Kapitel 3 ~ Ich muss hier weg

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- Hinata -

Ein widerlicher Geruch steigt mir in die Nase. Bah! Ist das ein Obdachloser?  Vor Ekel fange ich gleich noch mehr an zu zittern und muss würgen. Ich bringe einen größtmöglichen Abstand zwischen mich und diesen Jemand, stoße dabei aber auf meiner linken Seite schon wieder gegen einen Körper. Wo bin ich denn hier gelandet? Im Unterschlupf für alle Obdachlosen? Gar nicht so unwahrscheinlich. Aber da gehe ich lieber wieder raus in den Regen. Wenn ich Glück habe, hat es vielleicht schon aufgehört.

Vorsichtig stehe ich auf. Bloß niemanden wecken. Wer weiß schon, wie viele das sind oder was das für Menschen sind. Langsam und so leise wie möglich schleiche ich mich mit klopfendem Herzen wieder aus dem Bahnhof raus. Natürlich habe ich kein Glück. Jetzt fängt es auch noch an zu gewittern. Toll. Geduckt, die Hände in den Taschen, renne ich durch die Straßen. Ich laufe immer gerade aus, irgendwann muss ich ja mal wieder einen bekannten Ort finden.

Meine Schritte platschen durch die Pfützen. Meine Schuhe sind schon ganz klamm. Es regnet weiter, als würde es nie wieder aufhören wollen.

Missmutig schaue ich hinauf zu dem wolkenverhangenen Himmel. Innerlich verfluche ich das verdammte Wetter. Meine Beine schmerzen schon vom vielen Laufen und langsam aber sicher überkommt mich eine betäubende Müdigkeit.

So laufe ich eine gefühlte Ewigkeit allein durch den Regen. Und tatsächlich, ausnahmsweise habe ich mal kein Pech! Es schüttet zwar immer noch wie aus Kübeln, aber dieses Haus dort drüben kenne ich. Jetzt weiß ich immerhin, wie ich wieder nach Hause komme.

Ich renne nicht mehr. Plötzlich habe ich es überhaupt nicht mehr eilig. Mein Vater wird schon da sein. Sicher ist er wütend, weil ich noch nicht in meinem Zimmer bin. Aber was soll's, wir streiten sowieso die meiste Zeit über. Dann sehe ich es. Das etwas kleinere Haus. Ganz in weiß mit einem niedlichen Balkon. Es ist ein wenig zugewachsen mit wildem Wein und scheint überhaupt nicht hier her zu passen. Es wirkt eher so, als wäre es direkt aus einer Märchenwelt herteleportiert wurden. Dort wohne ich mit ihm. Wir haben eine Wohnung in der ersten Etage gemietet.

Wenn ich mir unser Zuhause so ansehe, kann ich plötzlich selbst nicht mehr wirklich verstehen. Es sieht so friedlich und willkommend aus. Warum hasse ich das alles so sehr? Mein Leben könnte so schön sein.

Ich schlurfe auf die dunkle Tür zu, hole meinen Schlüssel aus der Hoodietasche und schließe so leise wie nur irgend möglich auf. Ich schleiche durch den Flur, vorbei an der offenen Küchentür, Richtung Treppe. Aber da hat er mich schon entdeckt. Er sitzt in der Küche am Tisch mit einem Kaffee.

"Hinata?", ruft er und ich zucke erschrocken zusammen. "Wo warst du?" Er klingt erschöpft und als wäre er es leid, immer auf mich aufzupassen. Ich verdrehe stöhnend die Augen und schlurfe zurück zur Tür. Meine nassen Schuhe quietschen verräterisch auf dem Parkett.

"Ist dir das nicht sowieso egal? Du interessierst dich doch nur für deine komischen Rätsel", werfe ich ihm bissig vor.

"Pass auf, wie du mit deinem Vater sprichst!"
Müde sieht er mich an.
"Also wo warst du? Wieder in irgendeinem alten Bahnhof die Züge mit deinen Kritzeleien beschmieren? Oder bei deinen seltsamen Freunden? Du weißt genau, dass sie nicht der richtige Umgang für dich sind." Das Wort Freunde spuckt er geradezu angeekelt aus, während er sich mit einer Hand übers Gesicht streicht. Wieder steigt Wut in mir auf.

"Du weißt doch überhaupt gar nicht, was Freunde sind! Und du hast keine Ahnung von meinen Freunden! Nur weil sie in ärmeren Verhältnissen leben und sich irgendwie ihr Geld verdienen müssen, heißt das noch lange nicht, dass sie schlechte Menschen sind", verteidige ich sie. Aber das schien meinen Vater reichlich wenig zu beeindrucken.

Am anderen Ende der Welt | BTSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt