6. Flammen

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Flammen 

Leise Jazzmusik dröhnt im Hintergrund, das Geld fließt wie die Getränke den Rachen hinunter, das Lachen liegt in der Luft, Getümmel und Gerede umranden das Szenario. Alles ist laut. Und echt.

Celia beobachtet mit strahlenden Augen den großen Mann am Saxophon und bewegt ihren Kopf rhythmisch, klatscht in die Hände und lacht. Arabella hat ihren Arm um sie geschlungen und ist ebenso von dem Moment berauscht. Jemima hingegen sitzt ihnen mit verschränkten Armen gegenüber, observiert alles um sich herum und hat ein selbstsicheres Grinsen auf den Lippen.

"Wir brauchen einen Plan",sagt sie schließlich vehement und zieht die Aufmerksamkeit der anderen Mädchen für kurze Zeit auf sich, ehe die Musik plötzlich stoppt und Celia und Arabella laut in die Hände klatschen.

Ihre vom Glück gezeichneten Gesichter drehen sich gleichzeitig wieder zu der blonden Schönheit, die ihre Augenbrauen belustigt in die Höhe gezogen hat.
"Sag' mal, Celia, warst du noch nie in einer Bar?"

"Nein",antwortet sie, "meine Mutter erlaubt es nicht. Nur christliche Musik ist in ihrem Haushalt gestattet."
Ihre Stimme ist erhoben, kämpft mit allen anderen Anwesenden in diesem Raum um Gehör.

"Wenn sie wüsste, dass ich hier bin, würde ich für die nächsten Jahre keinen Fuß mehr nach draußen setzen. Ich sagte ihr, dass ich mich zum Lernen verabredete."

"Nun, ganz gelogen ist dies nicht",meint Jemima und grinst und auf ihr Grinsen folgen auch fröhliche Lacher der anderen beiden.

Celia sieht sich erneut im Raum herum. Jemima erzählte ihr am vergangenen Donnerstag, dass sie jedesmal nach einer Aufführung mit ihrem Bruder und Arabella hierher komme und den besten Alkohol der Welt trinke.

Die "The Alchemist Colmore Row Bar" ist der perfekte Ort für junge, interessierte Menschen, Mittelschichtsbürger und billige Brandy-Trinker. Die Atmosphäre ist lebendig, lässt Celia fühlen, denken und kreativ werden. Sie möchte über diesen Ort schreiben.

Jemima zündet sich eine Zigarette an, räuspert sich und führt ihr Gesagtes von vorhin weiter fort.
"Wir brauchen einen Plan."

Arabella und Celia nicken, spielen jedoch auch mit unsicheren Karten.

"Aber was genau wollen wir machen? Wie wollen wir unsere Ideen umsetzen? Uns wird doch keiner ernst nehmen! Ich höre es sie jetzt schon sagen, die dummen Frauen, wer hat sie nur in die Uni gelassen?",sagt Celia und sieht mit bedrücktem Ausdruck zu Jemima, als könnte sie ihren Unmut pflegen.

Das blonde Mädchen lehnt sich über den Tisch zu den anderen beiden, tut genau das, was Celia sich erhoffte.
"Genau das ist es, was die Männer, die Gesellschaft, uns denken lassen wollen, Océane! Wir werden nur eine Veränderung bringen, wenn wir uns von dem lösen."

"Ich stimme dir zu",ruft Arabella über die laute Geräuschkulisse und das Klirren von Gläsern und Geschirr, "wir alle haben Talente, die endlich präsentiert werden sollten. Die Welt hat genug von den tollen Werken und Erfindungen genialer Männer gehört, jetzt sind wir dran. Wir schreiben die Geschichte um."

"Das ist das Stichwort!",sagt Jemima zwar enthusiastisch, bleibt jedoch ganz ruhig, nimmt einen Zug ihrer Zigarette und zieht erneut alle Blicke auf sich, "Geschichte umschreiben, neue Perspektiven bieten, die Welt aus den Augen der Frauen darstellen und ein Vorbild für andere sein."

"Wir brauchen einen Namen, eine Identität, die uns einerseits versteckt, unser Talent aber trotzdem zur Schau stellt."
Jemima legt die Stirn in Falten und verzieht das Gesicht zu einer nachdenklichen Pose.

Celia trinkt einen Schluck ihres Getränked und lehnt sich auf der Sitzbank zurück, streicht über ihre kurzen Beine, die in eine weiche und schicke Stoffhose geschlungen sind.

 𝐕𝐈𝐒𝐈𝐎𝐍𝐀𝐑𝐈𝐄𝐒 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt