𝐕𝐈𝐒𝐈𝐎𝐍𝐀𝐑𝐈𝐄𝐒

33. Grenzen

"I wish it to be understood, that I should never invite anyone to come and see me who did not ask for the invitation."

George Eliot wollte nicht, dass man sie anblickt, dass man sich eine Meinung über sie bildet, ehe man sie sie wirklich sieht. Sie wollte wahrgenommen werden, ja, aber nicht auf Kosten ihrer persönlichen Werte und ihrer Verstandes. Etwas Besonderes zu sein und angesehen zu werden – es ist wichtig, doch sie selbst und ihre Persönlichkeit ist das, was sie sich von niemandem nehmen lässt. Sie war eine starke Persönlichkeit, ein Charakter, der auch heute noch in ruhigen Menschen atmet, die nicht gesehen werden möchten, bis sie sich mit den Umständen sicher fühlen.

Jemima möchte auch nicht gesehen werden. 

Celia ist ehrlich. Als Jemima Cecil gegenüberstand und die 'visionaries' nur als ihre eigene Idee porträtierte, war sie verwirrt, verblüfft, sie verstand nicht ganz, konnte den Sinn hinter Jemimas kühnen Worten nicht verstehen. Doch jetzt umso mehr, sieht in ihrer Freundin das, was sie immer sehen wollte, doch nie zuvor sehen konnte. Alles, was wahr ist. Alles was wichtig ist.

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Es sind Tage vergangen, die Presse hat geschrieben, die Münder haben geredet, Spott und Ehrfurcht gemischt in den Köpfen der Birminghamer Menschheit, sie alle haben etwas, das sie loswerden wollen, aber so wenig, das sie sagen.

Jemima wurde offiziell bist auf Weiteres verwiesen, musste ihre Sachen von der Universität abholen, zurückgeben, nach Hause bringen. Zwei Tage Isolation folgten auf die Nachrichten. Zwei Tage, in denen sich die Zeitung auf das Thema gestürzt und sich die Finger geleckt hat. In jeder Zeitung, sogar im Birminghamer Radio, scheint es das einzig wichtige Thema zu sein. Überall ihr Name: Jemima Ava Berrycloth, die Frau hinter den Schandtaten der 'visionaries', hinter den Nachrichten, den vulgären Bildern, den Gedichten und den Botschaften, dem Vandalismus.

Auf jeder Zeitung ist ihr reines Gesicht, die dünnen blonden Haare und die eisblauen, kühlen Augen, die dich entweder in ihr geschaffenes Paradis aufnehmen oder in der Hölle brennen lassen können. Doch auch Arabellas und Celias Name werden immer wieder erwähnt, sie stehen sogar in Überschriften, schmücken die Titel jedes Magazins dieser Stadt. Viele Journalisten sind sich sicher; es ist nicht nur Jemima, die hinter diesem Konzept steckt; es sind auch ihre nahestehenden Freunde.

Arabella und Celia treffen sich am ersten Tag nach Jemimas Suspendierung im alten Jazz Club, haben aber kein Verlangen zu tanzen oder zu trinken oder zu lachen oder überhaupt zu sprechen. Sie sitzen dort nur in purer Stille und denken über das Handeln ihrer besten Freundin nach, die vielen Fragen, die sie an sie haben und die sie beantwortet haben müssen, da die Köpfe sonst in Unwissen zerbrechen würden. Lucien hält sich zurück, Calisto besucht Celia einige Male, von Ferris ist nichts zu hören, natürlich auch nichts von Jemima.

Celia kommt kurz die Idee, vor die Presse zu gehen und Jemimas Aussagen zu widerlegen, die eigentliche Wahrheit aufzudecken, doch etwas in ihr sagt ihr, dass es das nicht ist, was ihre beste Freundin verlangt. Sie weiß, ihr Wunsch, ihr sonderbarer Plan, von dem keiner der Freunde wusste, ist in Erfüllung und aufgegangen, hat funktioniert und in ganz Birmingham scheint es einen omnipräsenten Schockzustand zu geben. Alles, worüber gesprochen wird, sind die 'visionaries' und auch wenn die meisten nicht glauben, dass auch sicher nur die freche Jemima hinter den Taten steckt, lassen sie es gut sein und geben sich mit der Antwort zufrieden.

Auch die Universität meldet sich nicht weiter zu Wort. Sie kündigten lediglich die Suspendierung Jemimas an und deckten auf, dass sie hinter den Skandalen stecke. Celia ist sich sicher, dass sie Jemimas Lügen nicht vollständig geglaubt haben und wissen, dass sie und die anderen auch ihre Karten mit in dem Spiel hatten, doch sie sind wahrscheinlich nur froh, endlich einen Schuldigen zu haben und sich auf diesem Ergebnis nun ausruhen zu können. Sich wieder positiv positionieren zu können.