aufnahme mit meinen Freunden ist lustig wie immer und lenkt mich von meinen Gedanken an Jenny ab. Gerne würde ich noch eine weitere Runde mit ihnen zocken, aber Palle meint „Sorry Leute. Ich muss nach meiner Freundin sehen, Ihr geht es momentan nicht so gut." Gelangweilt frage ich nach „Was hat sie denn? Den falschen Nagellack gekauft?" Aber was Palle jetzt erzählt, trifft mich wie ein Schlag „Ne, ach wisst ihr. Ihre Mitbewohnerin Jenny ist verschwunden. Sie wollte nur ein paar Tage ihre Mutter besuchen und sollte eigentlich Anfang der Woche wieder da sein. Sie ist aber nicht in San Myshuno angekommen. Zuhause ist sie auch nicht mehr. Sonja macht sich schreckliche Sorgen, dass sie sich vielleicht etwas angetan haben könnte, weil sie so fertig war, als sie sie das letzte Mal gesehen hat." Tränen schießen mir sofort in die Augen. Nein. Das darf nicht sein! Sie wird doch nicht, wegen unserem Streit...? Warum verdammt habe ich ihr nicht die Wahrheit gesagt? Und ihr gesagt, wie sehr ich mich in sie verliebt habe...? Ich schreibe Maudado eine Whatsapp Nachricht, dass er mich sofort anrufen soll und verlasse ohne ein weiteres Wort den Teamspeak. Keine zehn Sekunden später klingelt mein Handy. Verzweifelt schreie ich in den Hörer „Es ist meine Schuld. Was soll ich denn jetzt tun?" Maudado versucht mich zu beruhigen „Manu bitte beruhige dich. Sie hat sich nichts angetan. Das wüsstest du... bzw... naja... du weißt schon..."Sehr beruhigend Maudado! Wenn diese Legende wirklich stimmt und ich durch ihr Blut an sie gebunden bin, würde ich es wissen oder besser gesagt, ich wäre jetzt auch schon tot.

Während unseres Telefonats schellt es an der Tür. Ich schimpfe „Wer stört denn jetzt. Warte mal kurz Maudado. Ich schau nur kurz nach, wer da ist." Ich stecke mein Handy in meinen Hoodie und gehe zur Tür. Ein junger Mann, ungefähr in meinem Alter steht dort und wippt ungeduldig mit einem Fuß. Seine blasse Hautfarbe und die makellosen Gesichtszüge versetzen mich in Alarmbereitschaft. Vor meiner Tür steht ein Vampir. Ich hatte ihn noch nie zuvor gesehen, aber er wird bestimmt nicht bei mir geläutet haben, um mich in der Nachbarschaft willkommen zu heißen. Ich öffne und begutachte den Fremden misstrauisch. Der begrüßt mich übertrieben freundlich „Manuel, nicht wahr? Dein Onkel Ludwig schickt mich." Sofort stellen sich meine Nackenhaare hoch. Ludwig! Der hat mir gerade noch gefehlt. Ich knurre den Vampir vor mir böse an „Der soll mich in Ruhe lassen. Ich hab gerade andere Probleme. Bestell ihm einen schönen Gruß, bald landet er da, wo sein verkommener Sohn jetzt schon ist." Ein herausforderndes Blitzen leuchtet in den kalten blauen Augen meines Gegenüber auf und er lacht, genauso kalt und unecht, wie Derek. Und jetzt erkenne ich ihn. Vor mir steht Iwan, Dereks jüngerer Bruder. Und ein ungutes Gefühl überkommt mich. Iwan kommt einen Schritt auf mich zu und sagt bedrohlich ruhig „Dad meinte schon, dass du etwas stur reagieren könntest. Deshalb hat er auch eine kleine Überraschung für dich vorbereitet, wenn du jetzt brav mitkommst." Einen Dreck werde ich. Da zückt Iwan sein Handy und hält es mir vor die Nase. Erst erkenne ich nicht viel auf dem Bild, das er mir zeigt. Doch dann sehe ich ein junges Mädchen scheinbar schlafend auf einem alten staubigen Bett liegen. Meine Augen werden groß und mein Hals fühlt sich trocken an, als ich nur keuchend „Jenny!" herausbringe.

Mein Gegenüber lacht kalt und herzlos. In mir bricht gerade alles zusammen. Wenn ich sie nur nie kennengelernt hätte... Jetzt ist sie wegen mir in Gefahr. Und geschlagen murmele ich „Ich komme mit." Sie haben mich in der Hand. Ich mag mir gar nicht ausmalen, was sie Jenny antun würden, wenn ich mich jetzt noch weigern würde. Im schlimmsten Fall würden sie sie töten... und damit mich... aber das wäre dann eine willkommene Erleichterung von meinen Schuldgefühlen.

Auf der Fahrt schweige ich, aber meinen Begleiter scheint das nicht zu stören. Er redet fröhlich drauf los „Jetzt bekommt Dad endlich, was ihm zusteht." Ich horche auf und starre Iwan feindselig an „Was meinst du?" Er lacht wieder auf„Na, das Erbe deines Vaters." Stirnrunzelnd entgegne ich „Ich kenne meinen Vater nicht mal. Was soll er mir schon vererbt haben." Außer diese Scheiß-Vampirgene. Iwan rutscht näher zu mir und ich wende mich wieder von ihm ab „Dir gehört das ganze Vermögen, das Schloss, alle Ländereien des Zirkels. Mein Dad hat sich all die Jahre dafür krumm gelegt und dann bekommt er von seinem Bruder nichts. Gar nichts. Dein Vater hat alles dir überlassen, dem der Zirkel nichts bedeutet..." Ich spüre den blanken Hass in seiner Stimme und jetzt ist mir einiges klarer. Vorsichtig versuche ich einzulenken „Mir bedeutet es wirklich nichts. Ludwig kann gern alles haben, wenn ihr Jenny und mich in Ruhe lasst." Das mörderische Funkeln in den Augen des Vampirs lässt mich erschaudern „Nein. Feinde des Zirkels müssen sterben!" Damit ist für ihn das Gespräch beendet und wir haben unser Ziel erreicht. Vor uns erhebt sich ein gewaltiges Gebäude. Die ehemalige Heimat meines Vaters...