2. 𝑫𝒆𝒓 𝑨𝒖𝒔𝒔𝒆𝒏𝒔𝒆𝒊𝒕𝒆𝒓

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Von wegen ich schlafe gut. Ich habe furchtbar geschlafen und lauter seltsame Sachen geträumt.

In meinem Traum bin ich im Wald gewesen, nur schien ich nicht ich selbst zu sein. Ich war irgendein Tier, dass ohne Pause durch den Wald gehastet ist. So schnell und so weit.
Obwohl es im Wald fast schwarz vor Dunkelheit war, konnte ich alles gut sehen. So als würde ich ein Nachtsichtgerät tragen. Das war unheimlich und total aufregend zugleich.

Nur leider hat mir dieser Traum den Schlaf geraubt. Ich habe mich unruhig hin und her gewälzt, bin ständig aufgewacht und sobald ich eingeschlafen bin, war ich wieder im Wald.

Nun blicke ich den dunklen Schatten unter meinen Augen entgegen. Mein Spiegelbild rauft sich die langen schwarzen Haare. Sie stehen mir zu allen Seiten ab. Warum muss ich auch die Lockenmähne meiner Mutter geerbt haben. Sie mag schön aussehen, aber kämmen ist täglich eine Herausforderung.

Erst recht nach so einer unruhigen Nacht. Naja, ich lasse mich nicht unterkriegen und beschließe das Beste aus dem Tag zu machen.

Abgesehen von meiner Kopfwolle. Also ehrlich, manchmal komme ich mir vor wie ein Schaf. Ich werde mich später mit den Knoten auseinander setzen.
Also binde ich den Busch von Haaren mit einem großen Haargummi zu einem Knäuel zusammen und ziehe mich an.

Eine blaue Jeans und ein dünnes rosa T-Shirt sollten reichen. Es scheint echt schön draußen zu sein. Also entscheide ich mich für die Leinenschuhe, die ich letztes Jahr zum Geburtstag bekommen habe.
Daran mich zu schminken denke ich gar nicht erst. Ich will doch nur einkaufen gehen.

Als ich meine chaotische Wohnung ansehe, bekomme ich die Krise. Da ist noch eine Menge zu tun. Nur will ich erst einkaufen. Wie spät ist es? Gleich Zehn. Oha ich habe länger geschlafen als beabsichtigt. Wird Zeit etwas produktiv zu sein.

Sobald ich an die frische Luft komme und mir ein herrlich warmer Sommerwind entgegenkommt, bin ich hellwach und der seltsame Traum ist vergessen.
Vögel zwitschern und irgendwo bellt ein Hund. Es riecht nach Land und nicht nach verschmutzten Abgasen. Keine hupenden Autos, gestresste Menschen und überhaupt keine Unruhe. Ja hier werde ich mich wohl fühlen. Allmende ist mein neues Zuhause.

Hinter mir fällt eine Tür ins Schloss. Erschrocken drehe ich mich zur Eingangstür des Mehrfamilienhauses um. Eine ältere Dame kommt mir lächelnd entgegen.
„Guten Morgen, Liebes!", grüßt sie freundlich. Sie sieht aus, als wäre sie einem alten Film entlaufen. Sie trägt ein geblümtes Kleid und eine dunkelblaue Strickjacke. Ihre runden Beine stecken in Seidenstrümpfen und ihre Schuhe glänzen wie frisch gekauft. Dabei ist das ein ziemlich altes Modell - sofern ich das auf den ersten Blick sehen kann.

„Hallo!", grüße ich ebenso freundlich zurück.
„Sie sind wohl die neue Mieterin", vermutet die Dame richtig. Ihre Stimme erinnert mich an das sanfte Plätschern eines Bergflusses, so angenehm klingt sie.

Der Wind bewegt ihre aschblonden aufgedrehten Haare.
„Ich bin sehr erfreut. Mein Name ist Madelene Durelle. Ich lebe schon ganz lange mit meinem Mann hier. Wenn Sie irgendetwas brauchen, scheuen Sie sich nicht zu fragen."

Wie lieb von ihr.
„Ich bin Nisha Durand, ebenfalls sehr erfreut und vielen Dank."
„Oh, aber sie sind nicht aus Frankreich, nicht wahr?"

Das sagt jeder, der mich einmal zu Gesicht bekommen hat. Das liegt an meinem dunklen Teint.

„Ach nein, ich habe meine Eltern im syrischen Krieg verloren als ich klein war. Meine Zieheltern kommen aus Frankreich", erkläre ich offenherzig. Ich habe kein Problem mit andern Leuten über meine Herkunft zu sprechen.
„Ach so ist das", bemerkt Madame Durelle neugierig. „Und haben Sie schon viel von Allmende gesehen?"
„Nein, leider nicht. Doch wo der Supermarkt ist, weiß ich schon. Alles andere gehe ich langsam an."

ERONWhere stories live. Discover now