Kapitel 19

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~Cleophea

Als ich das nächste Mal aufwachte, befand sich nur Damian im Raum. Er saß auf einem Tisch, der so alt aussah, dass es mich wunderte, dass er seinem Gewicht überhaupt standhielt, und tippte etwas auf seinem Handy herum.
Als hätte er gespürt, dass ich aufgewacht war, wandte er den Blick von seinem Mobiltelefon ab und sah zu mir. ,,Oh, unser Dornröschen ist wieder wach."
Ruckartig richtete ich mich auf und bereute es sofort, denn mir wurde augenblicklich schwindlig und mein Schädel pochte, als hätte sich ein Babyelefant darin eingenistet.

Damian musterte mich herablassend. ,,Ich sehe, dass Kain dich nicht angekettet hat. Er ist furchtbar nachsichtig in solchen Dingen und ein guter Mensch, wenn du mich fragst." Er trat näher an meine Zelle, woraufhin ich mich hinstellte, damit mir seine Erscheinung wenigstens ein bisschen weniger groß und bedrohlich vorkam. ,,Das trifft allerdings nicht auf mich zu, Cleophea. Ich bin kein guter Mensch. Ich habe keine Skrupel und das ist auch der Grund, weshalb ich Befragungen durchführe." Er lächelte wie eine Katze, die ein Aquarium voller Goldfische verspeist hatte. Das hörte sich... nicht gut an. Damian zog einen Schlüsselbund hervor und schloss die Zelle auf. Es gefiel mir ganz und gar nicht, alleine mit ihm hier zu sein, wo er doch offensichtlich ein paar Schrauben locker hatte. Aber weder Kain, noch der Türkishaarige waren hier. Ich war mit Damian alleine. Als er mir näher kam, nahm ich automatisch Kampfhaltung ein. Ich wusste, dass ich es niemals mit ihm aufnehmen könnte, aber ich wollte nichts unversucht lassen. Unbeeindruckt schob Damian seine Hände in die Taschen seiner Jeans. ,,Glaub mir, das willst du gar nicht erst versuchen." Oh, ich würde eigentlich sogar wirklich gerne versuchen, ihm mit einem gut platzierten Schlag ein paar Zähne auszuschlagen, aber leider hatte ich nicht die kleinste Chance gegen ihn. Auch wenn eine leise Stimme in meinem Hinterkopf mir gerade einzureden versuchte, dass es anders war.

,,Bist du ein Vasanist?", fragte ich, um ein wenig Zeit zu gewinnen. Er hatte zwar keine roten Augen, aber man konnte ja nie wissen.

Damian lächelte. ,,Nein, bin ich nicht. Die anderen Beiden, die du bereits kennengelernt hast hingegen schon." Als ich überrascht die Augen aufriss, wurde sein Lächeln breiter. ,,So viel zu eurer Schwarz-Weiß Einteilung."
Okay, das... das kam unerwartet. Unwillkürlich dachte ich darüber nach, ob Kain vorhin irgendwann versucht hatte, mir die Seele auszusaugen, kam aber zu dem Schluss, dass er nicht einmal Anstalten gemacht hatte, so etwas zu tun. Das war verwirrend, aber ich verschob das Nachdenken auf später und fokussierte mich wieder auf Damian. Dieser kam mir unterdessen näher, viel zu nah. In mir erwachte etwas. Eine Energie, die sich unter mein Blut mischte und durch meine Adern floss. Mein Körper schien unter Strom zu stehen und ich fühlte mich, als hätte ich viel zu viele Energy-Drinks getrunken. Es war das Element- und es würde Damian wirklich gerne die Fresse polieren. Da gab es allerdings ein kleines Problem: ich könnte es niemals mit ihm aufnehmen.

,,Denkst du, dass Seth nach dir suchen wird, Cleophea?", fragte Damian. Das war eine gute Frage. Wo sollte er überhaupt anfangen zu suchen? War überhaupt schon irgendwem aufgefallen, dass ich fehlte? Und war ich überhaupt 'wichtig' genug, dass man nach mir suchte?

,,Ich... habe keine Ahnung." Und das entsprach der Wahrheit.

,,Wie steht er zu dir?"

Es kostete mich unendlich viel Beherrschung, das Element zu zügeln. Es war, als würde es sein Eigenleben entwickeln und Damian angreifen zu wollen.

,,Er hasst mich", antwortete ich.

Aus seinen bernsteinfarbenen Augen sah er mich durchdringend an. ,,Bullshit. Dafür hängt er viel zu oft mit dir herum." Er kam mir so nahe, dass sein Atem über meine Wangen strich. Angewidert trat ich einen Schritt zurück, aber er folgte mir. ,,Wie steht ihr zueinander, Cleophea?"
Ich hatte keine Ahnung, wie wir zueinander standen. Wir waren keine Freunde, keine Todesfeinde und definitiv keine Liebenden. Wir waren einfach nur Seth und Cleo. Genauer hatte ich nie darüber nachgedacht.

,,Er war mein Trainer, einige Zeit und dann irgendwann nicht mehr. Seitdem haben wir uns nicht mehr so oft gesehen", antwortete ich wahrheitsgemäß. Der Typ sollte endlich zurücktreten, verdammt nochmal. Aber er blieb, wo er war und das Element verlangte, angetrieben von meiner Wut, noch immer freigelassen zu werden. Ich ballte die Hände zu Fäusten, spannte meine Muskeln an, als könnte ich es damit irgendwie zurück in meinen Körper drücken.

,,Wer steht ihm nahe?"

Ich dachte an Matt und Rev und sah auf den Boden. ,,Niemand. Er hat keine Freunde, er lässt niemanden an sich heran."

,,Lüg mich nicht an!" Seine Finger legten sich schmerzhaft um mein Kinn und er rückte meinen Kopf in eine Position, aus der ich ihn ansehen musste. ,,Ich weiß von diesem Emo. Er ist sein Freund, schon lange. Aber da muss es noch andere Personen geben."
Die Tatsache, dass er mir so nahe kam, dass er mich anfasste, machte die Wut und mit ihr das Element unaufhaltbar. Ich empfand Ekel und stellte fest, dass ich dieses Arschloch verdammt nochmal gegen die Wand klatschen sehen wollte. Das hätte ich nicht denken sollen. Eine gewaltige Energiewelle schoss aus meinen Händen heraus und schleuderte Damian, der absolut nicht mit sowas gerechnet zu haben schien, gegen die Wand. Einen Moment lang starrte er mich nur fassungslos an, was Genugtuung in mir aufkommen ließ. Allerdings hätte ich das auf gar keinen Fall tun dürfen. Matt hätte mir unbedingt beibringen müssen, wir zur Hölle man das Element zügeln konnte.

,,Du Miststück", zischte er. Mit wenigen Schritten war er wieder bei mir und holte mit der Faust aus. Ich blockierte seinen Schlag, kurz, bevor er in meinem Gesicht gelandet wäre, und sprang zur Seite. Damian holte erneut aus und ich schlug reflexartig seinen Arm fort. Jetzt zahlten sich die etlichen Stunden aus, die ich mit Seth und Zeke im Trainingsraum verbracht hatte. Ich hatte ohnehin keine Chance gegen Damian, aber ich würde ihm wenigstens nicht den Kopf hinhalten.

,,Sieh mal einer an", giftete er, ohne mich aus den Augen zu lassen. ,,Seth hat anscheinend gute Arbeit geleistet." Blitzschnell setzte er zu einem Roundhouse Tritt an, der meine Abwehr durchbrach und mich auf Höhe der Rippen traf. Ein glühender Schmerz breitete sich in diesem Bereich aus, aber ich versuchte ihn zu ignorieren und schlug nach Damian. Natürlich blockierte er meinen Angriff. Wieder und wieder trafen mich seine Schläge, während die von meiner Seite kaum zu ihm durchdrangen. Als er mir plötzlich die Beine wegtrat und ich zu Boden fiel, stand ich nicht mehr auf. Mein Körper fühlte sich an wie ein einziger blauer Fleck. Stöhnend wich ich vor ihm zurück, während er ein weiteres Mal ausholte. Aber er traf mich nicht.

,,Weg von ihr!"

Der Türkishaarige schien wie aus dem Nichts hinter Damian aufzutauchen und zerrte ihn von mir weg. Verblüfft und verärgert zugleich drehte Damian sich zu dem Typen um, der mir soeben ein paar weitere blauen Flecken erspart hatte. ,,Misch dich nicht ein, Ray", fauchte er. ,,sie ist ein respektloses Miststück, das ein paar Schläge in die Fresse benötigt!"

Ich benötigte Schläge? Ernsthaft?
Der Türkishaarige -Ray, wie er anscheinend hieß- packte Damian am Kragen und schleuderte ihn gegen die Wand, als würde er nicht mehr wiegen als ein Sofakissen. ,,Ich mein's ernst. Lass deine Griffel bei dir oder ich werde den Boden mit deinem Gesicht aufwischen, Damian." Diese Macht, die er in diesem Moment ausstrahlte, war furchteinflößend und selbst Damian wich zurück. Hatte Damian mir nicht vorhin erzählt, dass dieser Ray ein Vasanist war? Warum genau rettete er mich dann vor ihm, statt sich an den Rand zu stellen und Popcorn essend zuzusehen, wie er mich verprügelte? Und warum waren seine Augen smaragdgrün anstelle des für Vasanisten üblichen Rot? Ich verstand gar nichts mehr. Stattdessen starrte ich ihn fasziniert an. Wie er so da stand, die schwarze Rüstung der Rebellion tragend, sah er aus wie ein Todesgott, auch wenn die Haarfarbe das Bild nach wie vor etwas störte.

,,Das... das würdest du nicht tun. Nicht wegen ihr", stammelte Damian, aber er klang selbst nicht allzu überzeugt.
Ray lachte, dabei klang er so freudlos und kalt, dass es mir einen Schauer über den Rücken jagte. ,,Du hast ja keine Ahnung, Schnucki. Und jetzt raus hier!" Die nächsten Worte richtete er an Damian, aber dabei sah er mir in die Augen.

,,Leandros ist hier."

TodessohnWhere stories live. Discover now