Kapitel 12.5

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~Seth

Ich wusste, was ich zu tun hatte.

Vielleicht war das der Grund, warum ich mal wieder auf dem Campus herumhing, statt in meinem Bett zu liegen und zu schlafen, wie normale Leute das getan hätten. Stattdessen saß ich auf einer Bank, starrte in die Dunkelheit und genoss die Ruhe, sowie die Tatsache, dass ich heute von keiner verdammten Göttin heimgesucht wurde. Es war toll. Tyche hatte gesagt, dass ich mich meinen Ängsten stellen musste und bei den Göttern, ich wusste, was sie damit meinte. Es gab wirklich nicht viele Dinge, die mir Sorgen bereiteten, aber der Gedanke, dass sie noch immer dort draußen ihr Unwesen trieb, machte mich an manchen Tagen fast verrückt. Deshalb hatte ich vermutlich auch diese verdammten Albträume und lies mich jede Nacht von Esme umbringen, wie der letzte Looser. Die Göttin des Schicksals hatte Recht- ich musste dem ein Ende bereiten und das nicht, indem ich schmollend auf einer Bank saß und Blumen böse anstarrte. Langsamer als nötig, erhob ich mich von der Bank und machte mich wieder auf den Weg ins Wohnheim. Nachdem ich noch eine Weile in der Manier eines aufgescheuchten Huhns in meiner Wohnung herumgelaufen war, legte ich mich schließlich doch ins Bett und verfiel zunächst in einen angenehmen, traumlosen Schlaf, vermutlich, weil mein Körper realisierte, dass er einiges an Schlaf nachzuholen hatte. Irgendwann tauchte dann aber doch die mir mittlerweile so vertraute Szene mit Esme auf. Mittlerweile wusste ich, dass es ein verdammter Traum war, aber das ließ die Szene nicht weniger echt wirken. Während Esme sprach, wappnete ich mich innerlich für das, was ich tun musste. Als Esme schließlich mit dem Dolch in der Hand ausholte, wich ich aus und zog einen Dolch aus den Schaft meines Stiefels, den ich so fest umklammerte, dass meine Fingerknöchel weiß durch die Haut schienen.

Das war nicht real.

Esme kam unterdessen zum stehen. ,,So sollte das nicht sein", sagte sie verwirrt.
Stimmte, denn jetzt gerade wäre eigentlich der Moment, in dem ich blutend zur Seite kippte und anschließend aufwachte. Ich blickte auf den Dolch in meiner Hand und anschließend zu Esme, die ungeschützt in meiner Reichweite stand.
Das ist nicht real, sagte ich mir erneut. Ich holte tief Luft, dann ließ ich meine Hand mit dem Dolch vorschnellen und klammerte mich an den Gedanken, dass all das hier nur ein Traum war, ausgelöst von einem verdammten Vasanistenanführer. Bevor ich noch einmal darüber nachdenken konnte, ließ ich mich von meinen Instinkten leiten und der Dolch traf sein Ziel. Glücklicherweise gab es kein Blut, sondern die Szene löste sich auf und ich fühlte mich irgendwie... besser. Denn ich wusste, dass der Mensch, den ich gerade getötet hatte nicht Esme gewesen war. Es war der Vasanistenanführer in ihrer Gestalt gewesen und überhaupt hatte es sich nur um einen götterverdammten Traum gehandelt.

Als am nächsten Morgen mein Handywecker anging, fühlte ich mich das erste Mal seit Tagen wieder ausgeschlafen. Ich hatte quasi fast schon gute Laune. Also, nur für meine Verhältnisse und auch nur fast. Aber immerhin. Das Training mit Cleo überließ ich an diesem Morgen dem Nordpol-Menschen, da Estelle mich sprechen wollte. Da ich an diesem Morgen ja quasi gut drauf war, machte mir das nicht einmal etwas aus.
Wie immer ohne anzuklopfen, öffnete ich die Tür zu Estelles Büro. Die Rektorin sah zu mir auf und lächelte kurz. ,,Guten Morgen, Seth."

,,'n Tag", erwiderte ich. Ich lehnte mich gegen die Wand und verschränkte die Arme vor der Brust. ,,Worüber tratschen wir heute? Den Kohleausstieg? Das neue Album von Santiano?"

,,Ich hatte eher an das Country-Album des Monats gedacht", gab Estelle trocken zurück.

,,Auch eine tolle Idee."

Estelle stand auf und begann, unruhig im Raum herumzulaufen. Merkwürdig, so kannte ich sie gar nicht. ,,Spaß bei Seite", sagte sie seufzend und blieb vor mir stehen. ,,Ich weiß nicht, ob ich dir das überhaupt sagen darf, aber ich dachte, dass Tyche möglicherweis etwas dazu gesagt hat."

Ich spielte an dem Anhänger der Rasierklingen-Kette, die Matt mir mit sechzehn geschenkt hatte und die mir heute morgen wieder in die Hände gefallen war, herum und runzelte die Stirn. ,,Das kommt ganz darauf an, was du mir denn eigentlich nicht sagen darfst", erklärte ich, als Estelle keine Anstalten machte, mir weitere Informationen zukommen zu lassen.
Die Rektorin seufzte erneut. ,,Die letzten Tage kam es immer öfter vor, dass Schüler von den Internaten verschwunden sind. Spurlos. Zunächst nur von anderen Internaten aber kürzlich nun auch von diesem. Und es sind nicht nur ausgebildete Vasanistenjäger."

,,Schüler schleichen sich doch ständig vom Internat. Vermutlich haben sie dann draußen irgendwelche Vasanisten empfangen. Das ist nicht schön, aber auch nicht weiter verwunderlich", erwiderte ich.
Estelle schüttelte den Kopf. ,,Irgendetwas stimmt da nicht. Die letzte Zeit haben nicht einmal irgendwelche Partys stattgefunden, für die die Schüler sich hätten wegschleichen können und außerdem ist so etwas noch nie dermaßen gesammelt und häufig vorgekommen." Einen Moment schwieg sie, dann sah sie mir in die Augen. ,,Würdest du dich dessen annehmen und schauen, was da vor sich geht?"
Ich ließ die Arme sinken und hätte Estelle beinahe umarmt. ,,Ein Auftrag? Ihr gebt mir endlich mal wieder einen echten, lebendigen Auftrag?"
Estelle seufzte zum dritten mal. ,,Sieht ganz so aus."
Ich wusste wie falsch es war, sich darüber zu freuen, immerhin wurde ich nur losgeschickt, weil Schüler verschwunden waren, aber ich konnte nicht leugnen, wie toll ich es fand, endlich mal wieder das zu tun, was ich am besten konnte.

,,Mir ist es nicht recht, dich alleine loszuschicken, aber ich kann nicht jedem davon erzählen. Also pass bitte auf dich auf", sagte Estelle.

,,Mache ich", versicherte ich ihr. ,,Gibt es sonst noch irgendetwas, das ich wissen sollte?"

,,Ja." Die Rektorin hatte sich wieder hinter ihrem Schreibtisch niedergelassen und sah bedrohlich zu mir auf. ,,Wenn du dich nicht an die Regeln hältst oder es nicht für nötig hältst, deine Kampfuniform anzulegen, lasse ich dich bis an dein Lebensende Bäder schrubben."
Bitte was? Überrascht sah ich sie an. ,,Damn. Das klingt sehr verlockend."

Estelle machte eine Handbewegung, als würde sie eine nervige Fliege verscheuchen. ,,Und jetzt hinfort mit dir. Denke an die Regeln!"

Ich deutete eine ironische Verbeugung in Estelles Richtung an. ,,Wie Ihr wünscht, Majestät."

TodessohnWhere stories live. Discover now