29. 𝑫𝒆𝒓 𝑺𝒂𝒎𝒆𝒏 𝒅𝒆𝒓 𝑬𝒓𝒊𝒏𝒏𝒆𝒓𝒖𝒏𝒈

19 2 0
                                    

Wie kann sich mein Herz so leicht und glücklich anfühlen, gleichzeitig aber so leer und erdrückend?

Eron lebt. Er genießt sein Leben als Wolf. Doch kann er sich kein bisschen an mich erinnern. Vielleicht kann ich sein Vertrauen zurück gewinnen. Irgendwie muss es den Wölfen ja auch gelungen sein.

Seltsam ist, dass er mich bis zur Stadt zurück begleitet hat, als würde er nach wie vor auf mich aufpassen.

Ich stehe am nächsten Tag auf meinem Balkon und sehe auf den Wald. Irgendwo dort draußen ist er. Vielleicht beobachtet er mich? Eine zu schöne Vorstellung.

Nachmittags gehe ich hinter der halb fertigen Mauer spazieren und lasse meine Gedanken immer wieder abschweifen. Ich hoffe Eron zu sehen. Ich hoffe es so sehr.

Als er dann tatsächlich in meiner Nähe auftaucht, lächle ich so herzlich, dass er wieder einmal verwirrt den Kopf schief legt. Ich lache darüber, weil es so süß aussieht.

In den kommenden Tagen treffe ich den Wolf immer wieder vor oder nach der Arbeit und jedes Mal traut er sich näher heran. Ich entdecke wieder den Mut zu malen und nehme meine Staffelei mit nach draußen.
Ganz vertieft schwinge ich den Pinsel über die Leinwand und zeichne die Konturen der Stadt, als ich eine Bewegung neben mir erhasche.

Wie ein Hund legt er sich neben mir auf den schwarzen Boden und behält mich im Auge. Er traut mir nicht genug, um sich als Mensch zu zeigen, aber irgendetwas bringt ihn immer wieder dazu mir Gesellschaft zu leisten, wenn ich zum Malen raus komme.

Irgendwann, ich habe keine Ahnung nach wie vielen Tagen, beugt sich der Mann mit neugierigem und kritischem Blick hinter der Staffelei hervor über mein Bild und mustert es. Ich halte inne, wage nichts zu sagen, damit er nicht plötzlich verschwindet. Auf einmal ist er so nahe, ohne Angst oder Zweifel.

„Du...hast Talent", bemerkt er knapp.
Ich lächle dankbar und lege den Pinsel nieder.
„Darf ich...dich malen?"
Er schaut mich einen Moment schweigsam an, dann setzt er sich auf einen abgesägten Baumstamm und wartet.
Ich grinse vergnügt und wechsle die Leinwand.

„Schön stillhalten", sage ich und beginne mein Werk mit noch mehr Konzentration und Hingabe.

Viele Stunden sitzt er regungslos da in einer lässigen Pose - ganz menschlich - und schaut zu mir herüber. Das ist so vertraut und doch so seltsam. Selbst wenn er so entspannt da sitzt, nach vorne gebeugt und seine Arme auf den Oberschenkeln abstürzt, sieht das ziemlich sexy aus. Rau und wild, aber auch irgendwie attraktiv und anziehend. Zumindest für mich.

Ich genieße seine Nähe, auch wenn er immer noch keine Erinnerung an mich hat. Er spürt wohl, dass keine Gefahr von mir ausgeht.

Sobald ich fertig bin, betrachte ich das Bild stolz. Ich habe ihn gut getroffen.
Er steht auf und kommt zu mir herüber.
„Gefällt es dir?", frage ich hoffnungsvoll.
Er sieht verlegen zur Seite. Er braucht einen Moment und nickt dann unmerklich.

„Ich kann's nicht verstehen", sagt er plötzlich.
„Wieso hast du keine Angst vor mir? Wieso sehen deine Augen mich so an?"
„Wie...sehen sie dich an?", hake ich vorsichtig nach.
„So warm und offen. Niemand sieht mich so an. Schon gar kein Mensch. Wer bin ich für dich, Nisha?"

„Du...kennst meinen Namen...", stelle ich verwundert fest. Er scheint genauso verblüfft darüber.
Er bleibt verwirrt und mustert mich lange.

„Wieso weiß ich das?", fragt er in die Stille hinein.

„Du warst mal mein Nachbar", erkläre ich ruhig und packe meine Malsachen ein. Mir wird kalt und die Sonne geht gleich unter.
„Als du noch bei den Menschen gelebt hast."
Er glaubt mir nicht. Also erzähle ich ihm alles. Für ihn mag es wie ein Märchen klingen, doch gebe ich nicht auf. Ich habe ihm damals geglaubt, heute muss er mir glauben.

ERONWhere stories live. Discover now