Esclarmonde

117 24 17
                                    

Blätter des letzten Herbstes wirbelten vor ihnen zu einem Laubhaufen zusammen, der sie zum Stoppen zwang. Der Geruch des Modrigen kroch in Casias Nase.

Aus dem Vergangenen erwuchsen Frühlingssprossen, die sich zu daumendicken Ranken wandelten und ein Bett für die emporsteigende weiße Frau erschufen.

Casia atmete schnappend.

Ohne es zu bemerken hatte sie die Luft angehalten und bemerkte jetzt den veränderten angenehmeren Duft, der aus den erblühten weißen Blumenkelchen entströmte.

„Weißt du, wer sie ist?", flüsterte Casia und ob der ungewöhnlichen Situation war für sie das vertrauliche Du plötzlich selbstverständlich.

„Du kannst sie sehen?", klang der Fremde leicht erstaunt.

„Ja, kann ich."

Die durchscheinende Geisterfrau war von schlanker Statur und trug die bunte mittelalterliche Kleidung einer toskanischen Edelfrau, wobei die Farbe Grün dominierte.

„Dann darf ich dir Donna dei Viticci vorstellen."

„Die Rankenfrau?"

Er lachte und fuhr etwas lauter fort: „Das ist ja offensichtlich. Erstaunlich, dass du sie siehst. Sag mal, bist du mit der Familie De Impianto entfernt verwandt?"

Bedauernd schüttelte Casia ihren Kopf: „Nicht das ich wüsste. Sie ist wunderschön."

Die Donna erhellte die Umgebung mir ihrem Licht, das von ihren weißen langen und in der Luft wallenden Haaren ausging.

„Und wütend."
„Warum?"
„Keine Ahnung. Sie spricht nicht mehr unsere Sprache."
„Wieso nicht mehr?"
„Ihr eigentlicher Name ist Esclarmonde De Impianto und sie entstammte wie ihr Ehemann einer alten Pisaner Familie. Nach dem frühen Tod ihres Mannes kümmerte sie sich neben ihrer Familie nicht nur um die sozialen Belange der Stadt, sondern auch um die Pflege und Erweiterung des Botanischen Gartens. Das war für eine Frau im Mittelalter eher ungewöhnlich. Bei der Bevölkerung war sie wegen ihres Engagements sehr beliebt."
„Sie ist über fünfhundert Jahre alt?", hakte Casia ungläubig nach.
Si", nickte er.

Offenbar hatten sie der weißen Geisterfrau nach zu urteilen genug gesprochen, denn nun hob sie ihre Hände und ohne ihr Zutun bewegte sich Casias rechter Arm zu ihr.

Sie wollte ihren Begleiter darauf hinweisen als sie merkte wie nicht nur ihr Mund wie zugeklebt, sondern sie komplett bewegungsunfähig war. Eine unsichtbare Kraft zog sie ein paar Schritte näher zu der Geisterfrau heran. Sie fand das unheimlich und wollte sich wehren. Doch wie ein willenloser Roboter folgte sie der unsichtbaren Anziehungskraft von Esclarmonde.

Eine weiße Ranke leuchtete auf ihrer Haut auf, eben dort wo das Glühwürmchen seine Spur gezogen hatte. Innerlich erschrak Casia. Was war das? Was hatte das Glühwürmchen ihr angetan?

Die Augen von Esclarmonde hielten ihren Blick fest. „Wie heißt du, mein Kind?", hallte ihre Geisterstimme durch Casias Kopf und instinktiv dachte sie die Antwort, die die Frau vor ihr offenbar verstand indem sie leicht nickte und sogar lächelte.

„Casia, dich habe ich erwählt unsere Botschafterin zwischen der Pflanzen- und der Menschenwelt zu sein. Dein Leben lang."

„Okaay", dachte sie ohne darüber nachzudenken und dementsprechend verwirrt legte Esclarmonde ihren Kopf schief.

„Was bedeutet das?", beeilte sich Casia zu fragen.

„Mit Hilfe dieser Tätowierung kannst du von heute an mit jedem Seelenwesen einer Pflanze reden."

„Stop! Stop! Stop! Das geht mir zu schnell. Wieso haben Sie mich nicht gefragt, ob ich überhaupt Botschafterin sein will? Sie können mich zu nichts zwingen."

"Weil es deine Bestimmung ist. Ich habe dich beobachtet. Lange Zeit. Es spielt keine Rolle wer du bist, sondern wir du andere Lebewesen behandelst. Du warst stets respektvoll."

"Aber, aber ... Sie können doch nicht einfach ..."

"Doch ich kann. Und ich musste. Es geht um den Schutz vor allem der Bäume und ihrer Seelenwesen."

Das war Casia tatsächlich sehr wichtig und sie beruhigte sich langsam. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass der Nachtwächter an sie herantrat und auf merkwürdige Art und Weise fühlte sie sich durch ihn beschützt. Sie hatte so viele Fragen: "Jede Pflanze ist an ein Wesen gebunden?"

„Nein. Das wären zu viele. Ein Wesen ist in einem Umkreis für seine Pflanzenart verantwortlich. Je älter es ist, desto mehr Verantwortung trägt es und desto grösser ist sein Lebensraum. Das ist nicht anders wie beim Menschen."

„Und Sie sind so ein Wesen, Donna Esclarmonde?"

„Ja und nein. Zum einen stehen die Zypressen und Zedern Europas und Asiens unter meinem Schutz. Zum anderen bin ich erwählt, das Gleichgewicht für die Pflanzenwelt zu schützen. Als diejenige die ich einmal war, ist es meine Aufgabe die Gefahren die von der Menschheit ausgehen zu erkennen und wenn möglich zu unterbinden. Außerdem bin ich die oberste Richterin um Streitigkeiten zwischen den Floravölkern zu schlichten und zu verhindern."

„Und Sie brauchen mich, um den Handlungen der Menschen Einhalt zu bieten? Ich bin nur ein junges Mädchen ohne Einfluss. Wie soll ich das machen?"

„Keine Sorge. Du wirst in deine Botschafteraufgabe hineinwachsen. Aber im Moment habe ich andere Probleme. Lekkios und Leschies aus dem Norden bedrohen uns."

Casia zog gedanklich ihre Stirn kraus und kramte in ihrem Gedächtnis nach den zwei Begriffen, doch blieben sie ihr unbekannt.

„Die beiden Völker von Waldgeistern haben sich zusammengeschlossen. Genaueres weiß er."

Ihr Blick ging zu dem Fremden, dann zurück zu Casia.

„Wir brauchen eure Hilfe. Du musst wissen, sie sind der Meinung, dass Abschreckung das beste Mittel gegen die Handlungen der Menschen sind."

„Abschreckung?", wiederholte Casia und ahnte nichts Gutes.

„Ein Krieg gegen die Menschen."

A Magical LightWhere stories live. Discover now