19. Keine Angst

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Keine Angst

Celia sitzt am selben Abend noch in ihrem Zimmer, starrt aus ihrem Fenster, raus auf die kühlen, stillen Straßen Birminghams, die in dieser Dunkelheit unendlich wirken. Das Gefühl des Adrenalins pocht immer noch in ihren Venen und immer wieder, wenn sie an Arabella und Jemima denkt, setzt sich ein Lächeln auf ihre Lippen.

Celia hat sich, soweit sie denken kann, immer allein durch das Leben gekämpft, seitdem ihr Vater nicht mehr da ist und sie nicht mehr unterstützt. Mutter wurde kühl, Lucien still, Freunde hatte sie keine. Allein die Literatur und die Sehnsucht nach etwas Neuem, etwas Festem, hielt sie am Leben. Der Gedanke, andere zu inspirieren, das Gleiche zu tun. Doch hat sie außer dem Schreiben eigener Geschichten und Prosen nichts getan. Nichts veröffentlicht, nichts geändert, einfach mitgespielt in dem Ideal, dass Frauen minderwertig sind und weder anecken, noch laut sein dürfen.

Doch jetzt ist es anders. Die Energie, die Verbindung, die sie, Jemima und Arabella teilen, führt sie dazu, zu sein, wer sie immer sein wollte, auszudrücken, was zu lang verborgen blieb. Ein Vorbild sein. So laut zu sein, wie sie möchten, abzulehnen wenn sie nicht möchten, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und sich nichts sagen zu lassen. All das, was immer gefehlt hat, macht sie nun komplett. Füllt und erfüllt sie. Und Celia wird das niemals loslassen wollen.

Ihr laufen beinahe schon die Tränen über die rosa Wangen, als sie an die vergangenen Wochen denkt, die so viel bunter und schöner waren, als alle Jahre, die sie davor erlebte. Das Besuchen eines Theaterstücks, im dem Jemima spielt, das Zusammenkommen am Abend und gemeinsame Trinken, die Momente mit Arabella, in denen sie einfach malt oder wichtige Dinge in schöne Worte fasst, all die Gespräche und das Lachen und auch das Ernstsein verbindet sich alles in Celia, lässt ihre Seele, die zuvor aus kühlen Dornenranken bestand, bewässern und all die Blumen sprießen.

Celia wendet sich von ihrem Fenster ab, legt sich stattdessen überglücklich auf den Boden, nachdem sie ihren Plattenspieler anstellte. "Gymnopédie No. 1" ertönt, so wie jedes Mal, wenn Celia Komfort im Unsichtbaren sucht. Der Regen prasselt in leichten Tönen gegen das Fenster, die Musik erfüllt den Raum, Celias Herz pocht sanft und ihre Gedanken hängen in den schönsten Universen. Sie denkt an Calisto, wie er lächelte, als er nur für sie spielte, die Emotionen, die die echte Version in Celia erwecken, spiegelte und die Sonne im ganzen Zimmer schien, ihren Glanz auf sein schönes Gesicht hob.

Das war Frieden.

Sieht Celia nach links, fällt ihr Blick auf 'Rachel' von Grimké, das er ihr schenkte. Sie lässt ihre Finger sanft über das Buch streichen, seufzt leicht, denkt an ihre unfreundliche Art Calisto gegenüber, die abweisenden Worte und Blicke, die sie ihm schenkte, weil sie sich vormachte, ihn nicht in ihrem Leben zu wollen.

Aber vielleicht möchte sie es doch.

Celia hat keine Angst davor, allein zu sein. Sie weiß, wir sind alle allein. Allein - in uns gefangen, allein sehnsüchtig festhaltend an den Felsen des Universums, hoffend, dass uns die Magie nicht verlässt.
Celia war immer allein. Celia hatte nie Angst. Sie war immer ein Teil von ihr.

Und nun, vor Calistos Wohnungstür zu stehen, eine frische Pflanze in den Händen haltend, ist eine pure Selbsreflektion ihrer Unsicherheiten. Der Gedanke, andere nie zu nah kommen zu lassen, ist ein omnipräsenter, der seit Jahren in Celia ruht. Sie beerdigt sich selbst in Gedanken, statt endlich mal zu leben. Schuldeingeständnisse in den eigenen Echokammern beinahe unmöglich. Doch sie fühlt sie. Schuld, Angst, Alleinsein. Die Nervosität neuer Situationen, völlig allein in ihren Gedanken zu sein, keinen Halt in der Unvernunft zu finden. Es beängstigt. Hält sie fest. Die Gedanken klammern sich um all ihre Sehnsüchte, die schließlich zu Schamgefühlen verblassen.

 𝐕𝐈𝐒𝐈𝐎𝐍𝐀𝐑𝐈𝐄𝐒 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt