8. Körper und Geist

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Körper und Geist

Die Feder in Celias Hand fließt wie von allein über das gelbliche Blatt Papier. Kerzenflammen erleuchten den Raum, seit einer halben Stunde läuft "Gymnopédie No. 1 " über ihren Plattenspieler.

Es regnet und stürmt gegen die Fensterscheibe. Die Worte schreiben sich wie von selbst. "Free body, caged soul" ist der in wunderschöner Schrift geschriebene Titel, die Worte sind stark und eindrucksvoll, hinterlassen ein stolzes Gefühl in Celias Magen.

Als sie die letzten Worte zu Papier bringt und mit einem abschließenden Punkt ihr Geschriebenes beendet, sie nochmal mit ihren Augen drüber fährt, lehnt sie sich in ihrem Stuhl zurück, lächelt sich selbst zu und weiß plötzlich, dass sie etwas geschaffen hat.

Die Musik endet, Celia steht auf, nimmt die Schallplatte und legt sie wieder in ihre Hülle, sie pustet die Kerzen aus und geht seit einer Ewigkeit mal wieder zufrieden zu Bett.

"Guten Morgen Celia."

"Hallo, bist du schon länger hier?",fragt Celia und stellt ihre Tasche neben ihrem Stuhl ab. Sie setzt sich neben Arabella, sieht sich im Raum um. Jede Leinwand, die vor ein paar Tagen noch schneeweiß war, ist jetzt mit bunten Farben gefüllt. Scharlachrot, Purpur, Cobaltblau. Formen und Farben, Gesichtsausdrücke in allen Motiven.

Arabella ist ebenso eines dieser Werke. Wie sie im Zentrum des Raumes sitzt und jene Energie verkörpert, die dieser Ort zu bieten hat. Wie sie in den schönsten Farben glänzt und doch ist der Blick müde, vielleicht sogar betrübt. Sie nimmt einen Schluck Kaffee und lehnt sich zurück, betrachtet ihr Werk und seufzt leise und doch kraftvoll. Sie sieht unzufrieden aus.

"Alles in Ordnung?",fragt Celia. Arabella öffnet den Mund, um etwas zu sagen, schließt ihn dann erneut und bildet mögliche Sätze in ihrem Kopf.
Celia kennt Bella jetzt seit fünf Wochen und sie fällt immer wieder in ein solches Muster zurück.

"Ich weiß nicht",antwortet sie schließlich und ihre Stimme ist rau, erinnert Celia kurz an die Worte, die sie am gestrigen Abend zu Papier brachte. Arabella legt ihren Kopf schief, schließt für wenige Sekunden ihre Augen.

"Ist etwas vorgefallen, möchtest du reden?"

"Weißt du, Celia",fängt sie an, "ich weiß manchmal nicht, ob Talent wirklich ein Segen ist wie alle denken."
Celia mustert sie, lehnt sich in ihrem Stuhl zurück.

"Dieses ganze Selbstbewusstsein, das ich mit der Kunst verbinde ist letztendlich auch nur ein Funken, der immer wieder erlischt. Zufriedenheit ist lange kein Teil meiner Existenz mehr."

Sie reibt sich über die müden Augen.

"Weißt du, ich stelle mich dar, als sei ich so überzeugt von mir selbst, als würden mich die Meinungen anderer weder interessieren, noch beeinflussen, als würde ich nie auch nur einen Anflug von Unzufriedenheit empfinden. Aber dem ist nicht so, dem ist überhaupt nicht so."

Arabellas müder Blick trifft Celias Augen. Sie streckt ihre Hand aus und legt diese behutsam auf Bellas Arm.

"Es bin wieder ich, die andere und mich selbst unglücklich macht",sagt sie, "immer ich, die nicht genug ist und die Ehre meiner Familie, die aus Ängsten geschaffen wurde, nicht repräsentieren kann."

Celia möchte etwas erwidern, doch Arabella fährt gleich fort.
"Wer bin ich schon? Wer bin ich ohne meine Kunst?"

Sie starrt Celia kurz in die Augen.

"Ich bin niemand. Nur ein Mädchen, das nicht nur aufgrund ihres Geschlechtes, sondern auch ihrer Wurzeln, nie erfolgreich sein wird. Ich werde in diesem Leben nie berühmt sein oder Geld mit meiner Leidenschaft verdienen. Eigentlich ist es doch alles nutzlos. Vielleicht haben sie recht..."

 𝐕𝐈𝐒𝐈𝐎𝐍𝐀𝐑𝐈𝐄𝐒 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt