Kapitel 10

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~Cleophea

Seth hielt sein 'Versprechen' und wartete am nächsten Tag wieder im Trainingsraum auf mich. Zwar schien er das Training noch etwas langsamer angehen zu lassen -er war vorgestern niedergestochen worden, verdammt-, aber es schien ihm wieder gut zu gehen.
Zwei Tage später hatte ich auch den Dreh mit dem richtigen Fallen endlich raus. Daraufhin begannen wir mit Angriffs- und Blocktechniken und mir kam es fast so vor, als würden sich endlich meine göttlichen Gene aktivieren. Ich machte schnell Fortschritte und manchmal lobte Seth mich sogar. Heute allerdings schien er überhaupt nicht mit mir zufrieden zu sein, außerdem hatte er mal wieder schlechte Laune. 

,,Du bist einfach zu langsam!"

Seths Arm krachte durch meine Abwehr, woraufhin sich ein glühender Schmerz im Rippenbereich ausbreitete. Trotzdem wusste ich, dass Seth nur mit halber Kraft zugeschlagen hatte. Und das frustrierte mich.

,,Beobachte deinen Gegner. Das kleinste Muskelzucken verrät seine nächste Bewegung. Wenn du das erkennst, verschafft dir das wertvolle Zeit."

Ich versuchte es ja. Ich versuchte es wirklich. Mein Blick fokussierte Seth. Heute trug er die schwarze Uniform, die er auch bei seinem Kampf gegen Damian getragen hatte, lediglich die Armschienen und die Nietenhandschuhe hatte er weggelassen. Das langärmlige T-Shirt spannte sich über seinem Bizeps und schmiegte sich eng an den Körper an. Ich hasste ihn dafür, dass er so etwas tragen konnte, ohne dabei wie eine Presswurst auszusehen. Seths Hand traf mich an der Schulter. Ich hatte seine Bewegung überhaupt nicht kommen sehen. Überrascht fiel ich nach hinten und blieb auf der Matte liegen. 

,,Du musst dich konzentrieren! Wenn du dich einem Vasanisten mit der Aufmerksamkeitsspanne einer tollwütigen Reiswanze stellst, bist du schneller tot als jemand deinen Namen rufen kann. Hast du das verstanden, Cleo?"

Wenn ich nicht abgelenkt werden sollte, hätte man mir vielleicht einen anderen Trainer arrangieren sollen, einen mit Pickeln, Hasenzähnen und Bierbauch. Keinen, der aussah, als hätten die Götter höchstpersönlich sein Gesicht zusammengesetzt. Meine Wangen liefen vor Wut und Scham rot an.
,,Ja", fauchte ich, ,,das habe ich verstanden."
Seth zog mich so ruckartig wieder auf die Beine, dass ich das Gefühl hatte, er wollte mir den Arm ausreißen. ,,Sehr schön. Wir gehen jetzt laufen."

Ich stöhnte genervt. ,,Muss das-"

,,Wenn du die Energie, die du ins Rummaulen steckst, stattdessen ins Training investieren würdest, wären wir jetzt schon ein ganzes Stück weiter", unterbrach er mich.
Finster starrte ich sein breites Kreuz an, als er den Raum verließ. Nur sehr widerwillig folgte ich ihm.
Während wir liefen, schwiegen wir. Das war auch besser so, hätte Seth nochmal den Mund aufgemacht, wäre die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich ihn schlug. Angesichts der Tatsache, dass er ein verkappter Ninja war, war dies nicht allzu empfehlenswert.

,,Seth!"

Die Stimme, die Seths Namen rief, war männlich und fast erwartete ich schon, dass Damian dort stand und Seth zu einem weiteren Kampf herausforderte. Als wir aber stehenblieben und uns umdrehten, stand dort nur einer dieser schwarzgekleideten Männer, die überall auf dem Campus herum rannten. Wachen, wie Seth mir kürzlich erklärt hatte.
,,Estelle möchte Sie nach Ihrem Training in ihrem Büro sprechen", verkündete der Typ.
Genervt verdrehte Seth die Augen. ,,Natürlich. Sagen Sie ihr, dass ich mich riesig auf eine nette Plauderei mit ihr freue und sie schon mal Kekse bereit stellen soll. Mit Schokostücken."
Er lief weiter und ließ den verwirrten Menschen einfach stehen. Ich folgte ihm.
,,Götter, diese Frau geht mir so auf die Nerven", brummte er. Als er das Tempo etwas beschleunigte, hatte ich alle Mühe, mitzuhalten. Meine Kondition ließ immer noch zu wünschen übrig.  ,,Du scheinst viel Zeit in diesem Büro zu verbringen", brachte ich hervor und starb gleich darauf halb an unzureichender Luftzufuhr. Seth verlangsamte sein Tempo etwas und sah zu mir.  ,,Mehr als mir lieb ist."
,,Naja, immerhin scheint sie dich zu mögen", keuchte ich.
,,Tut sie nicht", widersprach er.

,,Doch, das glaube ich schon. Sonst würde sie dich anders behandeln."

Seth zog die Augenbrauen hoch. ,,Kein Direktor mag einen Schüler, der Dauergast in seinem Büro ist, weil er wieder und wieder gegen die Regeln verstößt."

,,Du kleiner Rebell. Was hast du denn diesmal angestellt?"

Er zuckte mit den Schultern.  ,,Keine Ahnung."
Wieder zog er das Tempo etwas an. Okay, das würde ich nicht mehr lange aushalten.
,,Seth", keuchte ich, ,,Ich kann nicht mehr."
Stirnrunzelnd drehte er sich zu mir. ,,Deine Kondition lässt wirklich zu wünschen übrig." Er blieb stehen. ,,In Ordnung, genug für heute. Wir sehen uns morgen."
Und schon war er davon gerauscht. Seth hatte ein Talent dafür, andere Leute blöd in der Gegend rumstehend hinter sich zu lassen. Glücklicherweise schien mir jetzt allerdings auch das Nachmittags Training erspart zu bleiben, Estelle und ihrem Redebedarf sei Dank. Nachdem ich eine Weile verschnauft hatte, machte ich mich langsam wieder auf den Weg ins Wohnheim, voller Vorfreude auf einen freien Nachmittag.

TodessohnWhere stories live. Discover now