37. Tattoo

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»...und dann hat sich dieser Mistkerl von Freund doch echt mit irgendeiner Tussi abgesetzt, ist das zu fassen?!«

Die Frage war rhetorisch, da bestand für Yoongi kein Zweifel. Jedoch schien die aufgeregte, junge Frau vor ihm eine Antwort zu erwarten, da sie ihn noch lange nach ihrem Monologschluss von der Seite anstarrte.

Was Yoongi jedoch ignorierte und den Kopf weiterhin gesenkt hielt.

Wäre er der Frau in der Bahn begegnet und nicht wie jetzt damit beschäftigt, die Nadel der Tätowiermaschine nicht ausversehen außerhalb der Linien unter der zarten Haut an dem Arm der Frau zu stechen, dann wäre der 24-jährige Koreaner mit Sicherheit viel gesprächiger und hätte ihr vielleicht auch mehrsilbige Antworten gegeben.

Doch hier, in dem Tattoostudio, indem Yoongi nun seit fünf Jahren seine Dienste anbot, war die Sicherheit und Konzentration bei der Arbeit die oberste Priorität für ihn.

Was manchmal auch hieß, dass er seinen Kunden auf freundliche Art und Weise mitteilte, dass sie ihren Gesprächsdrang auf drei Worte während der gesamten Session eingrenzen, welche in Yoongis Fall höchstens sowas wären wie:

'Das tut weh!'

Nur selten hatte Yoongi Kunden, die ihn dennoch mehrmals ansprachen und meistens waren es Fragen über Yoongis Arbeit, da der erfahrene Tätowierer keine anderen Gesprächsthemen zu ließ und sie auf charmante Art zu unterbinden wusste.

Liebesdramen, Schicksalsschläge oder Mitleidsgejammer, all das hatte er sich bereits viel zu oft angehört und jedes Mal kotzte es ihn an, dass er als emotionaler Mülleimer zu fungieren schien. Klar, er bekam Geld und konnte Menschen dafür als Leinwand benutzen, aber dennoch kratzte es an seinen Nerven, sobald er sich eine weitere Geschichte des davongelaufenen Freundes anhören musste.

Die Brünette auf der Liege vor ihm seufzte theatralisch und hob die Schultern ein wenig dabei an.

Yoongi zog sofort die Hand mit der Tätowiermaschine zurück, als sich der Arm unter seinem Blick bewegte.
Sein Kiefer spannte sich an und er beschloss, dass er der Frau beim nächsten Mal das Ultimatum zwischen Stillhalten und Verlassen seiner Liege stellen würde.

Doch noch hatte die Frau eine Chance, weshalb der weißhaarige Mann versucht geduldig darauf wartete, dass der Arm länger als vier Sekunden still vor ihm lag, ehe er sich wieder näher an die Haut der Frau beugte und die Nadel an der Stelle ansetzte, an der er aufhören musste.

»Ich glaube,« fing die Frau erneut an, »ich werde mich nie wieder verlieben.«, sprach sie weiter und in Yoongis Kopf erschien das Mantra, dass er sich während der letzten Sessions mit ihr etliche Male ins Gedächtnis gerufen hatte: Bald ist es geschafft. 300€. 300€. Ich bekomme 300€. Halte durch Yoongi...

300€, soviel war es der Frau wert, dass der Name an ihrem Arm auf die effektivste Art und Weise verschwand, die es nur gab, welche in Yoongis Augen nur das Überdecken mithilfe eines anderen Tattoos war und nachdem er sich den Namen 'Nico' in verschnörkelter Schrift angesehen hatte, war es für ihn ein Kinderspiel dieses grässlich kitschige Tattoo mit einem edlen Schriftzug, sowie einer Eule zu ersetzen.

In mehreren Sessions mit jeweils gefühlt dreizig Stunden, hatte er der jungen Frau mit höchster Präzision die Tinte unter die Haut gestochen und sein Werk Stück für Stück zur Vollendung gebracht.

Heute war die letzte Session und Yoongi sehnte den Moment herbei, indem er die leiser werdenden Schritte der Frau, sowie das sanfte Windspiel über der zugehenden Ladentür hören würde.

»Das Tattoo ist fertig.«, brummte Yoongi schließlich, nachdem er den letzten Nadelstich gesetzt hatte und zog seine behandschuhte Hand von dem Arm der Frau zurück.

YOONMIN || ONESHOTSWhere stories live. Discover now