11 - Die Stadt des Drachen

3.3K 211 43
                                    


Gefährliche Freundschaft
——————
Kapitel 11

Bisher hatte Atlas geschwiegen. Noch immer konnte er nicht fassen, dass ihm all die Jahre die Höhle am Meer verheimlicht worden ist. Es machte ihn so wütend, dass seine Nüstern sich aufzublähen begannen und Rauch heruasstob. Vin, die ihm von der Höhle und dem Kompass erzählt hatte, trat einen Schritt zurück, blieb aber ruhig, da sie wusste, dass sich Atlas' Zorn nicht gegen sie richtete und er ihr deswegen nichts antun würde. Zumindestens hoffte sie es.

In seiner Wut schien er erst nicht zu merken, dass Vin unablässig den Kompass vor seiner Schnauze hin und her pendeln ließ. Erst, als sie genervt aufseufzte und mit den Fingern schnippte, richtete er seine Aufmerksamkeit auf sie, aber nicht, ohne ihr einen wütenden Blick ob ihrer Herablassung zuzuwerfen.

»Nach Süden?«, gähnte Atlas gelangweilt, als Vin ihm gesagt hatte, was auf dem Zifferblatt stand. »Muss das sein?«

Vin verengte ihre Augen. »Ja«, blaffte sie, »oder willst du die Dracheneier nicht finden?« Sie war stolz darauf gewesen, einen Hinweis gehabt zu haben, von dem der Drache nichts wusste. Dass er darauf jedoch so unbegeistert reagierte, fand sie unbegreiflich. Er war doch derjenige, der unbedingt die Dracheneier suchen wollte! Wieso benahm Atlas sich eigentlich immer wieder so, als stünde er über allen? Ein plötzlicher Gedanke kam in ihr auf. War das Verhalten der Drachen vielleicht der Grund, dass der rote Drache sie angegriffen hatte? Sie beobachtete Atlas. Es war nicht unwahrscheinlich, dass er den Zorn anderer auf sich gezogen haben konnte und deswegen beschloss sie, die Theorie im Hinterkopf zu behalten.

»Doch«, gab Atlas von sich. Herausfordernd blickte er sie an, als er sagte: »Aber du willst es nicht.«

»Wie bitte?«, stieß Vin hervor. Sie musste sich verhört haben. Sie strich sich eine Strähne hinter ihr Ohr, wie immer, wenn sie aufgeregt oder wütend war.

Er schnaubte. »Du weißt genau, was ich meine. Als wenn du deine Meinung so schnell geändert hast. Du warst doch diejenige, die immer und immer wieder verlauten lassen hat, wie sehr sie uns hasst.« Atlas legte eine kurze Pause ein, bereitete sich auf seine nächsten Worte vor und beobachtete, wie dem Mädchen der Mund aufklappte. Dann fuhr er fort: »Du gewinnst nicht mal einen Vorteil dadurch, dass du die Eier mitsuchst. Und Vinley, ganz im Ernst! – Warum solltest du wollen, die Eier zu schützen, damit die Drachenjungen irgendwann schlüpfen, wenn du Drachen auf den Tod nicht ausstehen kannst?!«

Eiskalt hatte der Drache sie erwischt! Er hatte recht. Sie wollte nicht, dass wieder mehr Drachen in Katarlan lebten und schon gar nicht dabei helfen. Sie hatte zwar einen netteren Drachen kennengelernt, doch das Negativbesipiel Atlas hatte ihr gereicht, um den Entschluss zu fassen, die Dracheneier nicht zu schützen. Dass sie jetzt trotzdem mit dem arrogantesten Drachen ebendies tat, konnte sie selbst kaum fassen. Obwohl Vin es nicht wahrhaben wollte, wusste sie warum. Sie fand den Nervenkitzel aufregend, möchte die kleinen Streitereien mit dem Drachen, der ihr kontern konnte, ihrem Temperament nicht mit Beleidigung begegnete und geistig ihrem intellektuellen Standard entsprach. Sie hatte ein Abenteuer gewollt und brauchte die Ferne von dem Haus, das sie immerzu an ihre Eltern erinnerte.

»I-ich ... habe es nicht mehr dort ausgehalten. Es war eintönig und jeden Tag habe ich etwas gesehen, dass mich an meine Eltern erinnert«, erzählte Vin stockend, auch wenn sie dem Drachen eigentlich nicht so viel von sich hatte anvertrauen wollen. Doch die Worte kamen einfach aus ihr heraus, wirkten so notwenig wie Sauerstoff nach langem Tauchen.

Daraufhin war der Drache eine Zeit lang leise. Ob er wohl endlich verstand, dass er nicht der Einzige mit Verlust in seinem Leben war? Dass auch sie allein war, auch wenn sie Zara hatte?

Der Fall des Drachen [1] - Gefährliche FreundschaftWhere stories live. Discover now