Kapitel 3

1.5K 81 4
                                    

(Um die Situation und die Gefühle zu untermalen, sollte man sich beim Lesen unbedingt 'Fireflies' von 'Owl City' anhören.)

——————————————

~ Flashback. ~

Nein! Nein, das durfte doch nicht sein! „Mami?", meine Stimme brach. Ich rüttelte den Arm meiner Mutter und versuchte sie zu wecken, doch sie rührte sich nicht. „Mami, ich habe Hunger!" Doch Mum reagierte nicht. Hatte sie mich etwa nicht mehr lieb? Dabei war sie doch extra da geblieben, weil ich mich doch nicht so gut gefühlt hatte, obwohl sie arbeiten musste!

Und dann wollte sie sich hinlegen. Das Problem war nur, dass sie nicht mehr aufwachte, obwohl sie doch sonst immer sofort da war!

Ich sah mich mit Tränen in den Augen um. In der Schule hatten wir gerade erst gelernt, was Tod war und seitdem hatte ich fürchterliche Angst vor ihm. Doch Carter und Mum und auch Spring, die noch nicht mal richtig laufen konnte, waren immer für mich da. „Mum!" Und dann weinte ich. Ich meinte, ich meinte, war sie etwa tot? Höchstwahrscheinlich nicht! Hoffentlich nicht! Immerhin starben doch nur alte Leute! Oder etwa nicht?

Moment... wie überprüfte man nochmal, ob jemand atmete? Richtig, Hand vor Mund oder Nase halten. Wenn man nichts spürte, war das ein schlechtes Zeichen.

Und genau tat ich. Ich spürte gar nichts. „Mum, Mami! Bitte!" Ich rüttelte sie wie verrückt, in der Hoffnung, sie würde doch noch antworten oder aufwachen.

Aber das tat sie nicht. Vielleicht war sie krank?

Was hatten wir nochmal gelernt, was tat man in so einem Fall? Ach ja, Krankenwagen rufen.

Schnell ging ich zum Telefon und nahm es in meine zittrigen kleinen Hände. Dann drückte ich auf den roten Knopf mit dem K.

Bitte, bitte, lass es funktionieren.

„Leider kein Signal.", kam es aus dem Hörer und ich versuchte es geschockt nochmal. Warum denn jetzt? Warum ausgerechnet jetzt?!

Doch wieder kam nur das gleiche von dieser ätzenden Frauenstimme. Mittlerweile rannen mir mehr als nur ein paar Tränen über die Wangen.

Und dann lief ich weg, weglaufen war schon immer das, was ich am Besten konnte. Einfach verschwinden. Dort wo niemand ein findet. Dort wo die Probleme ein nicht fanden. Nie finden würden.

Draußen war es kalt, aber ich lief einfach weiter. Aber was war mit Mum? Ich konnte sie doch nicht einfach so hier lassen! Aber was sollte ich tun? Hilfe holen, richtig. Aber wie denn? Hier in der Gasse war niemand und bis zur Schule war es zu weit.

Also lief ich einfach weiter. Ich schaute nicht zurück, warum denn auch. Ich hatte so Angst.

Noch nie in meinem Leben hatte ich so Angst. Es war schrecklich.

Bald schon kam mir der Gedanke umzukehren. Aber ich konnte es nicht. Vielleicht war ich schwach, aber ich konnte es einfach nicht!

Ich lief um die Ecke und rutschte auf dem vereisten Boden aus. Nein, nein, nein! Ich musste weiterlaufen und Hilfe holen! Für Mum!

Aber auch das konnte ich nicht. Mein Knie blutete und mein Schluchzen hallte durch die leere Gasse.

Doch plötzlich war er nicht mehr ganz so leer. Wo er herkam, bemerkte ich nicht, aber plötzlich stand ein junger Mann vor mir und sah mich besorgt an.

„Was ist denn los?"

Ich schniefte kurz bevor ich ihm antwortete.

„Mum. Sie schläft. Aber sie wacht nicht mehr auf! Ich brauche einen Krankenwagen!"

Meine Sicht war verschleiert wegen der ganzen Tränen, doch ich bekam trotzdem mit, wie mein Finder ein Handy zückte. „Wo wohnst du?", fragte er an mich gewandt. „Straße 295, Haus 34. Nein, stopp, stimmt nicht, 35." Und dann telefonierte er, allerdings konnte ich nicht verstehen was er sagte, denn meine lauten Herzschläge der Panik übertönten alles.

Bum, Bum, Bum...

Und plötzlich hörte ich Sirenen, sah einen Krankenwagen, zwei Krankenwagen. Irgendjemand kam auf mich zu, nahm mich mit, verarztete mein Bein. Doch ich schrie und wehrte mich, immerhin wollte ich bleiben. Was war mit Mum? Ich wollte bei ihr bleiben. Bei ihr sein!

Doch als ich fragte, beruhigte man mich nur, tätschelte meinen Kopf. Niemand gab mir eine Antwort auf meine Frage. Auf meine vielen Fragen.

Und dann saß ich plötzlich im Heim, erst alleine, dann kamen Carter und Spring. Carter erzählte mir unter Tränen, dass Mum nicht mehr da sei, dass sie tatsächlich tot sei. Aber ich weinte nicht mehr. Ich sah nur Carter dabei zu. Spring war noch zu klein, um zu verstehen, zwar fragte sie immer wieder nach unserer Mutter aber mehr nicht. Irgendwann würden wir es ihr erzählen, es ihr erklären, mein Bruder würde das übernehmen.

Für Mum gab es keine Beerdigung, ich war die letzte die sie je wieder sah. Selbst Carter und meine kleine Schwester bekamen nicht die Möglichkeit, je wieder ein Blick auf sie zu werfen. Aber wahrscheinlich wollte das auch niemand von beiden. Immerhin würde Mum weder lachen, noch lächeln, noch uns loben, oder ähnliches. Sie würde gar nichts mehr tun.

Vielleicht der Umstand, dass ausgerechnet ich sie so tot gesehen hatte, wie ein Mensch tot sein konnte oder auch der Umstand, dass die Unwissenheit, die mich eine kurze Zeit gequält hatte, fast umgebracht hätte, machten mich zu dem Menschen der ich jetzt war. Nicht mehr wirklich zugänglich für andere Menschen.

Verschlossen.

Ja, weglaufen und verstecken war tatsächlich schon immer meine größte Stärke.

Und jetzt versteckte ich mich in mir selber.

—————————————

Ich hoffe ich konnte die Denkweise einer 7-Jährigen gut umsetzten...

Ach ja, und obwohl es nicht zum Thema passt oben ein Bild von Spring.

In Wirklichkeit ist es Abigail Breslin. :)

♥ x ♥


Auserwählt.Where stories live. Discover now