XII

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L A I L A

Ich spürte weiche Lippen auf meiner Haut und ein warmer Atem blies mir sanft ins Gesicht. Lächelnd drehte ich mich etwas zur Seite, weil es auf meiner Haut kitzelte und entlockte dem Verursacher damit ein raues Lachen. Eindeutig Darryl.

„Willst du nicht langsam mal aufstehen, Kleine?", fragte er belustigt und ich grummelte verneinend. „Dann gibt's auch Frühstück", versuchte er mich zu überzeugen. Doch ich hielt meine Augen geschlossen. „Dann eben anders", sagte er nur noch und dann spürte ich auch schon, wie er mich einfach hochnahm und überrascht krallte ich mich in die Bettdecke, während ich meine Augen schlagartig öffnete und tief einatmete. „Na geht doch!"

„Darryl!", schimpfte ich halbherzig.

Er lachte nur. „Sei lieber froh. Ich hätte dir auch ein Eimer kaltes Wasser drüber kippen können."

„Das hättest du eh nie gemacht", hielt ich dagegen und drehte mich in seinen Armen, um ihn ansehen zu können.

Leicht lege er den Kopf schief. „Wieso?"

„Na, weil ich dich dann den ganzen Tag ignoriert hätte!", gespielt sauer sah ich ihn an und ergänzte, „Und einen Kuss hättest du dann auch nicht bekommen!"

Empört riss er die Augen auf. „Was?!"

Ein Grinsen konnte ich nicht länger zurückhalten und als er es sah, musste auch er lachen. Gedankenverloren ließ ich meinen Blick über seinen Körper wandern. Er hatte kein Shirt an und einzig seine Kette verdeckte seine Brust. Silbern glänzte sie im Licht. Der Name seines Onkels stach mir ins Auge und weckte unschöne Erinnerungen.

„An was denkst du?", riss mich Darryl aus meinen Gedanken.

Lächelnd sah ich wieder hoch. „An deinen Onkel."

„Wieso an Malcom?"

„Weiß nicht, ich kann mir das irgendwie nicht vorstellen, dass man eine andere Person den Eltern vorzieht", offenbarte ich wahrheitsgemäß.

Darryl kräuselte die Stirn und ließ sich mit mir wieder auf die Matratze nieder, hielt mich aber immer noch fest. „Laila, meine Eltern haben sich vom Clan abgekapselt. Mich hat es aber immer wieder hingezogen und es ist schwer ständig hin und her zu wechseln."

„Ich weiß, aber hast du dich denn wirklich dazugehörig gefühlt? Ich mein ja nur. Zum Clan hast du ja auch eine Weile nicht offiziell gehört", fragte ich weiter.

Der Schwarzhaarige strich mir durch meine blonden Haare und seufzte einmal. „Deswegen bin ich ja auch hierhergezogen, aber als kleines Kind denkt man nicht an sowas. Ich bin die meiste Zeit damals hier gewesen und bin genauso wie die Zwillinge und Molotov hier aufgewachsen, und sie gehören auch nicht von Anfang an zum Clan."

„Aber...", fing ich, stoppte allerdings. Darryl hatte recht und ich hatte auch keine Ahnung auf was ich eigentlich hinauswollte. „Leben deine Eltern noch?"

„Wie kommst du denn jetzt darauf?"

Unsicher biss ich mir auf die Unterlippe. „Ich würde sie gerne besuchen."

„Ach Laila", stieß er aus. „Du kannst sie nicht besuchen."

„Und wieso nicht?" Ich verstand nicht, worauf er hinaus wollte.

Er senkte seinen Blick und nahm den Deckenzipfel zwischen die Finger. „Sie sind tot, Laila. Schon lange."

„Was?", keuchte ich überrascht. Zwar hatte ich meine Erinnerungen wieder, aber manche Details waren noch immer etwas verschwommen und Darryl hatte seine Eltern nie erwähnt. „Wieso?"

„Unser Verhältnis war nicht das Beste und als ich zum Clan kam, besuchte ich sie nur noch selten. Dann kamen die Probleme mit dem feindlichen Clan und was ist der beste Weg um jemanden zu schaden?", wollte er leise wissen, sprach aber weiter. „Sie wollten uns auslöschen, da wir eine potentielle Bedrohung waren und durch den Tod meiner Eltern erhofften sie sich, dass ich psychisch zerstört werden würde."

„Aber dem war nicht so, denn du hattest keine wirkliche Bindung zu ihnen", ergänzte ich ihn tonlos. Er nickte. „Tut mir leid", hauchte ich.

Sanft küsste ich ihn und schlang meine Arme um seinen muskulösen Rücken. Darryl weinte nicht und schien auch so nicht wirklich betroffen, aber irgendwas stimmte trotzdem nicht mit ihm. Und dann kam mir die Erleuchtung wie ein Blitz.

„Du hast Schuldgefühle", murmelte ich.

Wieder ein Nicken. „Natürlich! Ich war der Grund, weswegen sie sterben mussten, und letzten Endes hat es nicht mal etwas gebracht."

„Du kannst nichts dafür, Darryl! Einzig und allein die Idioten, denen wir das alles zu verdanken haben, sind daran schuld", widersprach ich. Doch im Inneren machte sich in mir auch Erleichterung breit. Ich hatte für einen Moment schon befürchtet, dass mein Vater damit etwas zu tun hatte.

„Hm", machte er nur.

Natürlich konnten einfache Worte Darryls Meinung nach Jahren nicht verändern, aber ich hatte Hoffnung, ihm diese Gedanken noch austreiben zu können.

Nach weiteren Minuten der Stille beschlossen wir endlich aufzustehen. Mein Weg führte ins Bad, wo ich mich duschte und für den Tag fertig machte. Darryl war so freundlich und hatte mich vorgelassen. Die gemeinsame Dusche hatte ich verweigert, immerhin brauchte ich auch mal Zeit für mich und ich wusste genau, dass Darryl beim Duschen nicht anständig sein würde.

Als er dann im Bad war und ich mich anzog und meine Haare machte, kam mir ein Gedanke. Sara war doch noch unten!

Schnell lief ich nach unten ins Gästezimmer und musste augenblicklich grinsen. Nach dem Filmeabend gestern waren sie allein zurückgeblieben und offenbar hatte der Alkohol seine Aufgabe erfüllt. Molotov lag verrenkt am Boden und umklammerte die Fernbedienung David und Sara hingegen lagen auf dem Sofa und kuschelten sich so eng aneinander als gäbe es kein Morgen.

Ohne zu zögern, holte ich mein Handy heraus. Schließlich brauchte ich doch später Beweise. Sara würde mir doch sonst nichts glauben.

„Aww, die haben Molotov ja einfach ausgeschlossen", schimpfte Darryl leise. Seine Haare waren sogar noch nass. „Ob das Mobbing ist?"

„Ein Dreier wäre glaub ich nicht so gut", murmelte ich nur verstört.

Darryl lief an mir vorbei und weckte die drei brutal auf, indem er einfach David von Sara löste und auf Molotov warf. Musste das sein?! Tadelnd sah ich meinen Freund, der sich keiner Schuld bewusst war.

„Was willst du denn hier?!", quietschte Molotov, der David von sich schubste.

„Was weiß denn ich?!", konterte dieser noch müde und rieb sich die Augen.

Das Ganze endete damit, dass die Beiden sich über den Kater und Darryl beschwerten und zehn Minuten später saßen wir im Essenssaal. Neben dem Frühstück lagen Aspirin und ich lehnte mich zufrieden an Darryl. Dieser legte einen Arm um mich und küsste mich auf die Stirn.

Sara hingegen hatte eine verdächtige Röte im Gesicht und mied den Blick zu David. Ob die Beiden irgendwann nochmal die Kurve bekamen?

Nachdem wir Sara noch Heim gefahren hatten, musste ich mich an die Schulaufgaben setzen. Es war ungewohnt, dass Darryl nicht mehr zur Schule kam. Aber er war alt, genug um abzubrechen und er brauchte für das Leben im Clan keinen Abschluss. Ich war da ja anderer Meinung.

His Green EyesWhere stories live. Discover now