Kapitel 4.4

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~Cleophea

Nach dem Frühstück -das nebenbei genauso gut schmeckte wie das in North Carolina- zeigte Chris mir, wo sich die Trainingsräume befanden, bevor sie selbst in den Unterricht ging. Nun stand ich also vor dem Raum mit der Nummer vier und wartete auf Seth, der bereits fünf Minuten zu spät war. Nachdem er mir gestern zwei mal gesagt hatte, dass ich unbedingt pünktlich sein sollte. Wie gut, dass er in der Lage war, sich an seine selbst aufgestellten Regeln zu halten. Ungefähr zehn nach neun schlenderte Seth dann auch mal gemächlich den Gang entlang. Sein Outfit glich dem von gestern, nur dass er diesmal ein anderes T-Shirt trug. Und Stiefel. Seth trug immer Stiefel. Allmählich begann ich mich zu fragen, ob er sie auch zum schlafen anließ.

,,Auch mal da?", murmelte ich.

Seth sagte nichts und öffnete die Tür zum Trainingsraum.
,,Na, heute mal wieder bombastische Laune?", fragte ich und verdrehte die Augen. Seth drehte sich zu mir. ,,Kannst du vielleicht einfach nichts sagen?"
Ich würde ihn gleich schlagen. Ernsthaft.

,,Kann ich vielleicht einfach wieder gehen?"

Seth betrat den Raum und hielt mir die Tür auf. ,,Das ist eine großartige Idee, aber leider nicht umsetzbar." Ich folgte ihm und sah mich neugierig um. Überall standen Dummys herum, auf dem Boden lagen Matten, an der Wand waren außerdem einige Feuerlöscher angebracht. 

,,Interessant, oder? Aber ich kann dich beruhigen, damit werden wir uns heute noch nicht beschäftigen."

Stattdessen öffnete Seth eine weitere Tür, die den Blick auf einen Krafttrainingsraum frei gab. Toll. 
,,Sieht nach Spaß aus", bemerkte ich trocken. Seth setzte ein Lächeln auf. ,,Nicht wahr? Immer rein in die gute Stube."
Wiederwillig betrat ich den Trainingsraum und begutachtete skeptisch die Geräte. Laufband, Crosstrainer, Fahrrad, irgendwas für die Arme, Beinpresse... Alles.
Seth klatschte in die Hände. ,,Zehn Minuten Laufband zum warm machen."
Ich starrte zuerst das Laufband und dann Seth an und blieb stehen. Als Seth daraufhin eine Augenbraue hob, bewegte ich mich wiederwillig doch auf das Gerät. Seth schaltete es an und ich begann zu joggen. Eine Weile sah er mir dabei zu, dann wandte er sich ab und fing an selbst zu trainieren. Liegestützen. Ich beobachtete das faszinierende Spiel seiner Muskeln so vertieft, dass ich stolperte und mich um ein Haar aufs Maul gelegt hätte. Mist. Seth hielt inne. ,,Du starrst mich an", stellte er fest. Verdammt.
,,Zügle dein Ego, Seth", erwiderte ich und schnappte nach Luft. Ich hatte wirklich null Kondition. ,,Wie lange dauern diese verdammten zehn Minuten noch?", stieß ich hervor.
Seth richtete sich auf und griff nach seinem Handy, um auf die Uhr zu sehen. ,,Hälfte hast du schon."
Hälfte? Ich wäre fast rückwärts umgekippt. Ich war gerade mal zur Hälfte mit dem Aufwärmen fertig und konnte schon nicht mehr. Hoffnungsloser Fall.

Seth musterte mich belustigt. ,,Du siehst aus, als hättest du einen Marathon hinter dir."

Ich warf ihm einen finsteren Blick zu. ,,Kannst ja mitmachen", schlug ich vor.
Er lehnte sich gegen die Wand und verschränkte die Arme vor der Brust. ,,Könnte ich. Aber dann würdest du ziemlich doof dastehen." Hierbei hatte er leider recht, denn Seth könnte vermutlich von hier nach North Carolina joggen, wenn er es denn wollte. Als die höllischen zehn Minuten endlich vorbei waren, stieg ich schnaufend wie eine Achtzigjährige mit akutem Asthma vom Laufband. Seth reichte mir kopfschüttelnd eine Wasserflasche. ,,Hast du jemals in deinem Leben schon mal Sport gemacht?" Hatte ich. Aber viel zu selten. 

,,Jeden Tag meines Lebens. Ich war auf einem Reitinternat."

,,Ich habe dich gefragt, ob du Sport gemacht hast, nicht dein vierbeiniges Ungetüm." Ich... hatte kein Argument mehr. Genauso gut hätte ich ihm erzählen können, dass meine Lieblingssportart Schach war.
,,Ja", sagte Seth gedehnt, ,,wir haben viel zu tun."
Ich nahm einen kräftigen Schluck Wasser und stellte die Flasche anschließend auf dem Boden ab. ,,Hast du eigentlich keinen Unterricht?", fragte ich.
Seth hob die Schultern.  ,,Ich könnte mich einer Klasse anschließen, aber ich wüsste nicht, was mir das bringen sollte."
Daraufhin fiel mir wieder ein, was Estelle gestern zu mir gesagt hatte. Er kann dir mehr beibringen, als das bei unseren ausgebildeten Trainern der Fall ist. Vermutlich würde Seth sich im Unterricht also entweder langweilen oder pausenlos klugscheißen.
Ich wusste nicht, wie viel Zeit verging, während Seth mich von einem Sportgerät zum nächsten scheuchte. Jedenfalls konnte ich irgendwann nicht mehr. Beim besten Willen nicht. Zwischendurch trainierte Seth ebenfalls, den Großteil der Zeit sah er mir aber beim Versagen zu. Irgendwann erlöste er mich schließlich von meinen Qualen. 

,,Das reicht für heute." 

Ich hätte ihn fast umarmt, als er diese Worte aussprach. Aber nur fast. ,,Gott sei Dank", murmelte ich. Seth grinste und griff nach seiner Wasserflasche, die er auf dem Boden abgestellt hatte. ,,Wenn du dich mit dem duschen beeilst, können wir zusammen essen gehen. Ich hab Hunger." Überrascht von seinem Angebot nickte ich. Also beeilte ich mich beim Duschen wie noch was, eilte vor den Eingang des Wohnheims- nur um festzustellen, dass Seth noch nicht da war.

TodessohnNơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ