Kapitel 71 ~ Ein neues Rätsel

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- Hinata -

Wir sind mit Anyu verwandt, dem berühmten Seefahrer, Freibeuter, Pirat. Der Kompass ist ein Familienerbstück. Ich hatte Yoo-gun also nicht angelogen. Apropos Yoo-gun. Ich sollte ihm eigentlich Bescheid geben und über die Lösung des Rätsels aufklären.

"Vati. Wir haben das Rätsel gelöst. Ich glaube, ich sollte zu dem Uhrenmacher gehen und ihm danken."

Vater nickt. Er ist immer noch vertieft in unsere Aufzeichnungen. Verständlich. Das alles ist unlogisch und faszinierend. Wer kommt schon auf die Idee mit einem Seefahrer verwandt zu sein, von dem einem der Geschichtslehrer vor ein paar Wochen noch begeistert Legenden erzählt hat?

"Du kommst mit?" Fragend sehe ich meine Schwester an.
"Natürlich." Begeistert springt sie auf. "Gehen wir dann noch kurz ins K-" Schnell halte ich ihr den Mund zu. "Ja, wir machen noch einen Abstecher in die Bäckerei."
Warnend sehe ich sie an.

Unser Vater blickt skeptisch auf, zuckt dann aber mit den Schultern und lässt uns gehen.
"Seit aber zum Abendessen zurück. Auf der Straße nebenan hat eine deutsche Gaststätte aufgemacht. Heute Abend gibt's endlich wieder anständiges Essen. Bringt Josi mit."

Grinsend nicke ich. Schnitzel klingt gut. Ich nehme meinen guten, alten Swag-Beutel und schaue nach, ob ich alles dabei haben. Kaugummi, Zeichenzeug, Geld, Handy und natürlich meine Spraydosen. Ich glaube, mehr brauche ich nicht.

Gemeinsam machen wir uns auf den Weg zum Uhrengeschäft. Doch irgendetwas ist anders heute. Das efeubewachsene Gebäude strahlt nicht mehr die selbe Magie aus. Etwas verunsichert treten wir ein. Yuki neben mir ist immer noch total aufgekratzt und scheint nicht zu merken, dass sich die Atmosphäre verändert hat.

Die goldenen Glöckchen über der Tür klingeln so wie immer. Die Bücherregale sind so voll wie immer. Und wie immer liegt dieser besondere, staubige Geruch nach alten Büchern in der Luft. Doch hinter dem Tresen steht nicht Yoo-gun.

Der etwas ältere Mann, der sich dort mit diversen Uhrwerken beschäftigt, ist mir vollkommen fremd. Vielleicht hat Yoo-gun heute einen freien Tag. Zögerlich gehe ich auf den Herrn zu.
"Entschuldigen Sie?", spreche ich ihn an. Er blickt von seiner Arbeit auf und mustert erst mich und dann Yuki, deren blauer Haarschopf zwischen den Bücherregalen hervorlugt, skeptisch.

"Ja bitte?"
"Können Sie mir sagen, wo Yoo-gun ist?"
Sein Blick wird fragend. "Es tut mir leid, junge Dame, aber ich kenne keinen Yoo-gun."
Mit diesen Worten wendet er sich wieder seiner Arbeit zu.

Was? Was soll das heißen?
"Yoo-gun ist... Also er war vor Ihnen der Ladenbesitzer", erkläre ich zögerlich.
Wieder blickt der Herr auf. "Da müssen Sie sich irren, ich betreibe diesen Laden nun schon über dreißig Jahre und vor mir hat er meinem Vater gehört."

"Oha", kommt es flüsternd zwischen den Regalen hervor. Ich werfe Yuki einen wütenden Blick zu. "Was denn?", entschuldigt sie sich grinsend. "Ich hab hier nur... ein tolles Buch gefunden?" Willkürlich greift sie nach einem Buch und hält es mir hin.

Ich schüttle resigniert den Kopf, werfe aber einen Blick auf das verstaubte Buch in Yukis Hand. Lucia lautet der Titel. Aha.

"Wollt ihr noch irgendetwas?", fragt der Uhrenmacher etwas schärfer und mustert Yuki streng. "Wenn nicht, dann verlasst bitte meinen Laden."

Ich hätte ihn gern noch so viel gefragt. Was ist mit Yoo-gun? Kennt er sich auch mit Anyu aus? Oder... ist das Wissen um den Freibeuterkönig mit dem alten Uhrenmacher verschwunden?

"Nein, nein das war alles. Auf wiedersehen", verabschiede ich mich niedergeschlagen.
"Komm, Yuki."

Gemeinsam verlassen wir das Geschäft. Resigniert schließe ich die Tür hinter uns.
"Was war das denn?", fragt Yuki unverständlich mit dem Kopf schüttelnd.
"Ich weiß es nicht."

Ein letztes Mal lasse ich meinen Blick über den Laden schweifen. Die unverputzten Wände, die Efeuranken, die schöne hölzerne Tür - doch was ist das?

Ich trete einige Schritte vor und sehe auf den Zettel, der zwischen Tür und Wand geklemmt wurde. In einer schön geschwungenen Schrift steht darauf :
Herzlichen Glückwunsch, Chang Hinata, Sie haben das Rätsel gelöst. Meine Hilfe brauchen Sie jetzt nicht mehr.
-Yoo-gun

"Yuki, schau mal!", rufe ich irritiert. Sie sieht sich den Zettel an und bringt ein beherztes "Bruder, bin fassungslos!" heraus.
"Och Yuki, kannst du denn nicht mal jetzt den Ernst der Lage erkennen?"
"Welcher Ernst? Das ist alles vollkommen unlogisch", nörgelt sie herum.

Doch mich hält nun nichts mehr. Ich stoße die Ladentür wieder auf und knalle den Zettel auf den Tresen.
"Was ist nun?", frage ich herausfordernd. "Sie können mir nicht erzählen, dass Sie noch nie etwas von Yoo-gun gehört haben!"

"Was soll das?", fragt er nun ernsthaft verärgert. "Das ist eine normale Rechnung. Entweder verschwinden Sie jetzt oder ich hole die Polizei."

Mir fallen fast die Augen aus dem Kopf, als ich wieder auf den Zettel sehe - es ist tatsächlich ein Brief, der an diesen Laden adressiert ist. Aber wie kann das sein?

"Komm, Hinata", Yuki zieht mich aus dem Geschäft.
Was ist hier los?

~~~

-Joiy/Mie

Am anderen Ende der Welt | BTSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt