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L U K E

Ein Regentropfen landete auf meiner Nasenspitze und genervt zog ich die Augenbrauen zusammen. Nässe konnte ich jetzt nicht gebrauchen, es war schon kalt genug!

Seit einer Ewigkeit lief ich durch den Wald und mein Tempo wurde immer langsamer. Meine Beine schmerzten und irgendwie hatte ich die Orientierung verloren. Ich war mir noch nicht einmal sicher, ob ich noch im feindlichen Revier war oder nicht. Vor mir waren nur Bäume! Nichts als Bäume! Naja, und eine Landstraße.

Das schlechte Gewissen plagte mich zusätzlich pausenlos. Es war falsch, Zain dort zurückzulassen und ohne eine Info oder Ähnliches zu verschwinden. Mehr als einmal wollte ich umkehren und hatte dies sogar vorhin getan. Doch dann dachte ich wieder an das Gespräch mit unseren Eltern und brach mein Vorhaben ab. So ging es vorwärts und gleichzeitig doch rückwärts.

Motorengeräusche von vorbeifahrenden Autos drangen zu mir herüber. Zwar wollte ich die Straße bei Nacht mitten im Wald eigentlich nicht überqueren, doch mir blieb wohl nichts anderes übrig.

Gedankenverloren und nicht mehr ganz bei der Sache drängte ich mich an einigen Büschen vorbei und bemerkte viel zu spät, dass unter meinen Füßen bereits Asphalt war. Auch die Scheinwerfer und die quietschenden Reifen bemerkte ich in letzter Sekunde. Erschrocken sprang ich zur Seite, was mir aber auch nicht mehr viel brachte. Der Fahrer versuchte auszuweichen, nur ohne Erfolg.

Die Front des dunklen Autos erwischte mich an der Flanke und ich wurde durch die Wucht einige Meter durch die Luft geworfen, bevor ich letzten Endes auf den harten Asphalt aufprallte und gequält aufstöhnte. Die Schmerzen waren auf der einen Seite so stark, dass ich Angst hatte, mich nie wieder bewegen zu können, und auf der anderen Seite durchflutete mich so viel Adrenalin, dass die Schmerzen wieder in den Hintergrund rückten. Der Regen war stärker dabei geworden und durchweichte meine Kleidung.

Keuchend drehte ich mich auf den Bauch. Irgendwie drehte sich alles und meine Versuche, mich mit den Armen aufzurichten, waren erfolglos.

Ich hörte eine knallende Autotür und schnelle Schritte, die näher kamen. Der Atem des Fahrers ging hektisch und bestürzt kniete er sich neben mich.

„Oh Gott, das tut mir so leid! Bist du okay?! Oder verletzt? Brauchst du einen Krankenwagen?!", ratterte er gestresst und besorgt herunter. „Das ist mir noch nie beim Schwarzfahren passiert! Mein Vater wird mich umbringen!"

Seine Worte waren genauso hektisch wie sein Atem und seine Hände wedelten planlos in der Luft umher. Offenbar hatte der Junge keine Ahnung von dem was er hier tat und seine Augen sahen mich überfordert an. Das Licht des Autos schien noch immer auf mich, doch ich konnte ihm dennoch ins Gesicht sehen. Er hatte braune Haare und war ungefähr in meinem Alter.

Und ganz offensichtlich hatte ich ihn beim Schwarzfahren erwischt. Naja, eigentlich hatte er mich erwischt, aber das konnte nun keiner ändern.

„Hörst du mich? Kannst du mich verstehen?", sprach er nun wieder mit mir. Durch meine Gedanken und Inspektionen hatte ich ganz vergessen, dass er noch da war. „Ich ruf am besten einfach einen Krankenwagen, wenn du mir hier wegstirbst hab ich noch mehr Probleme!", meinte er tonlos.

Dachte der eigentlich nur an sich selbst?!

Gerade wollte er sein Handy aus der Tasche holen und die Nummer wählen, doch ich schlug ihm schwach das Handy aus der Hand. „Nein! Keinen Krankenwagen!", keuchte ich.

Um ehrlich zu sein, wusste ich nicht einmal, wie ein Krankenhaus von innen aussah. Unsere Eltern hatten uns fern von der Stadt und ihren Bewohnern großgezogen. Bei unserem Stamm. Uns gab es offiziell doch nicht mal! Ich wusste nur von Erzählungen und Bildern wie die weite Welt aussah.

„Aber-"

Ich unterbrach ihn harsch. „Du rufst kein Krankenwagen und ich verpfeif dich nicht bei der Polizei! Deal?!"

Unschlüssig sah er mich an. Er hatte Angst. Das sah ich ihm deutlich an. Menschen und ihre Emotionen und ihr Verhalten zu deuten war nicht schwierig. Seine Lippe und seine Hände zitterten und er ließ sich viel zu leicht umstimmen.

„Nur... was ist mit deinen Verletzungen?", fragte er jetzt etwas ruhiger, aber immer noch zweifelnd.

Ich seufzte. „Das wird schon wieder." Um meine Worte zu unterstreichen, drehte ich mich etwas zur Seite und versuchte mich wieder nach oben zu drücken. „Ich brauch nur ne Bleibe für die Nacht!"

„Kannst du aufstehen?" Seine Stimme wurde immer leiser und ich hörte Reue heraus. Da die Schmerzen unerträglich waren und ich nicht wirklich Ahnung hatte, was überhaupt verletzt war, ließ ich seine Hilfe zu. So stützte er mich und zog mich auf die Beine. Dann liefen wir zum Auto und er setzte mich auf die Kühlerhaube. „Ich nehm dich mit nach Hause!", bestimmte er jetzt selbstbewusster und lauter.

„Und was, wenn ich nicht will?", fragte ich belustigt mit hochgezogener Augenbraue.

Er stemmte die Hände in die Hüfte. „Willst du ins Krankenhaus?" Ich schüttelte mit dem Kopf. „Na also, auf der Straße lass ich dich nicht und in den Wald kannst du auch nicht, als musst du mit zu mir!", erklärte er und beinahe hätte ich gelacht. Wenn er wüsste, wo ich aufgewachsen war.

„Wie heißt du eigentlich?"

„Ben", grinste er. „Und du?"

„Luke", stöhnte ich, da ich mich nicht länger aufrechthalten konnte und gleich vom Auto kippte. Ben reagierte schnell und hielt mich fest, bevor ich wieder Bekanntschaft mit dem Asphalt machte. „Ich glaube es wäre besser, wenn wir jetzt losfahren. Wer weiß ob ich innere Verletzungen hab." Meine Worte waren zwar nur ein Scherz, aber Ben beunruhigten sie dennoch, weswegen ich erklärte, „War nur ein Scherz."

Böse sah mich der Braunhaarige an. „Ich scherz auch gleich mal!"

Mein Lachen wurde durch mein eigenes Keuchen unterbrochen, da Ben mich an den Rippen berührte und diese taten schrecklich weh! Mit seiner Hilfe setzte ich mich schließlich auf den Beifahrersitz und er schnallte mich an. Wie ich Autos doch hasste!

Nur, war es wirklich gut bei einem Schwarzfahrer mitzufahren? Offensichtlich ja nicht!

Doch ich war zu müde und erschöpft, um klare Gedanken zu bekommen und somit ließ ich Ben einfach fahren. Er fuhr langsamer als vorhin und sah konzentriert auf die Landstraße. Wahrscheinlich saß der Schreck ihm noch in den Knochen, so wie mir.

Die Fahrt über bekam ich starke Kopfschmerzen, weswegen mein Kopf kraftlos gegen die Fensterscheibe sackte und meine angewinkelten Knie gegen die Autotür. Mittlerweile regnete es wie aus Eimern und mir war schrecklich kalt. Da half auch Bens Klimaanlage nicht. Ihm ging es genauso, denn als er an einer Kreuzung halten musste, rieb er die Hände aneinander.

„Du musst aber unbedingt wachbleiben", befahl er mit einem kurzen Seitenblick auf mich, da ich gerade die Augen schließen wollte. Zustimmend brummte ich, nur überzeugte ihn da nicht. „Ich meins ernst, Luke!"

„Ja ja", brummte ich genervt, schloss sie aber dennoch. Die gleichmäßige Bewegung des Autos und das Brummen des Motors waren einlullend und so sank ich schließlich doch in den Schlaf. Oder Bewusstlosigkeit, keine Ahnung. Natürlich war es töricht bei einem Fremden einzusteigen und einzuschlafen, wenn man auch noch körperlich geschwächt war, doch ich begrüßte die wohltuende Dunkelheit.

„Luke, mach die Augen wieder auf!"

Ich war mit dem Gedanken noch bei Zain, als alles verschwamm und auch Bens fordernde, besorgte Stimme nicht mehr zu hören war.

His Green EyesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt