Kapitel 19.1

461 37 0
                                    

~Cleophea

Leandros. Leandros, ein Vasanist, der Anführer der Rebellion und der Mann, der über mein Schicksal entscheiden würde. Mit diesen Worten hatte Ray sich Damian gekrallt und mich alleine gelassen. Die Prügelei mit Damian hatte mich fertig gemacht. Mein gesamter Körper schmerzte und ich wollte mir gar nicht ausmalen, wie das Ganze geendet hätte, wenn Ray nicht eingegriffen hätte. Und ich wollte überhaupt nicht daran denken, was noch alles passieren konnte. Der schräge Anführer der Rebellion war hier- und ich konnte mir nicht vorstellen, dass er mich laufen lassen würde. Trotz meiner protestierenden Muskeln richtete ich mich ruckartig auf und sah mich um. Irgendwie musste ich hier rauskommen. Ich musste verdammt nochmal rauskommen, bevor Leandros hier aufkreuzte. Irgendwie musste ich doch... Ich streckte meine Hand durch die Gitterstäbe und betastete das Schloss. In Filmen hatten sie in solchen Situationen immer irgendwelche Haarnadeln oder Haarspangen, mit denen sie das Schloss auffummeln konnten. Zu dumm, dass ich nicht viel von kunstvollen Hochsteckfrisuren hielt und im Alltag eher seltener damit herumrannte. Zweite Möglichkeit: eine Büroklammer. Allerdings trug ich in meiner Freizeit leider auch keine Büroklammern durch die Gegend. Ich hatte absolut nichts an mir, das mir jetzt in irgendeiner Art und Weise weitergeholfen hätte. Sollte ich es hier jemals lebendig heraus schaffen, würde ich anfangen Haarnadeln zu benutzen und Rasierklingen-Ketten zu tragen. Ernsthaft. Probeweise ließ ich mich gegen die Gittertür fallen, mit dem Ergebnis, dass ich nach wie vor eingeschlossen war und nun eine schmerzende Schulter hatte. Immerhin harmonierte sie gut mit den glühenden Schmerzen in Rippen- und Rückenbereich. Mein Blick glitt kurz zu meinen Armen, die durch die Abwehr von Damians Schlägen und Tritten rote Flecken aufwiesen. Vermutlich würden sie sich noch in hübschen Blau und Violetttönen verfärben, vorausgesetzt ich lebte so lange. Frustriert ließ ich mich auf den Boden sinken und starrte das Gitter an, das mich von der Freiheit trennte.

Als die Zelle aufgeschlossen wurde, wurde ich schlagartig wach. Anscheinend war ich noch mal eingenickt, ohne es zu merken. Alarmiert sprang ich auf und erblickte Rays große, muskulöse Gestalt.

,,Gefangene! Vortreten!"

Er grinste mich an und zeigte dabei zwei spitze Eckzähne. Die hatte er vorhin allerdings noch nicht gehabt. Da war ich mir ziemlich sicher. Zögernd trat ich an die Tür und beäugte ihn kritisch. Ich hoffte jetzt einfach mal, dass er nicht vor hatte, mich zu beißen und mir die Seele aus dem Körper zu saugen. 
Er hob eine Augenbraue. ,,Hab ich noch Zahnpasta im Gesicht hängen?"
Ich starrte in sein unglaublich schönes, Zahnpasta-freies Gesicht. Er sah irgendwie aus, als wäre er nicht echt.
,,Was? Nein. Aber deine Zähne sahen vorhin noch... normaler aus."
Ray legte mir eine Hand auf den Rücken und schob mich nach vorne.
,,Sie kehren in ihre ursprüngliche Form zurück, wenn ich Hunger bekomme."
Oh, wow... Das war jetzt nicht unbedingt das, was ich hören wollte. Misstrauisch sah ich ihn über meine Schulter hinweg an. Er grinste. ,,Keine Sorge! Ich ernähre mich ausschließlich von blauäugigen blonden Jungfrauen."
Götter. Ich brauchte dringend einen guten Psychiater. Ich hörte Rays Lachen hinter mir. ,,Guck nicht so verstört. Du bist rothaarig, du hast doch sowieso keine Seele."

Ehrlich? Redhead-Witze? Seine gute Laune war grausam.

,,Bringst du mich zu eurem Anführer?", fragte ich, während Ray mich um eine Ecke lenkte. Vor uns erstreckte sich weitere, scheinbar endlos lange Gänge mit unglaublich vielen Abzweigungen. Würde mich hier jemand aussetzen, würde ich vermutlich nicht einmal zurück in meine Zelle finden.

,,Richtig", bestätigte der Grünblickende. Mist. Kurz überlegte ich, ob es einen Versuch wert war, loszurennen und einen Ausgang zu suchen, aber dann verwarf ich den Gedanken wieder. Ray hatte Damian vorhin durch die Gegend geschubst, als würde er nichts wiegen, und ich würde nie im Leben schneller sein als er. Mal ganz davon abgesehen, dass ich mich hier nicht auskannte und keine Ahnung hatte, wo sich der Ausgang befand. Oder ob es überhaupt einen gab.
Ray führte mich um weitere Ecken und Gänge, als ich auf einmal etwas spürte. Knisternde, elektrische Energie, die mir über die Haut strich, pure Macht, die meinen Körper umhüllte und mich überrascht nach Luft schnappen ließ. Diese Macht... Ich spürte sie in jeder einzelnen Zelle und ich wusste, dass sie göttlichen Ursprungs war. Sie erinnerte mich an das Gefühl, als ich Seth oder Dawson zum ersten Mal über den Weg gelaufen war, allerdings in viel, viel stärker.
Ray, der nun neben mir ging, musterte mich prüfend. ,,Du spürst ihn."

TodessohnWhere stories live. Discover now