En garde!

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Der Fechtunterricht bot Casia Ablenkung von den Grübeleien über die bisherigen mysteriösen Ereignissen und dem Kennenlernen von Enzio. Ihr sonst so geordnetes Leben war gehörig durcheinandergewirbelt worden.

„En Garde!", rief Casia.
Ihr lief der Schweiß unter der Schutzmaske übers Gesicht, doch davon ließ sie sich nicht in ihrer Konzentration stören. Beinarbeit war das wichtigste bei diesem Sport. Dann trafen das erste Mal ihre Klingen aufeinander und der Kampf um Sieg oder Niederlage begann. Das Klirren der Degen hallte durch die Räume und zog Zuschauer an je länger es dauerte.
Finte. Ausfall.
Ihre Gegnerin wich aus und sie traf nur die Luft.
Rückzug. Neu zum Angriff sammeln.
Ihr Atem ging schneller. Sie musste unbedingt ihre Kondition verbessern. Das hieß jeden Morgen eine halbe Stunde eher aufstehen und länger laufen.
Also noch einmal.
Wann wenn nicht jetzt.
Finte.
Ausfall.
Treffer.
Freudestrahlend riss sie sich die Maske vom Kopf und warf jubelnd ihre Hände nach oben.
Ihre Gegnerin trat zur Startlinie und sie gaben sich einen sportlichen Händedruck.
„Klasse Leistung!", kam der Trainer zu ihnen und gratulierte Casia.
„Danke. Was meinen Sie, Senior Mancini? Bin ich bereit für die Aufnahmetests bei der deutschen Nationalmannschaft?"
„Davon sind Sie Meilensteine entfernt", antwortete stattdessen eine ihr bekannte Stimme und sie drehte sich um.
Enzio kam ihr entgegen. Als er sie erkannte, stutzte er und blieb stehen: „Du?"
Das konnte sie ihn auch fragen.
Was hatte er hier zu suchen? Verfolgte er sie?
Seinem erstaunten Blick zu urteilen, schloss sie das schnell aus.
Die Bemängelung ihrer Fähigkeiten aber wollte sie nicht auf sich sitzen lassen.
Angriff war noch immer die beste Verteidigung.

„Ich habe dich nicht um deine Meinung gebeten", schoß Casia ohne weitere Begrüßung zurück. „Du bist ziemlich anmaßend, wenn du dich in ein Gespräch zwischen mir und meinem Trainer einmischst."
Er zuckte wie unter einem Stromschlag kurz zurück.
„Entschuldige meine Offenheit. Allerdings kann ich niemanden meine ehrliche Meinung vorenthalten, wenn er offenen Auges sich eine Abfuhr holen will."
Casias Augenbrauen gingen nach oben. Was bildete er sich ein? Warum redete er so geschwollen? Es war eine Sache, dass sie etwas Einzigartiges erlebt hatten, aber seine Einmischung ging ihr zu weit. Wollte er ihr durch die Blume sagen, dass sie eine Anfängerin war? Sie, die sich bereits mit fünf Jahren für Fechten interessierte und von ihrem Vater in diesen Sport eingeführt wurde? Der so ein hervorragender Meister dieser Kunst war, dass er mehrmaliger Deutscher Meister und Europameister gewesen war? Wollte er ihr zu verstehen geben, dass sie bisher nur schlechte Trainer gehabt hatte?
So viel Unverfrorenheit verschlug ihr für einen Moment die Sprache.

Senior Mancini hub zu sprechen an, doch mit einem Fingerzeig gebot ihm Enzio Einhalt. Es war ein Zug der Überheblichkeit, der ihre Nackenhaare zum Stehen brachte.
„Du würdest die Aufnahmeprüfung nie bestehen und die Nichterfüllung deiner Träume würde dich in ungeahnte Tiefen schmettern. Glaube mir, ich weiß wovon ich rede."
Dieser eine Satz hatte die Kraft, Casia nachdenklich zustimmen und sie fragte sich, was ihm passiert war und welchen Traum er hatte aufgeben müssen.
Mio caro", fuhr er fort. „Du agierst zu aggressiv. Beim Fechten geht es um Raffinesse. Deine Bewegungen sehen verkrampft und bemüht aus. Das kostet viel Kraft, die dir beim Wettkampfmarathon der nationalen Meisterschaften zum Schluss fehlt. Du musst lernen, deine Kräfte und Ausdauer besser einzuteilen..."
Als er sie meine Liebe nannte, schaltete Casia gedanklich auf Durchzug um. Blah, blah, blah, blah, dachte sie und hörte bei den langatmigen Ausführungen bald nicht mehr hin. Sie fand es am besten ihn ausreden und glauben zu lassen, dass sie zuhöre. Er konnte ihr viel erzählen, wenn der Tag lang war.

„Also", schloss er endlich seine Litanei. „Das nächste Mal nimmst du eine lockere Stellung ein und versuchst nicht verbissen einen Treffer zu landen."
„Vielen Dank für deine großartigen Tipps", beendete Casia den Vortrag. „Ich werde es versuchen. Arrividerci!"
Sie drehte sich um, nickte Senior Mancini kurz zu und ging zu den Umkleideräumen.

Sie hatte gelernt, dass Widerworte ihr bei Besserwissern nichts brachten. Also hörte sie solchen selbsternannten Beratern zu und zog dann ihr eigenes Ding durch. Bisher hatte es ihr nicht geschadet.
Eine kleine Stimme wisperte ihr zu, und diese überhörte Casia geflissentlich, dass ihre Beharrlichkeit sie allerdings noch nicht in die Nationalmannschaft gebracht hatte.

Während sie duschte, beruhigte sie sich. Enzio hatte es bestimmt nur gut gemeint. Sie zog sich um, föhnte ihre Haare und machte sich auf den Weg.
Von den Umkleideräumen ging sie über eine Empore an den Büros der Verwaltung vorbei, von der man aus in den Fechtsaal blicken konnte.
Sie sah Enzio die Kleinsten trainieren und sie erinnerte sich wie sie begonnen hatte sich für diese Sportart zu begeistern. Er blickte zu ihr auf. Schnell schaute sie weg und ging zügig weiter. Pff. Da hatte sie ihren Stolz. Sein kleines Lächeln sah sie nicht.
Erst sollte er sich für seinen rüden Ton entschuldigen. Konnte er nichts als meckern? Das wäre ja noch schöner, dass sie den ersten Schritt tat.
Aber war das wirklich klug?
Schließlich kannte er sich mit der magischen Pflanzenwelt besser aus als sie. Frustriert verlies sie das Trainingszentrum. Wie alle Menschen konnte sie nicht alles haben was sie wollte, sondern musste Kompromisse in ihrem Leben treffen.

A Magical LightWhere stories live. Discover now