Kapitel 10.3

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~Seth

Die Autofahrt war ätzend und eigentlich viel zu lang, allerdings konnte sie angesichts unseres Ziels eigentlich gar nicht lang genug sein. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte sie niemals enden müssen. Irgendwann, es war bereits dunkel, hielt der Wagen dann doch vor dem Internat von Missouri. Nachdem Estelle mir eingetrichtert hatte, in einer halben Stunde wieder am Auto zu sein, hatte sie mich in die Hände eines etwa fünfzehnjährigen Schüler mit schwarz lackierten Fingernägeln und stachelartig hochgestylten schwarzen Haaren übergeben, der mir mein Zimmer zeigen sollte. Ich konnte mir nicht helfen, aber der Typ erinnerte mich unheimlich an Matt. 

,,Folge mir", sagte Pseudo-Matt und rannte voraus. Seufzend folgte ich ihm. Da mir der Typ gefühlt bis zum Bauchnabel reichte, hatte ich ihn mit langen Schritten schnell eingeholt. Ich tippte ihm auf die Schulter.

,,Du. Wie ist dein Name?"

,,D-David", stammelte der Schwarzhaarige. Pause. Dann: ,,Du bist Seth, der Sohn von Hades, oder?"

,,Exakt." Ich schob meine Hände in die Taschen meiner Jeans und sah zu ihm. ,,Schicke Fingernägel."  Und Haare. Ich hatte irgendwie schon die ganze Zeit den Drang mit dem Finger in eine der Stacheln zu pieken.
David wurde rot.  ,,D-danke."

,,Immer wieder gerne."

David führte mich in eines der Wohnheime und öffnete die Tür zu einem der Schülerzimmer. Auf den ersten Blick wirkte es im Vergleich zu meiner Wohnung in West Virginia wie eine heruntergekommene Abstellkammer. Kuschelig. So mussten normale Schüler also wohnen? Und dann normalerweise auch noch zu zweit? Ich beneidete sie wirklich nicht. David überreichte mir den Schlüssel und verabschiedete sich eilig. Noch während die Tür ins Schloss fiel, wurde mir klar, dass ich den Weg alleine zurück zu den Autos nie im Leben finden würde. Egal. Ich warf meine Tasche auf den Boden und sah mich um. Im Raum befanden sich zwei Betten, ein Tisch und Stühle sowie eine bereits halb kompostierte Topfpflanze. Nette Raumeinrichtung. Da ich damit rechnete, dass ich verdammt viel Zeit benötigte, um den Platz wiederzufinden, an dem wir vorhin angekommen waren, irrte ich wenige Minuten später wieder auf dem Campus herum. Irgendwann fand ich die Autos, aber ich schien spät zu sein. Natürlich war ich das. Neben Estelle stand, in einen teuren Anzug gekleidet, der Rektor von Arizona und sah mich an, als hätte ich ihm seine letzte, knusprigste Pommes Frites weggefuttert. Ach, wie sehr ich diesen Kerl vermisst hatte... 
,,Seth", sagte er und sein Lächeln wirkte unechter als ein Plastikweihnachtsbaum, ,,Es freut mich sehr, Sie wiederzusehen."
Nee, ist klar. Glücklicherweise musste ich dem Rektor von Arizona nicht mehr meine Freude dieses Wiedersehens entgegen bringen, da sich in diesem Moment Estelle einschaltete.

,,Wir werden drinnen erwartet."

Götter, wirklich? War ja grauenvoll.
,,Na dann auf ins Abenteuer", murmelte ich.
Der Rektor warf mir einen missbilligenden Blick zu, setzte sich dann aber in Bewegung. Wir liefen über den Campus und steuerten auf das Gebäude zu, in dem immer die Sitzungen abgehalten wurden. Empfangen wurden wir am Eingang vom Rektor dieses Internats, einem etwa vierzigjährigen Mann mit stechend blauen Augen und kurzen braunen Haaren, der mir die Hand reichte. ,,Guten Abend, Seth, Sohn des Hades. Wie ich sehe, sind Sie auch dieses Jahr wieder mitgekommen."

Diese Feststellung war irgendwie auch recht sinnfrei. In Wahrheit war ich natürlich eine Projektion. 

,,Ja, leider."

Dem Braunhaarigen kippte das gefälschte Lächeln aus dem Gesicht. ,,Nun, kommt doch rein."

Hinter Estelle und den beiden Männern schob ich mich unauffällig in den Raum. Vergebens- Jeder starrte mich an, ich achtete jedoch nicht darauf. Meine Aufmerksamkeit erregte etwas anderes. Der Raum schien elektrisch geladen zu sein. Knisternde Energie erfasste mich, es war ein Gefühl von ungeheurer Macht- aber sie ging nicht von mir aus. Ich befand mich in einem Raum voller Menschen, als mein Blick aber auf ein giftgrünes Augenpaar traf, wurde mir klar, dass sein Träger der Urheber dieser Macht sein musste. Ich hatte so etwas schon einmal gespürt- an dem Tag, an dem ich Aphrodites Tochter das erste Mal getroffen hatte. Ich ballte die Hände zu Fäusten. ,,Was zum Hades...?"
Der Rektor von Missouri lächelte nun wieder, was ich äußerst gruselig fand. ,,Ist es nicht faszinierend, wie sie sich gegenseitig wahrnehmen?", bemerkte er fast begeistert.
Ich beachtete ihn nicht und starrte stattdessen wieder den Grünblickenden an. Er war muskulös, schlank, etwas jünger als ich, aber genauso groß. Gekleidet war er in weißem Hemd und schwarzer Hose, das dunkle Haar hing ihm lässig in die smaragdgrünen Augen, aus denen er mich ebenso anstarrte wie ich ihn. Ich wandte den Blick ab und verschränkte die Arme vor der Brust. ,,Wer ist das?"
Der Rektor lächelte weiter.

,,Das ist Dawson. Der Sohn von Poseidon."

TodessohnWhere stories live. Discover now