Kapitel 40 ~ Deadly Soul

118 14 95
                                    

- Hinata -

"FREIHEIT", brülle ich laut über den Schulhof, springe die zehn Stufen der Eingangstreppe in einem Satz nach unten, stolpere und taumle unkontrolliert nach vorn, bis ich gegen etwas stoße. Oder besser, gegen jemanden. Dieser Jemand sieht nicht sehr erfreut darüber aus, mich zu sehen. Das beruht allerdings auf Gegenseitigkeit.

Würgend weiche ich einige Schritte zurück und schaue den Jungen vor mir verächtlich an. Dieser ist niemand geringerer als Kim Kibum. "Widerling, benutz mal Deo! Du stinkst schlimmer als ein Haufen Abfall", beschwere ich mich angeekelt und halte mir demonstrativ die Nase zu.

Etwas irritiert sieht er mich an, bevor er sich wieder fängt, komplett zu mir umdreht und sich so gut, wie es mit seinem knochigen Körper möglich ist, vor mir aufbaut. "Hey, du kleine Schlampe, was willst du?"

"Geh mir aus dem Weg oder ich kastriere dich!", gebe ich genervt von mir und versuche mich an ihm vorbei zu schieben. Seit Yuki wieder in Deutschland ist, bin ich von jedem sofort genervt. Da hat mir dieser Zusammenstoß gerade noch gefehlt. Doch der Lauch hat dem Anschein nach nicht vor aufzugeben.

"Na, hast du wieder schlechte Laune, du Ausländer?"

Fest entschlossen mich heute ausnahmsweise nicht provozieren zu lassen, atme ich einmal tief durch und gehe einfach davon, während ich aggressiv auf meinem Kaugummi herumkaue, um ihm nicht an die Gurgel zu gehen.

"Hat unser kleines Möchtegern-Badgirl etwa Angst?", ruft er mir höhnisch hinterher.

Im Laufen drehe ich mich um, mache eine Kaugummiblase und rufe ihm zu: "Nein! Meine Zeit ist nur zu wertvoll, als dass ich sie mit dir verbringen wöllte." Mit diesen Worten verlasse ich das Schulgelände. Wie ich diesen Bastard hasse.

Als ich zu Hause ankomme, fühlen sich meine Füße an, als ob sie gleich abfallen würden. Mir konnte es aber nicht im Traum einfallen, die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen. Wenn ich nur an die Massen von schwitzenden und triefenden Menschen und an die stickige Luft denke, schüttelt es mich vor Ekel.

Auf dem Weg in mein Zimmer muss ich wohl oder übel an dem Arbeitszimmer meines Vaters vorbei. Die Tür steht offen. Ich erhasche einen Blick auf ihn, wie er zwischen Zeitungsartikeln, Wörterbüchern, Klebezetteln, Textmarkern, Bleistiften, Lupen, Landkarten, aufgeschlagenen historischen Romanen, dem neuen und alten Testament der Bibel, Operationsbesteck und natürlich dem vergilbten, von Motten zerfressenen und schon halb verrotteten Abschiedsschreiben meines Urgroßvaters, welches, mal ganz nebenbei bemerkt, mit Blut geschrieben ist, sitzt. Neben ihm auf dem Tisch steht ein dampfendes, brodelndes, zähflüssiges Gebräu, das echt widerlich stinkt und raucht.

- Na gut. Das ist vielleicht etwas übertrieben. Eigentlich ist da bloß das Testament meines Urgroßvaters, das ein ganz normales, weißes Blatt Papier mit ganz normaler, stinklangweiliger, blauer Tinte ist. Daneben steht eine Tasse Kaffee und eine Nudelsuppe mit Maggi, welches wir uns extra von Deutschland schicken lassen haben, weil wir beide Sehnsucht danach hatten.

Aber im Ernst, wie kann er nur so besessen sein, dass er sich sofort, wenn er von der Arbeit zurückkommt, auf dieses Rätsel stürzt, obwohl er genau weiß, dass es hoffnungslos ist?

Ich kann nicht anders, als mit dem Kopf zu schütteln und gehe weiter in mein Zimmer. Im hohen Bogen schmeiße ich meine Schultasche in eine Ecke und schlüpfe aus der Schuluniform, welche ich achtlos auf dem Boden liegen lasse. Yuki holt gerade ihr Abi nach und ist dann fertig mit der Schule. Ich habe allerdings noch ein Jahr vor mir, in dem ich dieses hässliche Etwas anziehen muss, da ich durch den Umzug und weil ich noch so gut wie gar kein Koreanisch konnte eine Klasse zurückgestellt wurde.

Am anderen Ende der Welt | BTSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt