Kapitel 12.4

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~Cleophea

Seths verhältnismäßig gute Laune beim Mittagessen war längst verflogen, als wir uns auf dem Campus zum Laufen trafen. Abermals fiel mir auf, wie unglaublich müde er aussah.
,,Du brauchst nicht mit mir zu laufen, wenn es dir nicht gut geht, Seth", sagte ich.
Seth schüttelte die Schultern aus und bedachte mich mit einem abschätzigen Blick. ,,Mir geht es blendend. Um nichts in der Welt würde ich mir das Vergnügen entgehen lassen, mit dir laufen zu gehen."
Ich rollte mit den Augen. Was war er nicht sympathisch. Trotz der Tatsache, dass sich Seths Laune mal wieder in der Nähe des Erdkerns bewegte, fasste ich mir ein Herz und beschloss, Fragen zu stellen, bei denen ich mir nicht sicher war, ob ich die Antwort wissen wollte. Seit ich heute morgen erfahren hatte, dass meine... Mutter hier gewesen war, konnte ich an kaum etwas anderes denken.
,,Seth?", fragte ich vorsichtig.

Er sah zu mir und neigte den Kopf zur Seite. ,,Cleo?"

,,Wie...wie ist sie so? Wie... ist Tyche?", fragte ich und entgegen meiner eigentlichen Absichten, zitterte meine Stimme. Großartig. Fehlte nur noch, dass ich mich frei nach dem Motto 'Meine Mummy war hier und hat mich nicht besucht mimimi' heulend in Seths Arme warf. Seth ließ sich mit der Antwort Zeit. So viel, dass ich fast glaubte, dass er mich einfach ignorierte.

,,Sie sieht aus wie du", sagte er schließlich, ,,Als hätte man dich genommen und so bearbeitet, dass du auf einen dieser grauenvollen Fantasy-Schnulzen Romane passt."
Ich wusste gerade nicht, was ich von dieser Beschreibung halten sollte. Hatte er mich gerade beleidigt? Ich war überfordert. Bevor ich aber etwas sagen konnte, sprach Seth weiter und ich verstummte sofort.

,,Du hast definitiv ein paar Charakterzüge von ihr, aber sie ist nerviger."

Sie war nerviger? Erneut wusste ich nicht, ob ich Seths Aussage als Beleidigung oder Kompliment werten sollte. Ich starrte ihn einfach nur an und stellte fest, dass er auch mit Schatten unter den Augen und der Hautfarbe einer frisch gestrichenen Wand problemlos als Gott durchgehen könnte. Apropos Gott... Irgendwie nahm ich auf einmal eine seltsame, markante Energie wahr, die meine Haut kribbeln ließ. Ein Gefühl, als würde die pure Macht einen berühren. Ich hatte so etwas schon einmal gefühlt, an dem Tag, an dem Seth auf meinem Internat aufgetaucht war, aber es war nur bei unserer ersten Bewegung so gewesen, danach nicht mehr. Ich drehte mich um und erblickte einen dunkelhaarigen Typen, den ich noch nie zuvor hier gesehen hatte.
Was hatte Seth eben nochmal von Fantasy Romanen erzählt? Ich war mir sicher, dass mir dieser Typ von dem Cover irgendeiner Vampirgeschichte schon einmal entgegen gegrinst hatte. Im Ernst. Dieser dunkelhaarige Mensch -wenn man ihn denn Mensch nennen durfte- war die fleischgewordene Version von all den dunkelhaarigen Dämonen-Prinzen, Vampir Oberhäupten und Erzengeln, die in Fantasy Büchern vorzugsweise neben einem ach-so-normalen Mädchen einzogen und ihre krasse Bad Boyigkeit unter Beweis stellten, nur um sich am Ende doch in das doofe ach-so-normale Mädchen zu verlieben. Und ich hatte das Gefühl, bereits viel zu viele von diesen doofen Büchern gelesen zu haben.
Der Dunkelhaarige -er sah aus wie ein Kyle, Cayden oder Damon- kam direkt auf uns zu.

,,Ist der Typ da hinten dann auf dem Cover von Band zwei der photoshop bearbeiteten Cleo-Serie?", fragte ich Seth.
Seth musterte Kyle-Caydan-Damon und seufzte genervt. ,,Och nee."

,,Du kennst den?"

,,Allerdings."

Der Dunkelhaarige kam vor uns zum Stehen und musterte mich aus giftgrünen Augen interessiert. Jetzt war ich mir sicher, dass die Energie von ihm kam- je näher er gekommen war, desto stärker war das Gefühl geworden.
,,Seth", sagte der Dunkelhaarige grinsend und klopfte ihm mit einer Hand auf die Schulter, als wären sie beste Freunde, ,,Hast du mich vermisst?"
Seth bedachte ihn mit einem Blick, als wäre er eine Ratte mit furchtbarem Mundgeruch und fegte die Hand des Grünäugigen von seiner Schulter. ,,Natürlich", erwiderte Seth sarkastisch, ,,Ich habe mir tagelang die Augen aus dem Kopf geheult und zu den Göttern gebetet, dass ich möglichst schnell wieder das Geschenk deiner Anwesenheit erfahren darf."
Der Dunkelhaarige lächelte. ,,Ich weiß, Seth, ich weiß. Das muss eine wirklich harte Zeit für dich gewesen sein."
Seth verdrehte die Augen, während sich das Vampir-Model wieder in meine Richtung drehte und mich aus klaren grünen Augen musterte. ,,Netten Fang hast du da gemacht", sagte er an Seth gewandt. Netter Fang?! Seth seufzte. ,,Darf ich vorstellen? Dawson, das ist meine Strafarbeit Cleo, Cleo, das ist der pubertierende Sohn von Poseidon, genannt Dawson."
Der Sohn von Poseidon? Das würde dann auch erklären, warum ich so enorme Energiewellen von ihm empfangen hatte. Noch ein olympischer Halbgott. Hilfe. Dawson legte den Kopf schief und betrachtete mich lächelnd. ,,Die Strafarbeit also?"

Irgendwie ging mir dieser Dawson jetzt schon furchtbar auf die Nerven, zumal, ich ihm den 'netten Fang' immer noch übel nahm.

,,Die Strafarbeit. Im Übrigen waren Seth und ich auch gerade dabei, laufen zu gehen, wenn du uns also entschuldigen würdest?"

Überrascht sah Dawson zu Seth, der daraufhin mit den Schultern zuckte. ,,Du hast sie gehört." Dann setzte er sich in Bewegung und ich folgte ihm. Als ich ihn eingeholt hatte, drehte Seth den Kopf zu mir und die Andeutung eines Grinsens war in seinen makellosen Gesichtszügen zu erkennen. ,,Langsam wirst du mir sympathisch, Hexe."
Gut zu wissen, dass ich ihm nach zwei Monaten ständigen miteinander Abhängens langsam sympathisch wurde.

,,Nur weil du es selbst nichts geschafft hast, diesen Vampir loszuwerden? Ich hätte echt mehr von dir erwartet."

Ich redete schon wieder viel zu viel beim Laufen und merkte, wie ich nach Luft rang. Darüber, dass ich mit dem Rauchen anfangen könnte, brauchte Seth sich nun wirklich keine Gedanken zu machen, denn er hatte Recht- ich hörte mich jetzt bereits an wie ein verdammter Dieselmotor.

,,Ich bin nicht gut darin, vernünftig zu sein. Wie sagte Rev vorhin noch gleich? Ich schlage mir gerne mit anderen die Köpfe ein", sagte Seth.

,,Du suchst gerne Stress?", stieß ich mühsam hervor.
Seth schüttelte den Kopf. ,,Ich tue es einfach. Bei Leuten wie Dawson kann ich nicht widerstehen."

,,Du kannst bei niemandem widerstehen", erwiderte ich.

,,Dawson ist ein Arschloch", bemerkte er, auch wenn es nicht als Verteidigung rüberkam. Nur als Aussage.

,,Du auch", gab ich zurück, ohne groß darüber nachzudenken.
Seth zuckte mit den Schultern. ,,Ich weiß. Aber da ich mich selbst nicht ertragen muss, stört mich das auch nicht weiter." Und das meinte er ziemlich ernst.
Ich hatte zu viel geredet und bekam dementsprechend keine Luft mehr, deshalb verlangsamte ich mein Tempo, bis ich eine kaum schnellere Geschwindigkeit als schnelles Gehen erreicht hatte. Unser Lauftraining endete dann wie immer. Seth beschwerte sich über meine nicht vorhandenen Kondition, während ich zu meiner Verteidigung nichts als 'chrrr-chrrr' oder 'chhhh' betragen konnte. Zwischendurch folgte noch ein starkes Husten, sowie eine halbe Ohnmacht meinerseits, was Seth dazu brachte, sich noch weiter über meine nicht existente Ausdauer auszulassen. Also alles wie immer.

Den Rest des Tages verbrachte ich auf dem Zimmer bei Chris, welche mich mit Fakten über den Pseudo-Vampir zutextete, die mich leider nicht im Geringsten interessierten. Aber so war sie nun einmal. Und so mochte ich sie.

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