Kapitel 13

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~Cleophea

Diesen Nachmittag trainierte ich mit Matthew wieder den Umgang mit dem Element. Mittlerweile war ich in der Lage, mittelstarke Windböen zu erzeugen und es faszinierte mich nach wie vor, welch unheimliche Kraft in mir schlummerte. Seit Matthew mir erzählt hatte, dass geübte Luftelementarier in der Lage waren, das Element auf ihre Sprungkraft zu übertragen oder sogar zum Fliegen einsetzten, war ich noch viel motivierter. Matthew war ein geduldiger Trainer und sparte nicht an Lob, wenn ich Fortschritte machte. Ich mochte ihn und es war mir nach wie vor ein Rätsel, warum er Seth so toll fand. Von ihrer Begeisterung für schwarze Klamotten mal abgesehen schienen sie keinerlei Gemeinsamkeiten zu besitzen.

Ich war gerade dabei, mich am Mini-Tornado-Erzeugen zu üben, als Seth auf einmal in den Trainingsraum platzte. Er trug die schwarze Kampfuniform und einen Gürtel, an dem mehrere Dolche befestigt waren. Ich hatte das Gefühl, dass er gerade eher nicht von einem Ausflug ins Disneyland zurückgekehrt war.
,,Seth", sagte Matthew überrascht und ging auf ihn zu, ,,was machst du denn hier?"

,,Vor Estelle fliehen", antwortete Seth während er und Matthew ihr übliches Handschlagsritual vollführten, ,,lasst euch von mir nicht stören." Irgendwie fand ich es niedlich, wie sich die Beiden immer begrüßten. Matthew grinste und lehnte sich gegen die Wand. ,,Warum fliehst du vor Estelle?"

,,Weil ich befürchte, dass Dawson, die kleine Nervensäge, mich wegen einer gewissen Sache verpfiffen hat. Meine Wohnung ist der erste Ort, an dem sie mich suchen würde", erklärte Seth. Mir fiel auf, dass der Stoff des T-Shirts, das sich über seinen Schultern spannte, rötlich schimmerte. Rückstände eines getöteten Vasanisten möglicherweise? Urgh. Mich schüttelte es, woraufhin Seth eine Augenbraue hob. ,,So schlimm, meine Anwesenheit?", erkundigte er sich.
Ich schüttelte den Kopf und deutete auf die Schulter. ,,Du hast da was." Stirnrunzelnd betrachtete Seth seine Schultern und wischte den Staub mit einer Hand herunter, der daraufhin rötlich schimmernd zu Boden fiel. Ihn schien das nicht weiter zu interessieren, mir hingegen wurde übel. Dieser Staub war quasi Asche- Asche eines Toten. Selbst wenn es ein böses Wesen war, ein Lebewesen war ein Lebewesen und mir wurde gerade mal wieder bewusst, dass ich absolut nicht fürs Kämpfen gemacht war. Ich hatte Angst, dass ich im entscheidenden Moment zögern könnte und ich wusste nicht, ob mich das ganze Training mit Seth, Matthew und Zeke auch darauf vorbereiten würde.
Seth betrachtete mich eingehend. ,,Was ist los, Hexe? Du siehst aus, als wärst du gerade einer untoten Katze über den Weg gelaufen." Einer untoten Katze? Auf so einen Vergleich musste man erst einmal kommen. Mein Blick glitt zu den vasanistischen Rückständen zu Seths Füßen.

,,Findest du das gar nicht eklig?"

Seth senkte den Kopf und betrachtete die glitzernden Partikel. ,,Nein. Seit ich 'Cannibal Holocaust' gesehen habe, gibt es nur noch sehr wenige Dinge, die ich eklig finde."
Matthew bedachte seinen besten Freund mit einem leicht befremdlichen Blick. ,,Du hast den gesehen?"
Seth verzog das Gesicht. ,,Ja. Sehr verstörend. Im Gegensatz dazu ist Vasanisten Staub echt hübsch anzusehen."
Verstörende Horrorfilme sehen, um psychisch mit dem Töten von Vasanisten und deren Rückständen zurechtzukommen? Interessante Taktik. Allerdings glaubte ich nicht, dass seine merkwürdige Vorliebe für kranke Horrorfilme der Grund war, warum Seth so gut mit dem Töten zurecht kam. Eher war es andersrum. Seth verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen die Wand. ,,Lass mal sehen, was Matt dir so beigebracht hat, Hexe."

,,Warum nennst du mich seit neustem eigentlich ständig Hexe?"
Seth hob die Schultern. ,,Früher haben sie Frauen mit grünen Augen und rotem Haar als Hexen verbrannt. Daran muss ich irgendwie immer denken, wenn ich dich sehe."
Ernsthaft? Ich bedachte ihn mit einem finsteren Blick und hob den Mittelfinger. Seth sah mich unbeeindruckt an. ,,Na los", sagte er und breitete die Arme aus, ,,greif mich an, Cleo."
Matthew trat einen Schritt zur Seite und musterte uns stirnrunzelnd. Ich streckte meine Arme aus und konzentrierte mich auf dieses Etwas in meinem Körper, das mich von einem normalen Menschen unterschied. Das Element aufzurufen war mittlerweile ein Kinderspiel für mich, wesentlich schwieriger war es, die Luft als Waffe, anstelle eines zarten Lufthauchs einzusetzen. Ich fokussierte mich auf die Wut in mir und versuchte, sie mit dem Element zu vereinen. Als plötzlich eine gewaltige Druckwelle aus meiner Hand hervor schoss, meinte ich für einen kurzen Moment einen Hauch von Überraschung über Seths Gesicht huschen zu sehen. Dann aber hob er die Hand, rief das Luftelement ebenfalls auf und hielt dagegen. Schweiß bildete sich auf meiner Stirn und meine Atmung wurde schwerer, aber ich ließ nicht los. Ich wollte ihm diese Genugtuung einfach nicht gönnen. Der Druck in diesem Raum war so hoch, dass mir ein Ohr zuging. Großartig. Trotzdem konzentrierte ich mich weiter auf die Energie, die aus meinen Händen herausschoss und irgendwo in diesem Raum auf Seths traf. Mit einem Knall ließ der Druck plötzlich nach und ließ mich ein Stück zurück taumeln. Ich reagierte schnell, aber Seth kam mir zuvor. Sein Element traf mich mit voller Wucht und schleuderte mich gegen die Wand, wo es mich fixierte. Ein tonnenschweres Gewicht schien gegen mich zu drücken, ich konnte nicht einmal den kleinen Finger heben.

,,Wehr dich", sagte Seth mit ruhiger Stimme, ,,kämpfe dagegen an."

Wie zur Hölle sollte das funktionieren? Ich versuchte es, aber ich kam keinen Millimeter voran.

,,Komm schon, Hexe."

Seine Aussage und der herausfordernde Blick stachelten meine Wut an, aber mir gelang es weiterhin nicht, mich zu rühren. ,,Wir könnten so weitermachen, den ganzen Tag", sagte er mit seiner tiefen, rauen Stimme, ,,ich hab heute nichts mehr vor. Ich könnte einhändig Candy Crush spielen oder mit Matt über meine Lieblingshorrorfilme reden. Ich hab kein Problem damit, den Rest des Tages hier zu verbringen."
Verdammt. Wütend starrte ich auf Seths ausgestreckten Arm. Der Ärmel seines T-Shirts war ein Stück hochgerutscht und präsentierte den Anfang der großen Tätowierung. Seth trug sein Tattoo auf dem linken Arm, das wusste ich. Erst jetzt fiel mir auf, dass Seth mich gerade mit seinem verdammten linken Arm festhielt. Irgendwie machte mich das noch wütender. Mit aller Kraft stemmte ich mich gegen die Druckwelle und schaffte es tatsächlich, ein winziges Stück vorwärts zu kommen. Es war, als würde durch eine Wand aus zähem Sirup laufen, aber ich kämpfte mich vorwärts. Stück für Stück, bis ich es schließlich geschafft hatte und die Druckwelle hinter mir gelassen hatte. Ich fühlte mich so ausgelaugt, als hätte ich soeben den Mount Everest bestiegen, aber ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Ich hatte es geschafft. Als ich Seth in die Augen blickte, sah ich das erste mal seit ich ihn kennengelernt hatte so etwas wie Respekt darin aufblitzen. Er nickte langsam und ließ den Arm sinken.

,,Ich werde mit Estelle sprechen. Bald wirst du für den Unterricht bereit sein."

TodessohnWhere stories live. Discover now